Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Kritik am Tourismus-Marketing

Halle/MZ - Eigentlich müsste Jan Geldorf in diesen Tagen ein glücklicher und zufriedener Mensch sein. Denn nach der Erfolgsausstellung „Dutch Design“, die im vergangenen Sommer rund 50 000 Besucher ins Schloss Oranienbaum (Landkreis Wittenberg) gelockt hat, ist sein Heimatland Niederlande dort seit Mitte Juni erneut vertreten. Unter dem Titel „Frischer Wind in Oranienbaum - Die Sprache der Fächer“ werden bis Anfang September auch Teile der einmaligen Fächersammlung aus königlichem Besitz gezeigt.
Frischen Wind - den bräuchte aus seiner Sicht auch die Tourismusförderung in Sachsen-Anhalt. So aber ärgert sich der Direktor eines Busreiseunternehmens ein weiteres Mal über die schlechte Vermarktung der Ausstellungen. „Die 50 000 Besucher im Vorjahr, über die man sich gefreut hat, waren einfach 50 000 Gäste zu wenig“, klagt Geldorf, der seit 2004 auch in Sachsen-Anhalt tätig ist und Fahrten an Orte der Geschichte der Oranier organisiert. Der Grund, warum nicht mehr Besucher kamen, sei einfach: „In den Niederlanden hat von der Schau kaum einer etwas mitbekommen.“
Eine Pressereise etwa habe es erst zur Eröffnung gegeben. „Da sind viele Monate für die Werbung verschenkt worden“, sagt der Unternehmer. Und das sei doppelt bedauerlich. Zum einen spiele die Region Anhalt eine herausragende Rolle in der Geschichte seines Heimatlandes. Und zum anderen bildeten die Niederländer bei den ausländischen Gästen seit Jahren die größte Gruppe in Deutschland (siehe auch „Niederländer an der... “). „Und davon könnte Sachsen-Anhalt deutlich mehr abbekommen.“
Mit seiner Sicht ist der Unternehmer nicht allein. Auch Martin Rahmann, Chef der Beraterfirma Agere aus Erkrath (Nordrhein-Westfalen), kritisiert die für die touristische Vermarktung zuständige Investitions- und Marketinggesellschaft (IMG). „Es gibt in Sachsen-Anhalt einfach keine strukturierte Vermarktung“, sagt Rahmann, der seit Jahren die Tourismusbranche in Ostdeutschland kennt. So sei die Vermarktung hierzulande fast ausschließlich auf den Harz konzentriert. „Damit verschenkt das Land aber viel Potenzial.“
Doch auch eine gezielte Ansprache von wichtigen Zielgruppen fehle. Im Ausland etwa müsse der Fokus viel stärker auf den Beneluxstaaten liegen. „Vor allem die Niederländer suchen immer neue Ziele.“ Und im Inland sollte Sachsen-Anhalt vor allem um Gäste aus Bayern werben. „Die bleiben bisher meist in Thüringen hängen“, sagt der Berater. „Da müsste sich die IMG einmal fragen, warum die Leute nicht 150 Kilometer weiter fahren.“ Eine Antwort liefert er gleich mit. Sachsen-Anhalt habe es bis heute nicht geschafft, „sein Image aufzupolieren“. Das Land habe deutschlandweit zwar die meisten Unesco-Welterbestätten wie die Luthergedenkstätten und die Altstadt von Quedlinburg. „Doch das weiß kaum einer.“
Sachsen-Anhalt hat 2012 erstmals klar die Marke von sieben Millionen Übernachtungen überschritten. Davon entfielen 530 000 auf ausländische Gäste. Von denen stellten die Niederländer mit 99 000 Übernachtungen die größte Gruppe dar. Das gilt auch für die bundesweiten Zahlen des Jahres 2011. Von 63,7 Millionen Übernachtungen ausländischer Gäste entfielen 10,6 Millionen auf Besucher aus dem Nachbarland. Das entspricht einem Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 1,6 Prozent. In Sachsen-Anhalt nahm die Zahl der Niederländer 2011 derweil gegen den Trend um 5,2 Prozent ab. Am Ende kamen 98 000 Besucher.
Die Investitions- und Marketinggesellschaft (IMG) wurde 2007 gegründet. Von den 30 Mitarbeitern arbeiten sechs im Tourismusmarketing. Die übrigen Mitarbeiter sind in den Bereichen Standortmarketing, Wirtschaftsförderung, Akquisition und Service angesiedelt. Der Etat für Tourismus- marketing beträgt 1,37 Millionen Euro. Weitere großen Posten sind das Image- und Standortmarketing (1,18 Millionen), Internationale Akquisitionsaktivitäten (eine Million) und das Wirtschaftsmarketing (801 000 Euro).
