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Gutachten-Affäre Gutachten-Affäre um Jörg Felgner: Wie im Finanzministerium Sachsen-Anhalts ein Millionen-Geschäft über die Bühne ging

Von Kai Gauselmann 01.09.2016, 19:10
Der Meister und sein Schüler: Ex-Minister Jens Bullerjahn (li.) und Jörg  Felgner.
Der Meister und sein Schüler: Ex-Minister Jens Bullerjahn (li.) und Jörg  Felgner. dpa

Magdeburg - Die Wahrheit ist manchmal nicht schwarz oder weiß und nicht einmal grau. Die Wahrheit ist manchmal rot und grün. So wie die Farbe der Stifte, mit dem Minister und Staatssekretäre in Sachsen-Anhalt Akten und Vermerke bearbeiten. Das ist von Bedeutung in der sogenannten Gutachtenaffäre. Dabei konzentrierte sich die Debatte bisher auf den früheren Finanz-Staatssekretär und heutigen Wirtschaftsminister Jörg Felgner (SPD) - vom Rest der damaligen Hausleitung ist weniger die Rede: Dem noch heute amtierenden zweiten Finanzstaatssekretär Michael Richter (CDU) und dem damaligen Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD). Akten des Ministeriums belegen oder legen nahe, dass Felgner das zentrale Dokument unterzeichnet hat, der Rest der Hausleitung auf jeden Fall informiert, eine Reihe von Abteilungs- und Referatsleitern beteiligt war, Bullerjahn Druck machte - und das in Halle ansässige Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung (ISW) profitieren sollte.

Worum geht es in der Affäre?

Das Finanzministerium hat im Rahmen einer „strategischen Partnerschaft“ mit der Landesinvestitionsbank (IB) - an der das Land über die Nord/LB beteiligt ist - zum Januar 2014 einen Geschäftsbesorgungsvertrag abgeschlossen. Diesen Vertrag hat Felgner für das Ministerium unterschrieben. Damit hat das Land der Bank bis 2020 Aufgaben übertragen „im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitung und Unterstützung sowie zum Betrieb und der Fortentwicklung von Methoden und Werkzeugen zur ziel- und wirksamkeitsorientierten Entscheidungsvorbereitung und Steuerung“. Konkret ging es etwa darum, Fördermaßnahmen zu bewerten oder auch Strukturdaten zu Ausgaben des Landes oder der Kommunen auszuwerten - als Basis finanzpolitischer Entscheidungen. Dazu sollten auch Leistungen an Dritte wie dem ISW vergeben werden. Insgesamt geht es um 6,3 Millionen Euro. Mit mehr als vier Millionen Euro profitierte das ISW, das dafür eine europaweite Ausschreibung gewonnen hat. Der Landesrechnungshof bemängelt unter anderem, dass der Landtag nicht einbezogen und gegen die Haushaltsordnung verstoßen worden sei. Ähnliche Verträge über IB und ISW hatte es auch schon in den Vorjahren gegeben.

Wer hat die strittigen Vorgänge ausgelöst?

Es gibt keine Hinweise, dass die europaweite Ausschreibung nicht rechtens war. Allerdings war im Finanzministerium frühzeitig klar, dass das ISW beteiligt werden sollte. Am 11. Juni 2013 - Monate vor Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrages und der Ausschreibung - hat die Referatsleiterin für den Gesamthaushalt an einen anderen Referatsleiter eine E-Mail geschrieben, „ob es möglich wäre, dass Sie mir einmal den neuen Vertrag mit der IB zur Verfügung stellen, mit denen wir über die IB das ISW beauftragen? Der mir vorliegende Vertrag endet am 30.06.2013“. Den Impuls dazu hat die Referatsleiterin offensichtlich vom Haushalts-Abteilungsleiter bekommen: „Nach mündlicher Info durch den LMB (Leiter des Ministerbüros, Anm. d. Red.) wünscht der Minister eine überjährige wissenschaftliche Begleitung der Landespolitik“, heißt es in einer Mail. Die IB solle das ausschreiben „und auch Vertragspartner des Instituts sein“. Die Finanzierung sei zwar noch nicht geklärt - aber das Volumen grob: 500 000 bis 800 000 Euro pro Jahr.

