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78 Millionen Euro Steuerschaden 78 Millionen Euro Steuerschaden: Dieselpanscher aus Burg vor Gericht

Von Ralf Böhme 20.09.2016, 20:00
Prozess zu Steuerhinterziehung in Millionenhöhe in Magdeburg
Prozess zu Steuerhinterziehung in Millionenhöhe in Magdeburg DPA/Symbol Lizenz

Magdeburg - So liebevoll ist es selten zugegangen auf einer Anklagebank in Sachsen-Anhalt. Im Magdeburger Landgericht, seit Dienstag der Schauplatz des größten Dieselpanscher-Prozesses aller Zeiten in Mitteldeutschland, wurde Christoph Adalbert B. geherzt und geküsst. Der 55-jährige, für die Zollfahnder einer der ganz großen Strippenzieher in dem mafiösen Gewerbe, durfte sich der leidenschaftlichen Zuwendung seiner jungen Lebensgefährtin erfreuen - vor den wachsamen Augen von drei Ordnungshütern der Justiz.

Neben Pärchen weitere sechs Männer vor Gericht

Anders als ihr nach eigener Aussage noch verheirateter Freund, der nach einer Verfolgung durch Zielfahnder seit Monaten in Untersuchungshaft sitzt, ist die 37-jährige Vanessa Z. mit den perfekt gestylten Fingernägeln jedoch auf freiem Fuß. Die Vorwürfe in der Sache treffen aber auch die Dame im eleganten schwarzen Zwirn. In dem Prozess geht es nach Auskunft von Gerichtssprecher Christian Löffler um Steuerhinterziehung von rund 78 Millionen Euro bei der Herstellung von Kraftstoff. Neben dem Pärchen stehen noch sechs Männer vor den Richtern der Wirtschaftsstrafkammer unter Vorsitz von Gerhard Köneke. Sie sollen gleichfalls in das geheimnisumwitterte Geschehen rund um einen kleinen Chemiebetrieb in Burg (Jerichower Land) verwickelt sein.

Das ominöse Grundstück, um das an derer Stelle ein heftiger Rechtsstreit entbrannt ist, besitzt einen zweifelhaften Ruf: Es gilt als wichtiger Herstellungs- und Umschlagplatz, den in den vergangenen Jahren offenbar schon mehrere Firmen für dubiose Treibstoffgeschäfte genutzt haben. Der Trick dabei ist im Grunde immer gleich: Diesel, den man über ein Firmengeflecht in halb Europa an den Mann bringt, wird beim Verkauf als etwas anderes deklariert. Läuft die Betrugsmasche auf beispielsweise Biodiesel hinaus, muss dafür keine Energiesteuer an den Staat gezahlt werden.

Keine besondere Gefahrenlage

Obwohl es um sehr viel Geld geht und den Angeklagten immerhin Strafen bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug drohen können, sieht man im Landgericht laut Sprecher Löffler keine besondere Gefahrenlage. „Wir brauchen dafür keinen Hochsicherheitstrakt.“ Übliche Vorkehrungen würden genügen. Die Wahrscheinlichkeit einer Flucht halte man für gering. Insgesamt sei die Situation anders als zum Beispiel bei einem Verfahren gegen Gewaltverbrecher oder Terroristen. Niemand erwarte, dass ein Hubschrauber auf dem Dach über dem Gerichtssaal C 24 landet und dann vielleicht mit dem Hauptangeklagten entschwebt. Wie der Schlagabtausch in Magdeburg erfolgt, zeichnet sich bereits ab. Zum Einsatz kommt vermutlich das gesamte Spektrum der juristischen Waffen. Dabei greifen die Angeklagten auf insgesamt 17 Rechtsanwälte zurück, teils aus namhaften Kanzleien. Dort sollen die Tagessätze mitunter zwischen 1 000 und 2 000 Euro liegen. Der Anklage, bestehend aus drei Vertretern der Staatsanwaltschaft unter Leitung von Uta Werner, sitzen in drei Reihen die Beschuldigten und ihre Verteidiger gegenüber. Rein optisch macht das nicht den Eindruck eines Gleichgewichts.

Antrag auf Aussetzung des Verfahrens

Dieses Kräfteverhältnis im Saal bekommt Richter Köneke von der ersten Prozessminute an zu spüren. Nach Feststellung der persönlichen Angaben der Angeklagten geht es los mit einem ersten Antrag auf Aussetzung des Verfahrens. Was folgt, die erste von vielen Pausen an diesem Tag. Der Antrag wird hintan gestellt, so dass der Berliner Rechtsanwalt Panos Pananis ein vorbereitetes 30-seitiges Glanzstück - eine Rüge zur Besetzung des Gerichts. Der Spezialist für komplexe Steuerstrafsachen, so etwa im Berliner Bankenverfahren oder im Ermittlungskomplex BayernLB, sucht und findet Unstimmigkeiten bei der Verteilung der Aufgaben, sieht die Rechte seines Mandaten Christoph Adalbert B. in Gefahr. Welche Auswirkungen das auf das vorerst bis Januar geplante Verfahren haben kann, bleibt offen. Zumindest am ersten Tag bleibt die Staatsanwaltschaft so gut wie sprachlos.

Nebeneffekt der anwaltlichen Recherche: Nun ist klar, dass das Landgericht Magdeburg über die Einrichtung einer zweiten Wirtschaftsstrafkammer nachdenkt. Momentan sind 15 große Prozesse anhängig. Das ist, wie sich herausstellt, einfach zu viel Arbeit für nur drei Richter. Zudem sind weitere Großverfahren, heißt es in Justizkreisen, bereits in Sichtweite. (mz)