Bittere Bilanz zur Silvesternacht „Ich hätte sterben können“: Kugelbombe verletzt 19-Jährigen – jetzt warnt er andere
Menschen zünden wieder Feuerwerk. Doch es gibt viele Verletzte. Einem jungen Mann explodiert die illegale Rakete in der Hand – er gibt sich geläutert.

Halle/MZ - Der Anblick ist erschreckend: Die rechte Gesichtshälfte des 19-Jährigen ist verletzt, die Augen sind blutunterlaufen. Der Arm steckt in einem dicken Verband, ein Finger ist gebrochen, an der Handfläche hat er Verbrennungen, eine Fingerkuppe und das Ohr mussten genäht werden. „Ich hatte Glück, ich hätte dieses Silvester auch sterben können“, sagt der junge Mann aus Sachsen, der nicht mit seinem Namen in der Zeitung stehen möchte. Ihm ist das Geschehene unangenehm, auch versicherungsrechtlich gibt es wohl noch einiges zu klären. In der Silvesternacht wurde er ins BG Bergmannstrost in Halle eingeliefert, nachdem eine illegale Kugelbombe am Boden explodierte. Der Sachse ist einer von knapp 30 Patienten, die dort wegen Feuerwerkunfällen versorgt wurden. Acht waren so schwer verletzt, dass sie operiert werden mussten.
„Es sind in diesem Jahr insgesamt mehr Patienten als 2017, da hatten wir hier Höchstzahlen an Silvester“ sagt Handchirurg und Chefarzt Frank Siemers. Er leitet die Klinik für Plastische und Handchirurgie im Bergmannstrost, das auf solche Verletzungen spezialisiert ist. „Offenbar haben die Händler und Käufer von Feuerwerk nach zwei Jahren Pause diesmal noch eins drauf gelegt.“ In der Silvesternacht waren in Sachsen-Anhalt mehrere Menschen von Böllern und Feuerwerksraketen verletzt worden. Im Bergmannstrost war in der Nacht durchgehend operiert worden, noch immer liegen Patienten in der Klinik. Ein Fall ging durch die Medien: Ein Mann aus Weißenfels verlor eine Hand, die andere musste rekonstruiert werden, beide Augen sind verletzt.
Gruppenzwang an Silvester
„Vor allem Verletzungen an der Hand sind typisch rund um den Jahreswechsel: Knochenbrüche, Verletzungen an Sehnen, abgetrennte Finger bis zur Zerstörung der Hand, aber auch Brand- und Schnittwunden“, sagt Siemers. Mehrere Faktoren führten zu Unfällen. „Es gibt einen gewissen Gruppenzwang, Alkohol, ausgelassene Stimmung – das macht Menschen unvorsichtig und leichtsinnig. Das Risiko steigt noch bei illegalem Feuerwerk.“ Denn das hat eine extrem hohe Sprengwirkung. Selbst in vergangenen Jahren mussten im Bergmannstrost trotz coronabedingten Böllerverbots zwar weniger, aber mehrere schwerste Handverletzungen bis hin zur Amputation behandelt werden.
Woher das Feuerwerk des 19-Jährigen stammte, weiß er nicht, sagt er. Er hatte mit Freunden in Sachsen-Anhalt gefeiert, es wurden Kugelbomben abgefeuert. Sie sind wegen ihrer Explosionskraft und des komplizierten Aufbaus nicht frei verkäuflich. Wie Kanonen werden sie aus Rohren geschossen, angetrieben durch abbrennendes Schwarzpulver. Ist die Ladung entzündet, zerlegt sie sich am Himmel kreisrund mit Effekten wie Sterne und Funken. Der 19-Jährige hatte offenbar ein zu dünnes Rohr verwendet und unterschätzt, wie schnell die Zündschnur herunter brennt. „Es ging sofort los. Ein Meter brannte in einer Sekunde ab, die Rakete explodierte schon am Boden. Mein Glück war, dass sie dann nach oben schoss. Sie hat mich getroffen, aber nicht mit voller Wucht.“ Teile der Rakete verletzten Hand und Gesicht. „Die eine Fingerkuppe hing auf halb acht.“


Der junge Mann zeigt Videos von jener Nacht. Zu sehen sind Freunde und gezündete Kugelbomben. Dann hört man ihn schreien und sieht ihn wegrennen. „Ich wollte erstmal sehen, was los ist.“ Auf einem Foto liegt seine Kleidung mit Brandlöchern. Der Krankenwagen brachte ihn nach Merseburg, dann kam er ins Bergmannstrost. Dort gibt es für schwere Verletzungen auch das Hand-Trauma-Zentrum mit einem 24-Stunden-Replantationsdienst, um abgetrennte Gliedmaßen wieder anzufügen.
Eine Woche in der Klinik
Das Haus hatte sich auf ein Silvester mit vielen Patienten eingestellt. „Trotz insgesamt hohem Krankenstand waren viele Handchirurgen im Einsatz“, so Siemers. Über eine Stunde musste der 19-jährige Sachse operiert werden. „Bei den Ersteingriffen werden die Wunden gereinigt, auch Einsprengungen in der Haut entfernt. Dann geht es an die Handweichteile. Wir verschaffen uns einen Überblick und gucken, was erhalten und repariert werden kann“, so Siemers.
Etwa eine Woche bleibt der 19-Jährige im Krankenhaus. Die Schmerzen lassen nach, sagt er. Er arbeitet in einem handwerklichen Beruf, spielt Fußball. „Ich denke, dass ich das alles wieder machen kann. Aber es wird dauern.“ Und es bleibt ein Schock. „Mich hat das abgeschreckt. Ich werde nie wieder mit Feuerwerk was machen. Und ich kann nur jedem raten: Lasst die Finger davon, bringt euch nicht unnötig in Gefahr.“
Wenn es nach Siemers ginge, sollte Feuerwerk generell in professionelle Hände gelegt werden. „Ein Böllervebot lässt sich schwer durchsetzen. Aber wenn ein Feuerwerk angeboten werden soll, dann sollten das Profis machen. Jeder dieser leicht vermeidbaren Unfälle ist einer zu viel.“