Wurde sorgfältig geprüft, wer hat Einfluss genommen?

Offensichtlich wurde wegen der drohenden längeren Zeit ohne wissenschaftliche Begleitung ordentlich Tempo gemacht - vor allem von Bullerjahn. Zwar findet sich nirgends seine Unterschrift, da kommen aber die Stiftfarben ins Spiel: Im Finanzministerium hat Bullerjahn mit grün kommentiert, seine beiden Staatssekretäre mit rot und Bullerjahns Büroleiter mit braun. Auf einem Vermerk des Finanzcontrolling-Referatsleiters ist mit grün vermerkt: „WV (Wiedervorlage, Anm. d. Redaktion) der Überarbeitung bis 8.7.“ und „T. (Termin, Anm. d. Red.) mit isw!“ Ein ähnlicher grüner Eintrag findet sich auf einem Schreiben „Projekt Investitionsbank Anforderung eines aktuellen Sachstandes“: „STS (für Staatssekretär, Anm. d. Red.) Felgner, habe am 30.9 14.30 T. im ISW - b. aktuellster Stand ➞ Ausschreibung?“ Felgner hat darauf mit rot vermerkt: „über STS Richter, da Abt. 2 u. 3 betroffen“.

Weitere Hinweise für die Einbeziehung der gesamten Hausleitung und eine Tendenz zum ISW finden sich in einer Mail aus dem Ministerbüro an Jörg Felgner und Michael Richter vom 18. Juli: „Sehr geehrte Herren Staatssekretäre, Herr Minister wird am kommenden Montagabend, 22. Juli 2013, ein Gespräch mit Herrn Maas (IB-Chef Manfred Maas, Anm. d. Red.) führen. Zur Vorbereitung dieses Gesprächs bittet er Sie, ihm - orientiert an Ihren jeweiligen Zuständigkeiten - eine Zuarbeit zu den mit der IB in Zusammenarbeit (auch künftig) zu erledigenden Themenfeldern zukommen zu lassen (bspw. Beteiligungsmanagement, Fördermittelcontrolling, Kooperation mit isw etc.) - vornehmlich vor dem Hintergrund künftiger Auftragserteilungen.“

Wurde Bullerjahn nur grob informiert?

Fast alle Vorgänge sind geprägt von Hast. „Termin: Sofort“, „Eilt“ oder Anmerkungen wie „bitte von Hand zu Hand“ - von Felgner handschriftlich in rot auf einem Klebezettel - belegen dies. Trotzdem gingen selbst Vorarbeiten über Bullerjahns Büro. Der Finanzcontrolling-Referatsleiter hat Bullerjahns Büroleiter die „Projektbeschreibung Investitionsbank“ mit der Bemerkung geschickt: „hab mal was zusammengezimmert; schau es dir an, ob es ggw. so schon mal kommuniziert werden sollte“. Der Büroleiter antwortete „Vorerst Diskretion“. Ein Ausdruck der Unterlage ging dann an „Hr. Min. z.K.“.

Gab es im Ministerium Bedenken und Kritik?

Vom Minister und seinen Staatssekretären ist nichts Entsprechendes dokumentiert. In der Ministeriums-Kommunikation finden sich aber sehr wohl einige Bedenken, ob der Weg der Vergabe korrekt sei. Am deutlichsten hat das die Referatsleiterin für den Gesamthaushalt in einem Schreiben an Bullerjahns Büroleiter formuliert: Die Beteiligung des Finanzausschusses des Landtages sei „notwendig“, weil er Beraterverträgen zustimmen müsse, „wenn das Gesamtvolumen die Höchstsumme von 20 000 EUR überschreitet“: „Dieser Zustimmungsprozess wird durch einen Rahmenvertrag umgangen. Es wird deswegen von hier aus für nicht vertretbar gehalten, den Beschluss zu missachten“, so die Referatsleiterin. Eine andere Praxis werde „jedoch in der politischen Diskussion brisant“.

