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Investitionen im Gegenwind Bürger gegen Großprojekte: Sind Investoren in Sachsen-Anhalt bald nicht mehr willkommen?

Bei Halle soll ein großer Industriepark entstehen, doch Anwohner wehren sich dagegen. Ansiedlungen stehen immer häufiger in der Kritik.

Von Steffen Höhne 19.06.2022, 21:28
Der Star Park I vor den Toren Halles ist voll. Ein zweiter Industriepark soll in unmittelbarer Nähe entstehen. Doch Anwohner kritisieren das heftig.
Der Star Park I vor den Toren Halles ist voll. Ein zweiter Industriepark soll in unmittelbarer Nähe entstehen. Doch Anwohner kritisieren das heftig. Foto: Solvio Kison

Halle/MZ - Für Ansiedlungsprojekte und neue Investoren ist die Tür in Sachsen-Anhalt immer weit offen gewesen. Doch das ändert sich. Großprojekte bekommen im südlichen Sachsen-Anhalt zunehmend Gegenwind aus der Bevölkerung wie der „Star Park II“ zeigt. Eine Bürgerinitiative mobilisiert gegen das geplante Industriegebiet, das in den nächsten Jahren zwischen der A14 und den Dörfern Naundorf und Dölbau (Saalekreis) entstehen soll. Bei einer Unterschriftensammlung waren bis Anfang Juni mehr als 2.200 Stimmen zusammengekommen.

Ein 200 Hektar großes Areal soll für 150 Millionen Euro erschlossen werden, um Großansiedlungen zu ermöglichen. Bürgermeister Steffen Kunning (parteilos) wirbt für das Projekt, das neue Jobs und Gewerbesteuern für die Gemeinde bringen soll. In der Region gebe es genug Arbeitsplätze, es fehle überall an Personal, schreibt dagegen die Bürgerinitiative, die vor allem den zusätzlichen Verkehr und Lärm für die Anwohner fürchtet. Eine Abstimmung in einer Ausschusssitzung der Gemeinde über das Industrieareal wurde am Anfang Juni auf Druck der Gegner vertagt.

In der lokalen Politik und der Wirtschaft ist die Aufregung groß: „Die Wirtschaft generell und vor allem Investoren benötigen verlässliche Rahmenbedingungen und damit Planungssicherheit“, sagt Reinhard Schröter, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau. Es sei deshalb eine wichtige Aufgabe, dass „die Bürger frühestmöglich mitgenommen werden bei Standortentwicklungen, auch im Sinne zukünftig guter Nachbarschaft.“ Sachsen-Anhalts Strukturwandel-Staatssekretär Jürgen Ude (parteilos) sieht das ähnlich und wirbt für das Projekt: „Es ist nicht sinnvoll, in dem neuen Industriepark wieder Logistik-Unternehmen oder irgendwelche verlängerten Werkbänke anzusiedeln. Das haben wir nicht mehr nötig. Wir wollen dort Technologie-Unternehmen und innovative Start-ups eine Heimat geben.“

Auch die geplante Erweiterung des Flughafens Leipzig/Halle für die Frachtflugairlines von DHL und Amazon steht massiv in der Kritik. Mehrere Bürgerinitiativen fordern einen Stopp, auch in den angrenzenden Gemeinden rumort es. Der Freistaat Sachsen überlegt nun, betroffene Gemeinden mit 40 Millionen Euro zu entschädigen. So könnte die Stadt Schkeuditz eine neue Schwimmhalle bekommen, auch die Gründung einer Stiftung, die fortlaufend Zahlungen an die Gemeinden leistet, ist im Gespräch. Das Land Sachsen-Anhalt plant aktuell keine solche Initiativen.

Nach Ansicht von Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden hat sich der Wind gedreht: „Kritik einzelner Bürger gab es schon immer, doch heute organisieren sich diese besser und erhalten auch politische Unterstützung.“ Fast alle Investitionen seien gesamtwirtschaftlich positiv zu bewerten, doch häufig hätten die betroffenen Kommunen zu wenig davon. „Wenn die Steuermehreinnahmen über den kommunalen Finanzausgleich gleich wieder abfließen, dann sind kritische Nachfragen der Bürger berechtigt“, so Ragnitz.

Dass Proteste von Bürgern und Umweltschützern durchaus Erfolg haben, zeigte sich zuletzt: Der Investor Kronos Solar wollte bei Zehbitz (Anhalt-Bitterfeld) auf 80 Hektar einen großen Solarpark bauen. Nach heftiger Kritik von Anwohnern wurde das Thema im Stadtrat vertagt und hängt nun in der Warteschleife. Umweltschützer liefen auch gegen einen Industriepark bei Sangerhausen Sturm, weil sich dort geschützte Hamsterpopulationen befinden. Das Großprojekt ist inzwischen vom Tisch und wird an anderer Stelle verfolgt.