Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Der Schulden-Manager

Magdeburg/MZ. - Edgar Kresin macht andauernd Schulden - und findet das auch noch "hochspannend". Der 40-Jährige jongliert jedes Jahr mit zwei bis vier Milliarden Euro. Und wenn der Diplomvolkswirt und zweifache Vater das richtig gut macht, spart er dabei auch noch unser aller Geld. Klingt irre, ist aber Öffentlicher Dienst.
Kresin ist "Leiter des Referats Geld- und Kapitalmarktgeschäfte" beim Finanzministerium: Er ist der Schuldenmanager des Landes. Derzeit hat Sachsen-Anhalt 21 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten. Das Geld hat das Land sich nicht einfach bei der Sparkasse geholt. 30 Prozent laufen über Banken-Kredite oder Schuldschein-Darlehen - 70 Prozent aber über Anleihen, also Schuldverschreibungen. Und all das hat unterschiedliche Laufzeiten und Konditionen. Jährlich muss das Land beträchtliche Summen umschulden - eben zwischen zwei und vier Milliarden Euro. Gerade bei den Anleihen lässt sich durch Geschick und Glück sparen: 2008 musste das Land für seine Schulden 975 Millionen Euro Zinsen zahlen, 2009 waren es 831 Millionen und im Vorjahr 780 Millionen.
Derzeit bekommt das Land, wie Kresin es nennt, "billiges Geld". Für Anleihen über zehn Jahre werden 2,9 Prozent Zinsen fällig, über zwei Jahre 1,3 Prozent. "Pi mal Daumen", schränkt Kresin ein, "das ändert sich quasi sekündlich". Raten, von denen Privatleute für Kredite nur träumen können. Dass das Land so billig Geld bekommt, hat mehrere Ursachen. Anders als Otto-Normal-Schuldner kann ein Bundesland nicht pleite gehen. Und in Zeiten, wo Staaten wie Griechenland mit dem Rücken zur Wand stehen, gelten Schulden "Made in Germany" als solide Finanzarbeit.
Sachsen-Anhalt wird derzeit von den Rating-Agenturen Standard & Poors und Moodys mit der jeweils zweithöchsten Bonitäts-Stufe und von Fitch gar mit der höchsten AAA bewertet. "Fragen Sie mal die Griechen und die Italiener, die würden sich darüber einen Ast freuen." Aber auch gern gesehenen Schuldnern rennen Investoren nicht automatisch die leeren Kassen ein. Um selbst Zeitpunkt, Laufzeit, Umfang und Zinsen von Anleihen bestimmen zu können, braucht das Land einen möglichst großen Kreis potenzieller Investoren. Daher geht Kresin mindestens einmal im Jahr auf eine "Roadshow" nach Asien - dem Eldorado der Schuldner. Allein die Chinesen sitzen auf zwei Billionen Dollar Barreserven. Kresin stellt dann Investoren - Zentralbanken, Versicherungen, Pensionsfonds - Sachsen-Anhalt vor; die Wirtschaftskraft des Landes, seine Liquidität. Der Tanz auf dem internationalen Finanzparkett hinterlässt Spuren bei dem graumelierten Ministerialen. Nicht nur, dass er nur eine Visitenkarte auf Englisch hat, die ihn als "Head of Treasury" ausweist - was sowohl Schatzamt als auch Anlage-Abteilung bedeutet. Ihm fließen auch immer wieder unbewusst Brocken der internationalen Finanzsprache in die Sätze; dann will er etwas "hochleveragen", also hochhebeln. Anfangs musste Kresin, der den Job seit 2003 macht, im Ausland auch erklären, was das überhaupt ist - Sachsen-Anhalt. Ein Kollege aus Bayern habe ihm neulich gesagt, er müsse gar nicht nach China fliegen, er bekomme dort auch so Geld. "Klar, habe ich ihm gesagt: Weil wir und Nordrhein-Westfalen vorher da waren und erklärt haben, was ein Bundesland ist", erzählt Kresin.
Er verwaltet aber nicht nur Mangel, der sich in Milliarden messen lässt - Sachsen-Anhalt hat auch was auf der hohen Kante. 219 Millionen Euro sind im Pensionsfonds, eine Rücklage für die Renten der Landesbediensteten. Auf den ersten Blick ein Widerspruch: Rücklagen bei solchen Schulden. Dadurch muss das Land aber die Pensionen nicht aus dem laufenden Etat zahlen - und kann das Geld mehren. Kresin wird da vom Schuldner zum Investor: Die Fondsgelder stecken zum Großteil in Anleihen europäischer Länder wie Frankreich, Finnland und Deutschland und zu einem Viertel in Aktien und Anleihen. Kresins Job ist, auch da zum jeweiligen Zeitpunkt das günstigste Angebot auszuwählen. Sachsen-Anhalt spielt also gleich doppelt im globalen Finanz-Kasino. Wobei der gebürtige Nordrhein-Westfale betont, seine Arbeit sei kein Zocken. "Ich bin zwar kein Fan der Null-Risiko-Kultur. Der Finanzmarkt bietet eine Masse an Möglichkeiten. Einige davon sind mit Risiken behaftet - und da stellt sich die Frage: Wie geht man damit um?" So habe das Land zwar Anleihen von Spanien und Italien im Portfolio, aber eben auch von soliden Ländern wie Finnland und Deutschland. "Das gleicht sich aus." Das macht den Spannungsbogen aus: So anzulegen, dass das Land kein Geld verliert - aber auch keines verschenkt.
Die Eurokrise sieht Kresin gelassen. "Ich habe ja oft mit Bankern zu tun. Viele sind derzeit oft wie paralysiert, das erschreckt mich dann schon." Die Krise sehe er persönlich aber "nicht so schwarz". Das habe damit zu tun, dass es hierzulande eine solide Einstellung zu Geld und Schulden gebe. "Haushaltskonsolidierung ist bei uns ein hohes Gut. Hier kann man mit der Aussage in den Wahlkampf ziehen, dass man den Haushalt in Ordnung bringen will. Das finde ich gut." Das tut er auch, weil er bei einem irren Schulden-Kurs des Landes Pilot sein müsste. "Auf eine Situation wie sie die Finanzministeriums-Kollegen in Griechenland derzeit erleben, hätte ich keine Lust."
Investoren suchen, Konditionen aushandeln, Millionen investieren: Im Grunde ist Kresin staatlicher Investmentbanker. Warum arbeitet er nicht bei einer Bank für ein sattes sechsstelliges Jahresgehalt? "Sicher, bei einer Bank kann man mehr verdienen. Aber erst neulich hat mir ein Investmentbanker eine Mail aus seinem Büro geschrieben, um 1.11 Uhr nachts. Dabei hat der auch Kinder." Geld ist eben nicht alles. Eine erstaunliche Erkenntnis für einen Finanzexperten. Aber Kresin meint es ernst und kümmert sich ab Januar erst einmal um seine ein- und fünfjährigen Kinder: Er geht in Elternzeit.