Führten die Bedenken zu Konsequenzen?

Die Ministerialen hatten offenbar den Eindruck, Bullerjahn werde den Geschäftsbesorgungsvertrag vor dem Finanzausschuss thematisieren. „Herr Minister Bullerjahn erwägt auch, das Thema offensiv bei der Einbringung in den Landtag (12.9.2013) anzusprechen“, schreibt der Haushalts-Abteilungsleiter am 23. Juli. Daraus ist offenbar nichts geworden. Im März 2014 stellt ein Referatsleiter in einem Vermerk fest: „Gleichwohl war durch Herrn Minister Bullerjahn erwogen worden, das Thema offensiv bei der Einbringung des Haushalts im Landtag anzusprechen - dies ist meines Wissens aber wohl nicht erfolgt.“

Welche Konsequenzen kann die Affäre jetzt haben?

Strafrechtlich relevant oder anderweitig justiziabel ist nach jetzigem Stand nichts von alledem: Weil es zum Beispiel ja für das Geld auch Gegenleistungen gab. Ein Schaden ist also nicht erkennbar. Über die europaweite Ausschreibung der IB ist in den Ministeriumsakten nichts enthalten. Eine spannende Frage könnte vielleicht sein, ob diese Ausschreibung im Nachhinein von unterlegenen Bewerbern angefochten werden könnte. Immerhin lassen die Akten eine Tendenz zum späteren Sieger ISW erkennen und es gibt die handschriftlichen Notizen, in denen Minister Bullerjahn auf Termine mit dem ISW verweist. Ein Wettbewerbsvorteil könnte womöglich schon sein, dass ein Bewerber weiß, dass es eine Ausschreibung geben wird, zu welchem ungefähren Zeitpunkt und um welche Themenfelder es gehen wird. Das erlaubte eine frühzeitige Vorbereitung und Aufbereitung der Bewerbung.

Was als gesichert gelten kann, ist der Verstoß gegen die Haushaltsordnung: Dass das Parlament zunächst hätte beteiligt werden müssen. In den Akten findet sich das Argument, das sei nicht nötig gewesen, weil der Vertrag mit der IB ein „Inhouse-Geschäft“ gewesen sei - weil das Land über die Nord/LB an der IB beteiligt ist. Eigentlich zieht das aber nur für Aufgaben, die die IB selbst erledigen kann - und nicht die Leistung Dritter. Der Rechnungshof sieht das nach wie vor sehr kritisch. „Der Rechnungshof ist der Überzeugung, dass hier das Budgetrecht des Landtages verletzt wurde. Das ist eine Frage des Umgangs zwischen Regierung und Parlament“, sagte Rechnungshof-Präsident Kay Barthel am Donnerstag der MZ. Ihm gehe es jetzt allerdings vor allem darum, dass die Regierung diese Praxis ändere.

Bleibt die Affäre also am Ende folgenlos?

Nein. Es wird zwar weder jemand verhaftet oder verurteilt, weil keine Gesetzesvorstöße vorliegen. Dafür müsste ein Vermögensschaden entstanden sein - also durch Zahlungen ohne Gegenleistungen. Als politische Konsequenz kann das Parlament die Regierung am Ende rügen, was das Gewicht einer Ermahnung und allenfalls einen Peinlichkeitseffekt hat.

Allerdings hat der neue Finanzminister André Schröder (CDU) angekündigt, dass er den Geschäftsbesorgungsvertrag mit der IB nicht in der jetzigen Form weiterführen werde. Zur Debatte stehen eine andere Laufzeit und eine geringere Summe. „Der umstrittene Rahmenvertrag wird gegenwärtig durch das Finanzministerium unter meiner Führung einer umfassenden Neubewertung unterzogen“, sagte der Minister. „In der ursprünglich vorgesehenen Ausführung und in der ursprünglichen finanziellen Größenordnung wird der Geschäftsbesorgungsvertrag nicht fortgesetzt.“ Schröder hat versichert, das Parlament beteiligen zu wollen. (mz)