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Eichenprozessionsspinner Eichenprozessionsspinner: Raupe mit gefährlichen Brennhaaren breitet sich aus

Von Ralf Böhme 14.07.2016, 18:35
Eichenprozessionsspinner machen sich an einer Roteiche zu schaffen.
Eichenprozessionsspinner machen sich an einer Roteiche zu schaffen. Kuhn

Halle (Saale) - Sachsen-Anhalt bekommt einen der gefräßigsten Baumschädlinge nicht in den Griff. Es werden noch Jahre vergehen, bis der auch für Menschen und Tiere gefährliche Eichenprozessionsspinner biologisch wirksam bekämpft werden kann. Ziel ist es, den Schädling, der beim Menschen allergische Reaktionen auslösen kann,  mit lebenden Fadenwürmern zu bekämpfen.

Der Eichenprozessionsspinner ist ein alter Bekannter in deutschen Wäldern. 1811 schrieb Johann Peter Hebel über die „Processions-Raupen“: „Sie können sogar dem menschlichen Körper gefährlich werden, wenn man ihnen zu nahe kommt, sie muthwillig beunruhigt, oder gar aus Unvorsichtigkeit mit einem entblößten Theil des Körpers berührt und drückt. Sie dulden es nicht ungestraft, wenn sie sich rächen können. Man hat schon einige traurige Beyspiele an Leuten erlebt, denen solches wiederfahren ist. Sie bekamen bald starke Geschwulst, heftige und schmerzhafte Entzündungen an der Stelle des Körpers, wo sie diese Raupen mit bloser Haut berührten“.

Wie es dazu kommt, beschrieb Hebel so: „Die Raupen lassen augenblicklich ihre kurzen, steifen stechenden Haare gehen, und drücken und schießen sie gleichsam wie Pfeile ihrem Feind in die zarte Haut des Körpers. Dies ist das Mittel, welches die Natur auch diesen verachteten Thieren zu ihrer Vertheidigung gegeben hat. Bei den Prozessions-Raupen ist die Menge gefährlich. Der Körper bekommt unzählig viele kleine unsichtbare Wunden; in jeder bleibt der feine reizende Pfeil stecken, und viel kleine Ursachen zusammen thun eine große Wirkung, was man auch sonst im menschlichen Leben so oft erfährt, und doch so wenig bedenkt. Man soll also mit diesen Thieren keinen unnöthigen Muthwillen treiben...“

„Über erfolgreiche Laborexperimente sind wir noch nicht hinausgekommen“, räumt Michael Habermann ein, der die Forschungen an der von Sachsen-Anhalt mitfinanzierten Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Göttingen leitet. Versuche im Freiland, bei denen Fadenwürmer per Hubschrauber über Eichenbeständen ausgebracht wurden, hätten bislang keine guten Ergebnisse erbracht.  Laut Habermann liegt das daran, dass die Würmer ursprünglich im Humus lebten und nicht resistent gegen die ultraviolette Strahlung der Sonne seien. Außerdem benötigten sie  Feuchtigkeit, um in den Baumkronen eine Zeit lang überleben zu können. „Es gibt Ansätze, wie diese Hindernisse aus dem Weg geräumt werden können, mehr aber nicht.“

Aus Sachsen-Anhalt liegen die ältesten Nachweise der Prozessionsspinner für Deutschland vor. Sie datieren aus den Jahren 1760 und 1778. „Cnethocampa processionea, welcher bei der schweren Kalamität der 1850 Jahre in Anhalt etc. nach Abfraß der Eichen auch die Obstbäume anging, wie ich damals im Diebziger Pfarrgarten erfahren sollte“, heißt es in Aufzeichnungen von Baldamus aus dem Jahr 1892. Hofgärtner Richter hielt um 1850 den Eichenprozessionsspinner für heimisch. Recherchiert hat all dies Thomas Sobczyk in seinem Aufsatz „Der Eichenprozessionsspinner in Deutschland“, der sich auf der Internetseite des Bundesamtes für Naturschutz nachlesen lässt.

Der unscheinbare, in den Nachtstunden schwärmende Schmetterling fliegt Ende Juli bis Anfang September. Das Weibchen legt rund 150 weiße Eier im oberen Kronenbereich von Eichen. Anfang Mai schlüpfen die für den Menschen gefährlichen Raupen. Sie fressen die austreibenden Blätter der Eichen, oft bleibt nur die Mittelrippe stehen. Die Nester sind bis zu einem Meter lang. Von dort aus begeben sich die Eichenprozessionsspinner-Raupen wie in einer Prozession auf Nahrungssuche. 20 bis 30 ältere Raupen können dabei nebeneinander her wandern und Prozessionen von mehr als zehn Meter Länge bilden. Der Spuk ist vorbei, wenn Ende Juni/Anfang Juli in dicht aneinandergedrängten Kokons im Gespinstnest die Verpuppung beginnt. (mz/ihi)

Der Eichenprozessionsspinner ist derzeit in Sachsen-Anhalt wieder auf dem Vormarsch, bestätigt das Umweltministerium.   Der genaue Überblick, wo überall der Schädling in diesem Jahr  zuschlägt, steht zwar noch aus. Doch zeichnet sich bereits ab, dass insbesondere der Süden betroffen ist. 2015 war vor allem der Landkreis Wittenberg ein Schwerpunkt. Dort wurde ein Befall auf einer Gesamtfläche von 26 Hektar  nachgewiesen. Starke Populationen gab  es auch im Raum Dessau-Wörlitz. Bundesweit ist Sachsen-Anhalt eine der am stärksten betroffenen Regionen. Die letzte großflächige Ausbreitung des Schädlings  liegt vier Jahre zurück. Damals suchten tausende Menschen   wegen Beschwerden ihre Hausärzte auf.  Erfahrungsgemäß muss jeder vierte Patient krankgeschrieben werden. Weil   das Krankheitsbild aber nicht meldepflichtig ist, fehlen  detailliertere Angaben.

Von Entwarnung kann aber auch vier Jahre später keine Rede sein. „Massenvermehrungen können sich oft über  Jahre erstrecken“, heißt es vom Umweltministerium. Erkennbar ist der Befall vor allem an  Gespinsten, die fast wie Zuckerwatte aussehen. Dennoch sei, anders als in Brandenburg, landesweit keine chemische Bekämpfung aus der Luft geplant. Auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) ist dagegen. „Überall, wo die Raupen unterwegs sind, sollte weiträumig abgesperrt werden“, sagte Landesgeschäftsführer Oliver  Wendenkampf. Das reiche zum Schutz aus. Gleichwohl glaubt auch er nicht an eine schnelle Lösung. „Die Eichenprozessionsspinner werden uns  noch lange erhalten bleiben.“

Die winzigen Härchen der Raupen setzen ein sehr wirksames  Gift frei. Das  löst nicht nur ein  sehr unangenehmes Hautjucken  aus, sondern kann  auch Atemwege und Augen schwer belasten. „Bürger sind gut beraten, die befallenen Stellen zu meiden“, sagte Ronald Gauert, Sprecher des Landkreises Wittenberg.  Die Lutherstadt selbst setzt, anders als das Land, bislang auf die chemische Keule. 745 Bäume im Stadtgebiet wurden behandelt. Das kostet jährlich 20.000 Euro. Ähnlich sieht es in Dessau-Roßlau aus, wo  431 Bäume gespritzt wurden. In der Elbestadt Aken setzt man darauf, dass die Feuerwehr die Raupennester in den Baumkronen aufspürt und abflammt. (mz)