Ein Grund für die Misere liegt für Rahmann in der Struktur der Tourismusförderung. So gebe es neben der IMG noch den Landestourismusverband, mehrere Regionalverbände und den Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). „Und jeder kocht dabei sein eigenes Süppchen.“ Letztendlich, so sein Fazit, müsse es immer um Kompetenz und Professionalität gehen. „Und dafür brauche ich an der Spitze immer einen starken Tourismusgeschäftsführer.“
Diese Rolle hat in Sachsen-Anhalt seit sechs Jahren Carlhans Uhle als Geschäftsführer der IMG. Die Kritik an den Strukturen kann er dabei nicht nachvollziehen. Im Grundsatz, betont er, habe sich alles bewährt. So sei die IMG für die touristische Außendarstellung des Landes zuständig, das Wirtschaftsministerium für die langfristige Strategie und der Tourismusverband fungiere als Vertretung der Branche gegenüber dem Land. „Die Zusammenarbeit mit dem Ministerium läuft perfekt, und auch mit dem Verband stehen wir im regelmäßigen Austausch“, betont der IMG-Geschäftsführer.
Dass deutschlandweit noch nicht alle Menschen etwas mit Sachsen-Anhalt verbinden, räumt Uhle allerdings ein. „Da sind wir tatsächlich noch nicht da, wo wir sein sollten.“ Das Land weise jedoch bei der Bekanntheit seit Jahren „kontinuierliche Zuwachsraten auf“. Und die starke Fokussierung des Marketings auf den Harz verteidigt er. „Wir müssen mit unseren Stärken werben.“ Immerhin kämen 39 Prozent aller Gäste in diese Urlaubsregion. „Der Harz ist damit ein wesentlicher Faktor, den man nicht weglassen kann.“ Grundsätzlich würden sich jedoch fast alle Regionen unter den beiden Schwerpunktthemen Aktivtourismus und Kulturtourismus in irgendeiner Form wiederfinden.
Deutliche Kritik an der IMG und den anderen Akteuren kommt aber auch aus Sachsen-Anhalt selbst. Bertram Thieme, Direktor des Dorint-Hotels Charlottenhof in Halle, schlägt dabei in die selbe Kerbe wie Rahmann. „Das Land hat es bis heute einfach nicht geschafft, gefestigte touristische Strukturen aufzubauen“, sagt der Hotelmanager des Jahres 2012. „Ich weiß noch immer nicht, was die Akteure eigentlich alle machen.“
Klar benennen kann er indes die Defizite, die ihn seit Jahren stören. „Sachsen-Anhalt hat keine Identität entwickelt“, so der Hotel-Manager. Dabei seien die Voraussetzungen dafür eigentlich gut. „Es wurde aber viel zu wenig darauf gesetzt, Sachsen-Anhalt als ein Kernland europäischer Geschichte zu präsentieren.“
Doch nicht nur das, auch die Bedeutung der Tourismusbranche werde nicht ausreichend erkannt, betont Antje Bauer, Geschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Halle-Dessau. „Die Wahrnehmung als Wirtschaftsfaktor ist unterbelichtet.“ Wie Berater Rahmann fordert die IHK-Expertin eine abgestimmte Kommunikationsstrategie und eine entsprechende Außendarstellung. „Wir haben weiter ein Bekanntheitsproblem, die Menschen wissen viel zu wenig von Sachsen-Anhalt.“
Reiseunternehmer Geldorf wird noch deutlicher. „Die meisten Niederländer wissen nicht einmal, wo Sachsen-Anhalt liegt.“ Daher gelte es für die Touristiker, neue Potenziale zu erschließen. „Bisher habe ich die IMG aber nicht bei uns gesehen.“
Dafür sei sie auch nicht zuständig, sagt Uhle. „Das Auslandsmarketing läuft in Deutschland zentral über die Deutsche Zentrale für Tourismus“, sagt er. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch selbst aktiv werden können.“
Zur Eröffnung der Schau „Frischer Wind“ hat Geldorf aber nicht mal eine Einladung erhalten. „Dabei sind wir die Leute, die Gäste aus den Niederlanden nach Sachsen-Anhalt bringen könnten“, sagt der Unternehmer, der zum Netzwerk Mitteldeutschland-Niederlande gehört. Doch er will nicht aufgeben. So hat er Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) kürzlich ein Buch mit 23 Vorschlägen zur Kooperation mit dem Nachbarland übergeben. „Jetzt hat man mir gesagt, das Buch sei in Magdeburg verschollen“, so Geldorf, „vielleicht liegt es ja irgendwo bei der IMG“.


