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Die Kunst des Straßenbaus Die Kunst des Straßenbaus: Darum lernen 23 Mongolen in Halle und Magdeburg

Von Oliver Müller-Lorey 20.03.2018, 09:00
Norovsuren Dorjragchaa ist einer von 23 Mongolen, die in Sachsen-Anhalt zu Straßenbauern ausgebildet werden. Los geht’s mit Mauern.
Norovsuren Dorjragchaa ist einer von 23 Mongolen, die in Sachsen-Anhalt zu Straßenbauern ausgebildet werden. Los geht’s mit Mauern. Andreas Stedtler

Halle - In der lichtdurchfluteten Halle am Ortsausgang von Holleben, einem Dorf im Saalekreis, riecht es nach frisch angerührtem Mörtel. Ein wenig staubig, wie früher im Sandkasten beim Sandburgbauen.

Doch mit Sandburgen geben sich die gut ein Dutzend jungen Männer in orangefarbenen Arbeitsjacken nicht ab. Sie schwingen Kelle um Kelle. Klatsch, eine neue Portion Mörtel kommt auf die oberste Ziegelsteinreihe. Flatsch, die nächste Reihe Steine oben drauf. Mörtel, Steine, Mörtel, Steine. Wie am Fließband ziehen sie die Mauer hoch.

Heute ist der „Kreuzverband“ dran, eine spezielle Art zu mauern. Eigentlich nichts Besonderes in einem Ausbildungszentrum für Bauberufe - wenn die Azubis nicht allesamt aus der Mongolei stammen würden.

Neue Autobahnen mit Know-how aus Sachsen-Anhalt

Sie sind nach Sachsen-Anhalt gekommen, um die Kunst des deutschen Autobahnbaus zu lernen. Bevor es aber ans Asphaltgießen geht, sind die Grundlagen dran. Auch ein künftiger Straßenbauer muss mauern können. Später werden einige der Mongolen mit ihrem Know-how aus Sachsen-Anhalt ein neues Autobahnnetz in der Mongolei aufbauen.

Einer von ihnen ist Norovsuren Dorjragchaa, der mit der Kelle in der Hand vor seiner hochgezogenen Mauer steht und stolz sagt: „Wir bauen eine Brücke zwischen Deutschland und der Mongolei.“

Zumindest das mit dem Bauen ist wörtlich zu nehmen. In der Mongolei gibt es laut sachsen-anhaltischer Ingenieurskammer keinen einzigen Kilometer Autobahn. „Die Chinesen bauen derzeit zwar den ersten kurzen Abschnitt zwischen der Hauptstadt Ulaanbaatar und dem Flughafen. Allerdings wird mangelhaft gearbeitet“, sagt Kammer-Präsident Jörg Herrmann, der bereits mehrere Male vor Ort war und mit Beteiligten gesprochen hat. „Den Rest des Landes verbinden Bundesstraßen auf Kreisstraßen-Niveau.“

Doch die Mongolen wollen sich damit nicht abfinden. Das Straßennetz soll durch Autobahnen nach deutschem Vorbild ergänzt werden. Hilfe holt sich das zentralasiatische Land aus dem Mutterland der Autobahnen.

Inzwischen haben sich die Mongolen gut eingelebt

Norovsuren Dorjragchaa, der junge Mann an der Mauer im Kreuzverband, will nach seiner Ausbildung noch drei bis vier Jahre in Deutschland bleiben. „Ich brauche noch viel Erfahrung“, sagt er und nickt, so als wolle er sich seine Einschätzung bestätigen. „In Deutschland zu lernen ist für mich eine große Ehre. Deutschland hat viel Erfahrung mit Innovationen, guter Ausbildung und ein hoch qualifiziertes Autobahnnetz.“ Hoch qualifiziert.

Dieses Wort benutzt der 21-Jährige fast immer, wenn es ihm um deutsche Ausbildung oder deutsche Straßen geht. Fast scheint es, als sei es zu seinem Lieblingswort geworden. Dabei sprachen bis vor einigen Jahren die 23 Mongolen kein Wort Deutsch, geschweige denn wussten sie, was ein „Ausbildungszentrum Bau“ oder dass Holleben ein Dorf im Saalekreis ist.

Doch inzwischen haben sie sich gut eingelebt. „Sechs Wochen lang haben wir schon zusammen mit deutschen Kollegen auf der Baustelle der B 91 zwischen Halle und Merseburg gearbeitet“, sagt Norovsuren Dorjragchaa. „Die Deutschen sind sehr freundlich zu uns und helfen uns beim Deutschlernen.“

Asiaten kochen am mongolischen Neujahrsfest für Ausbilder

Er und seine Landsleute leben in einem Internat in Holleben, mit eigener Küche, in der gelegentlich mongolisch gekocht wird. „Exotische Zutaten brauchen wir dafür nicht“, sagt er. Mehl, Fleisch und Gewürze würden für die meisten Gerichte genügen. Und manchmal, zuletzt am mongolischen Neujahrsfest Mitte Februar, kochen die Asiaten auch für ihren Ausbilder mit.

In seinem Büro in einer Ecke der Maurer-Lehrwerkstatt liegt noch ein Zettel mit allerlei mongolischen Gerichten samt deutscher Aussprache. Egal ob Buuds (Teigtaschen mit Hackfleisch), Chuuschuurm (paniertes Hammelfleisch mit Zwiebeln und Knoblauch) oder Airag (fermentierte Pferdemilch) - das Essen habe geschmeckt, hört man im Ausbildungszentrum.

