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Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Landtag verabschiedet Weltmeister

Von HENDRIK KRANERT 19.11.2008, 18:09

MAGDEBURG/MZ. - Ja, keinem Parlamentarier oder Minister galt der Beifall, sondern dem dienstältesten Stenografen des Landtages.

Mit Kehrer geht einer, der die Geschichte des Parlaments von Beginn an mitverfolgt und mitgeprägt hat. Das klingt merkwürdig, denn schließlich sind es doch Politiker, die Debatten prägen. Doch Kehrer widerspricht: "Wir Stenografen schreiben nicht auf, was der Redner gesagt hat, sondern was er sagen wollte." Denn nur in den wenigsten Fällen entspricht das gesprochene Wort auch Sätzen, die niedergeschrieben verständlich sind. "Am schlimmste sind jene Sätze, die nicht zu Ende geführt werden oder gar nicht aufgehen."

So verwunderte es Kehrer auch nicht, dass ausgerechnet Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) bei der Verabschiedung beiläufig fragte, ob Kehrers Abschied mit ihm zu tun habe. "Es wird doch nicht an meiner schlechten Aussprache liegen", mutmaßte Bullerjahn. Doch da konnte Kehrer lachend dementieren: "Mit 72 will ich jetzt einfach ein bisschen kürzer treten."

Bereits als Zehnjähriger hatte er bei seiner Mutter angefangen, Steno zu lernen. Nach dem Abitur studierte er Slawistik, doch "die DDR hatte zu viele Slawisten ausgebildet", erinnert er sich. Für Kehrer die Chance, der Berufslenkung zu entgehen - und sich als Stenograf 1959 selbständig zu machen. Kehrer galt schon bald als Koryphäe, auch im Ausland. Er entwickelte ein Kürzungssystems, um noch schneller Stenografieren zu können. Kehrer wurde so mehrfach DDR-Meister und krönte seine Laufbahn 1989 auf der ersten Weltmeisterschaft der Stenografen mit dem Weltmeistertitel.

530 Silben pro Minute waren seine Spitzenleistung - die normale Redegeschwindigkeit in einer Debatte liegt bei 250 bis 300 Silben je Minute. "Manfred Kehrer gehört zur Weltklasse", schrieb Rainer Kreßmann zu dessen 70. Geburtstag in einer Fachzeitschrift.

Das war wohl auch ein Grund dafür dass man Kehrer beauftragte, ein Team für den ersten Landtag in Sachsen-Anhalt nach der Wende zusammenzustellen. Kehrer erinnert sich noch heute an die "unglaublich aufregende Zeit" vor und während der ersten Sitzung am 28. Oktober 1990 in Dessau. Kehrer, der zu DDR-Zeiten vor allem Kongresse stenografiert hatte - "Volkskammersitzungen nur selten, ich war ja kein Genosse" - sah sich plötzlich mit Zwischenrufen konfrontiert. Die sind zwar das Salz in der Suppe jeder Debatte, auf den elektronischen Mitschnitten aber nicht zur hören. "Da muss man sehr genau aufpassen." Sein Bemühen, aus "verquasten Reden anständiges Deutsch zu machen", hat ihm viel Ansehen eingebracht. Nicht wenige Parlamentarier seien nach missglückten Reden zu ihm gekommen und hätten sich für seine Protokollierung bedankt.

Trotz des Angebotes einer Festanstellung im Landtag ist Kehrer Freiberufler geblieben. Und auch jetzt, mit 72, will er seiner Leidenschaft weiter nachgehen. "Stenografie hält geistig fit." Dem sächsischen Landtag, wo er auch arbeitet, will Kehrer treu bleiben - Dresden liegt näher an seinem Heimatort Leipzig als Magdeburg.