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  7. 60 Jahre Barkas 1000: Wieso der „Bulli des Ostens“ nach der Wende verschwand

60 Jahre „Bulli des Ostens“ „Konkurrenz war nicht gewollt“ - Die tragische Geschichte des Barkas 1000

Vor 60 Jahren wurde der Barkas 1000, das DDR-Pendant zum VW-Bus, erstmals vorgestellt. Heute ist der „Schnelltransporter“ nur noch selten zu sehen, die Produktion wurde nach der Wende gestoppt. Über einen automobile Werdegang voller Höhen und Tiefen, verpassten Chancen – und einer späten Wiederentdeckung.

Aktualisiert: 02.11.2022, 09:14
Jürgen Rehm, ehemaliger Konstrukteur der Barkas Werke, steht vor dem letzten vom Band gelaufenen Barkas 1000/1 mit Viertaktmotor im Museum «Zeitwerkstadt».
Jürgen Rehm, ehemaliger Konstrukteur der Barkas Werke, steht vor dem letzten vom Band gelaufenen Barkas 1000/1 mit Viertaktmotor im Museum «Zeitwerkstadt». Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Halle/Chemnitz/MZ - An seine letzte Fahrt im B 1000 kann sich Jürgen Rehm noch gut erinnern. Ende der 90er Jahre muss das gewesen sein, als der Konstrukteur die trägen 50 PS bei einem Oldtimertreffen über die Porsche-Teststrecke in Sachsen scheuchte. „Ehe der mal aus der Suppe kommt“, lacht Rehm heute. Der 82-Jährige darf das. Schließlich hat er selbst an der Entwicklung des DDR-Busses mitgearbeitet.

Erzählt Rehm heute von dieser Zeit, schwingt allerdings wenig Pathos mit. „Alles hat seine Zeit“, winkt er ab. Konstrukteur eben. Und doch erinnert er sich an viele Details seiner jüngsten Spritztour im B 1000. Den Viertakt-Motor, die Scheibenbremsen, die verbesserte Kupplung. Farbe? IFA-Blau. So ganz lässt der „Bulli des Ostens“ Rehm doch nicht los. Denn seine Geschichte ist eine mit Höhen und Tiefen, verpassten Chancen – und einer späten Wiederentdeckung.

Jubiläum für DDR-Oldtimer: Der Barkas 1000 feiert seinen 60. Geburtstag

Der B 1000 feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag. 1962 wurde das Modell auf der Leipziger Frühjahrsmesse erstmals vorgestellt. Egal ob als Polizeiauto, Feuerwehrauto, Krankenwagen, Handwerkermobil oder Armeetransporter – der knubblige Bus fungierte fortan als Lastenesel der DDR. Für die meisten Privatkunden blieb der Kleinbus allerdings unerreichbar. Lediglich Familien mit vier Kindern oder mehr konnten sich um ein Modell bemühen. Laut Entwickler Jürgen Rehm verließen zwischenzeitlich 7.200 Modelle pro Jahr das Werk, über die Hälfte der Autos wurde ins Ausland exportiert. Nach Ungarn, aber auch nach Belgien oder in die Niederlande. „Deshalb ist er hier heute nicht so verbreitet“, sagt Rehm.

Der B 1000 gehörte zur Spitzengruppe.

Jürgen Rehm / Barkas-Entwickler

Schade, findet er. Denn während die Nachfolger des damaligen Rivalen – der VW-Bus – bis heute produziert werden, ist der Barkas nur noch ein seltener Gast auf dem hiesigen Asphalt. Dabei stand der DDR-Bus seiner Konkurrenz aus dem Westen zum Produktionsstart in nichts nach. Im Gegenteil: „Der B 1000 gehörte zur Spitzengruppe“, sagt Rehm. Was ist passiert?

Export der Barkas-Modelle spült Devisen in DDR-Staatskasse

In den ersten Produktionsjahren spülte der Export des Transporters wertvolle Devisen in die DDR-Staatskasse. Im Gegensatz zum VW-Bus glänzte der B 1000 damals bereits mit effizientem Frontantrieb. Weitere Pluspunkte: eine niedrige Ladefläche und viel Stauraum. Mit seinen anfangs 42 PS aus einem Zweitakt-Motor und einer Höchstgeschwindigkeit von rund 100 Kilometern pro Stunde bot der „Ost-Bulli“ aus heutiger Sicht etwa die gleiche „Entschleunigung“ wie ein VW T1.

Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienst - der B 1000 war der Lastenesel der DDR. Heute ist er fast nur noch im Museum zu sehen.
Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienst - der B 1000 war der Lastenesel der DDR. Heute ist er fast nur noch im Museum zu sehen.
Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Was den Barkas auszeichnete, waren indes seine über 40 verschiedenen Spezialausbauten – von der Pritsche bis zum Krankenbett für Notoperationen samt aufgeschweißtem Hochdach. Und dann ist da ja noch das Design: „Er war ein hübsches Auto“, erinnert sich Siegfried Bülow, ehemaliger Produktionsleiter und späterer Geschäftsführer der Barkas-Werke. Doch auch die knuffigen Rundscheinwerfer konnten den beliebten „Schnelltransporter“ nicht retten.