Weil die Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche in Holleben begrenzt sind, machen sich die Azubis am Wochenende auf den Weg nach Halle. „Manchmal spielen wir auch Basketball oder Tischtennis. Diese Sportarten sind in der Mongolei sehr beliebt, auch wenn unsere Nationalsportarten Ringen, Bogenschießen und Pferderennen ist.“

Um den Kontakt mit der Heimat nicht völlig zu verlieren, schauen die jungen Männer abends mongolische Serien und Filme auf Youtube: Im Sommer dann geht es für Norovsuren Dorjragchaa das erste Mal seit Ausbildungsbeginn in die Heimat. Ob er schon Heimweh hat? „Nein, mein Ziel ist größer als das Heimweh“, sagt er.

Rund die Hälfte aller Mongolen wohnt in der Haupstadt

Dieses Ziel hat auch viel mit Norovsuren Dorjragchaas eigener Vergangenheit und der uns Deutschen so fremden Mongolei zu tun. Rund die Hälfte aller Mongolen, das sind etwa drei Millionen Menschen, wohnt in der Hauptstadt.

Ansonsten gibt es in dem riesigen Land - von der östlichen bis zur westlichen Grenze sind es auf der Straße knapp 3.000 Kilometer - nur vier, fünf kleinere Städte. „Der Rest sind Nomaden, so wie meine Eltern“, erzählt der junge Mann. „Sie wohnen und arbeiten auf dem Land im Tourismus-Sektor auf einem Camping-Platz.“

Schlechte Infrastruktur in der Mongolei

Auch Norovsuren Dorjragchaa wuchs mit dem Geschäft mit den Touristen auf und arbeitete als Reiseleiter. Doch weil sein Bruder Straßenbauer ist, wusste er auch um die schlechte Infrastruktur in der Mongolei. „Im Moment sind wir noch von dem Abbau von Rohstoffen abhängig. Aber die Kohle ist irgendwann weg und wir müssen mit Tourismus unser Geld verdienen. Touristen wollen hoch qualifizierte Autobahnen“, meint er.

Dass die Auszubildenden ausgerechnet in sachsen-anhaltischen Firmen lernen, ist dabei kein Zufall. „Es gab schon zu DDR-Zeiten Wirtschaftsbeziehungen in die Mongolei“, sagt Herrmann.

Die wurden vor fünf Jahren wiederbelebt: Im Jahr 2013 knüpfte die Ingenieurkammer auf einer Tagung in Magdeburg erste Kontakte zu einer mongolischen Delegation. Es folgten gegenseitige Besuche mit dem Wirtschaftsministerium und Botschaftern. 2015 wurde klar: Sachsen-Anhalt wird beim Aufbau des mongolischen Autobahnnetzes eine wichtige Rolle spielen - als Ausbildungsland.

Zehn Mongolen lernen bei Papenburg

Mit Bauplänen allein ist es nicht getan. „Als wir in der Mongolei waren, wurde uns gesagt, dass es einen Rückstand gibt, was die Ausbildung betrifft“, erzählt Herrmann von einer seiner zahlreichen Reisen in das zentralasiatische Land. „Der Plan ist, die Jugendlichen nach europäischem Vorbild auszubilden.“

Die Interessen hinter der internationalen Zusammenarbeit sind sehr verschieden. „Den Großteil der Kosten trägt die mongolische Seite“, sagt Herrmann. Schließlich würde sie sich viele Rückkehrer mit Fachwissen wünschen. „Die Ausbildungsbetriebe wollen hingegen, dass die Mongolen hier in Sachsen-Anhalt bleiben“, so der Kammer-Präsident. Einer ist der hallesche Bau-Riese Papenburg, bei dem gleich zehn Mongolen, darunter Norovsuren Dorjragchaa, lernen.

Es fehlt in Halle an Fachkräften im Straßenbau

„Wir wurden angesprochen, ob wir Interesse haben, die Mongolen auszubilden, und das Interesse war da. Es gibt nur noch wenig Bewerbungen und die sind wenig qualifiziert“, sagt Unternehmenssprecherin Angela Papenburg. Gerade in Bereichen wie dem Straßenbau fehlten Fachkräfte. „Die Idee ist, dass die mongolischen Azubis hierbleiben und übernommen werden“, sagt sie.

Bislang sei die Firma äußerst zufrieden, besonders was den Fleiß angehe. „Ein Auszubildender musste jeden Morgen mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Holleben nach Calbe fahren.“ Er habe sich nie beschwert.

Wie viele Mongolen am Ende der Ausbildung in Deutschland bleiben, wisse man nicht, sagt Herrmann. „Aber wir schreiben natürlich niemandem vor, bleiben zu müssen. Idealerweise ist das Verhältnis fifty-fifty.“ (mz)

Norovsuren Dorjragchaa ist einer von 23 Mongolen, die in Sachsen-Anhalt zu Straßenbauern ausgebildet werden. Los geht’s mit Mauern.
Norovsuren Dorjragchaa ist einer von 23 Mongolen, die in Sachsen-Anhalt zu Straßenbauern ausgebildet werden. Los geht’s mit Mauern.
Andreas Stedtler