In den 1980er Jahren – Siegfried Bülow war damals Produktionsleiter – traf die Mangelwirtschaft der DDR auch die Barkas-Produktion. „Der Bus war ein ungeliebtes Kind der Partei“, sagt Bülow. Die Staatsspitze drehte das Geld ab: Kein neues Werkzeug, Bleche und Ersatzteile waren Mangelware. Die Folge: Die Ingenieure mussten improvisieren. Man habe irgendwie versucht, den B 1000 konkurrenzfähig zu halten, erzählt Bülow.

Politische Entscheidung? Wendezeit bedeutet das Aus für Barkas

Eine Schiebetür spendierten sie dem Bus, später auch Scheiben- statt der veralteten Trommelbremsen. Doch angesichts verschlissener Werkzeuge und fehlender Teile mussten die Mitarbeiter bei der Produktion immer häufiger tricksen. „Jedes Auto ist quasi ein Unikat“, schmunzelt Bülow. Auch Konstrukteur Jürgen Rehm blickt mit Wehmut auf diese Zeit: „Wir wären in der Lage gewesen, ein moderneres Fahrzeug auf die Beine zu stellen. Aber Konkurrenz war nicht gewollt.“ Gemeint ist: Konkurrenz zum Westen.

Mit der Wendezeit beginnt schließlich das Ende der Barkas-Produktion. Dem inzwischen veralteten B 1000 wurde noch ein Viertakt-Motor von VW eingepflanzt. Ein letztes, hoffnungsloses Aufbäumen. Im April 1991 wurde die Produktion nach nur 1.455 modernisierten Fahrzeugen endgültig eingestellt. Den Übergang in die Privatwirtschaft des ehemaligen VEB sollte damals Siegfried Bülow begleiten. Doch wirklichen Willen zur Erhaltung der Marke konnte der damalige Geschäftsführer nicht erkennen: Man habe ihm einen Barscheck über 150 Millionen Mark in die Hand gedrückt, erinnert er sich. Das Motto: Macht mal! „Das war alles ein bisschen seltsam.“

Früher Barkas, später Porsche: Nach dem Ende der Barkas-Werke holte Siegfried Bülow mit dem Porsche-Werk in Leipzig wieder tausende Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zurück nach Ostdeutschland.
Früher Barkas, später Porsche: Nach dem Ende der Barkas-Werke holte Siegfried Bülow mit dem Porsche-Werk in Leipzig wieder tausende Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zurück nach Ostdeutschland.
Foto: Porsche AG / Marco Prosch

Auch der Markt für den langgedienten Lastenesel brach nach der Wende ein. Die meisten ehemaligen DDR-Bürger wünschten sich nun ein West-Auto. „Wie alle DDR-Produkte wurde er zum moralisch verschlissenen Produkt erklärt“, meint Bülow. Das hat sich inzwischen gewandelt.

Lange unter dem Radar vieler Oldtimerfans hat sich der „Ost-Bulli“ heute zur beliebten Perle gemausert. Fahrtüchtige Exemplare werden kaum noch unter 10.000 Euro gehandelt, für gut erhaltene Sondermodelle werden auch mal über 30.000 Euro fällig. Ersatzteile sind allerdings schwer zu bekommen, es gibt sie nur noch als Nachbau. „Ich stelle heute eine große Sammlerbewegung fest“, sagt auch Ex-Geschäftsführer Bülow. Aber was treibt sie an, die Barkas-Liebhaber? „Es ist wahrscheinlich die Nostalgie.“

DDR-Oldtimer im Aufwind: Gebrauchtpreise für Barkas-Modelle steigen

Barkas-Entwickler Jürgen Rehm besitzt kein Exemplar mehr. Wie steht es bei ihm um die Nostalgie? Um den Wunsch nach einer Fahrt im B 1000? Im Vergleich zu modernen Fahrzeugen sei er natürlich alt, meint Rehm. Keine Servolenkung, kein ABS, keine Klimaanlage. „Aber ich würde das schon gern mal wieder machen.“ Ex-Geschäftsführer Bülow hat heute seinen Frieden mit dem Ende von Barkas gefunden. „Unter ökonomischen Gesichtspunkten war das nicht fortzusetzen“, sagt er knapp. Geschäftsmann eben.

Nach seiner Barkas-Zeit machte Bülow zunächst Karriere bei Volkswagen. Anfang der 2000er Jahre baute er schließlich das Porsche-Werk in Leipzig auf und holte so wieder tausende Arbeitsplätze in der Automobilbranche zurück nach Ostdeutschland. Doch auch ihn lässt der „Ost-Bulli“ nicht ganz los. Weit über 100.000 Kilometer habe er immerhin hinterm Steuer eines B 1000 verbracht. Zuletzt vor zwei Jahren, ebenfalls bei einem Oldtimerevent. Und, welche Farbe hatte das Modell? Die Antwort kommt ohne Zögern: „Grün.“