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Hatte Stasi mit Tod Barschels zu tun? Uwe Barschel: War Staatssicherheit an mysteriösem des CDU-Politikers Tod beteiligt?

Von Steffen Könau 26.01.2018, 11:00
Ein ARD-Film hat es nachgestellt: So soll Uwe Barschel (Matthias Matschke) in der Badewanne eines Hotels gefunden worden sein.
Ein ARD-Film hat es nachgestellt: So soll Uwe Barschel (Matthias Matschke) in der Badewanne eines Hotels gefunden worden sein. ARD DEGETO/STEPHAN RABOLD

Halle (Saale) - Als Hans Werner W. aus dem Hochhaus springt, ist er ganz allein. Es ist der Morgen des 15. Oktober 1990 und W. hat seinen Jeep schief am Straßenrand vor dem Block 002 geparkt, einem der höchsten Häuser von Halle-Neustadt.

Ein Zeuge wird später bestätigen, dass nur W. in den Fahrstuhl gestiegen ist. Niemand sieht seinen Sturz. Minuten später liegt W. tot auf dem Gehsteig. Die Obduktion ergibt nichts Auffälliges. Die Akte schließt mit dem Vermerk „Selbstmord“.

Was hat der „Millionär von Angersdorf“ mit dem Fall von Uwe Barschel zu tun?

Es sind die Tage des Umbruchs kurz nach dem Vollzug der deutschen Einheit. Auch W. hat auf einmal Probleme. Zu DDR-Zeiten haben sie den Mann, der Ende der 1950er Jahre aus Wiesbaden in die DDR gekommen war, den „Millionär von Angersdorf“ getauft.

W. lebt auf großem Fuß in dem kleinen Dorf: In der Kellerbar des Anwesens an einer Seitenstraße steht die Yamaha-Orgel. Auf dem Hof der Benz. Bei Potsdam liegt eine Jacht. Und wenn Hans Werner W. aufsteht, führte sein Weg hinters Haus, wo ein Swimming-Pool Erfrischung verspricht. Großbürgerliches Leben im Saalekreis des Jahres 1987.

W. ist ein Gewinner. Der 50-jährige drückt Kellnern 100 Mark Trinkgeld in die Hand und hat einen Butler. Das Geld verdient der Mann mit dem Schnauzer mit einer Siebdruckerei: W. erledigt Großaufträge für die SED und druckt Aufkleber, die westliche Comic-Figuren zeigen. Darauf fliegen die Leute bei sozialistischen Volksfesten und Soli-Basaren.

Spitzenkräfte beziehen bei W. Gehälter von 4.000, 5.000 Mark, in Bündeln liegen die Banknoten in seinen Autos. „Das ist doch nur Papier, sagte er immer“, erzählt eine Freundin. Und nie passiert ihm etwas. Keine Ermittlungen, keine Steuerprüfung.

Hans Werner W. alias „IM Kapitalist“: Aufschneider oder wichtiger Geheimdienstler?

Kein Wunder. Schon kurz nach seiner Ankunft in der DDR hat das Ministerium für Staatssicherheit den fließend Englisch sprechenden Exilanten als „IM Kapitalist“ angeworben, wie später mehrere hochrangige Stasi-Offiziere bestätigen. Unklar ist selbst ihnen, was W. eigentlich tut. Er sei nur ein Aufschneider gewesen, sagt ein früherer Major, „stellte sich gern mal mit ,Agent des MfS’ vor“.

Einmal nur habe W. am großen Rad gedreht. „Aber nach dem großen Deal, den er vermitteln wollte“, so ein Ex-Major, „lachte die ganze Bezirksverwaltung, weil die Nato-Nachtsichtgeräte, die er anschleppte, uralt waren.“

Ein Oberstleutnant aus der Bezirksverwaltung Halle dagegen erinnert sich an klare Befehle von oben. „Wenn W. in den Westen fuhr, mussten wir ihn an der Grenze avisieren, damit er nicht kontrolliert wurde.“ Grund seien „Unmengen von Devisen“ gewesen, „die der immer mitführte“. Wozu aber? Was tat Hans Werner W. in der BRD? Und weshalb gewährte ihm das MfS augenscheinlich Narrenfreiheit in der DDR?

Uwe Barschel wurde am 11. Oktober 1987 tot in Badewanne eines Hotelzimmers gefunden

Fragen, die erst aufkommen, als W. längst nicht mehr befragt werden kann. 1993 beginnt der Lübecker Staatsanwalt Heinrich Wille, den Todesfall des schleswig-holsteinischen Ex-Ministerpräsidenten Uwe Barschel neu aufzurollen.

Barschel war am 11. Oktober 1987 tot in der Badewanne eines Zimmers des Hotel Beau-Rivage in Genf gefunden worden. Ein Selbstmord, urteilten die Schweizer Ermittler. Allerdings blieben Fragen offen. Barschel hat Betäubungsmittel im Blut, eine Weinflasche aus dem Zimmer fehlt, unklar ist, weshalb er sich aus dem Urlaub auf Gran Canaria überhaupt nach Genf begeben hatte, wen er dort treffen wollte und warum.

Gerüchte über Barschels Beteiligung an Waffengeschäften und dem Schmuggel von Embargogütern machen die Runde. Belegt werden kann nichts. Doch ein Hauch von James Bond liegt über Lübeck und über dem ganzen Bundesland, das zuvor schon von Affären erschüttert worden ist, in deren Zuge nicht nur Ministerpräsident Barschel, sondern auch dessen SPD-Gegenspieler und Nachfolger Björn Engholm sein Amt hatte abgeben müssen.

Eine Spur in dieser westdeutschen Affäre führt nach Osten, nach Angersdorf

Eine Spur in dieser westdeutschen Affäre führt nach Osten, nach Angersdorf. Die Spur wird heiß durch einen Holger R., dessen brisanten Aussagen erst bei einer Party von einem Besucher aus Westdeutschland belauscht werden und dann in einem Vermerk des Bundesnachrichtendienstes (BND) auftauchen: R. habe angegeben, er sei seit 1985 als „IM Poseidon“ beim MfS registriert und nach eigenen Angaben darauf spezialisiert gewesen, für die Arbeitsgruppe des Ministers (AGM/S) „Mordaufträge“ zu erledigen. R. behaupte weiter, auch W. habe zur AGM/S gehört und er selbst habe „als engster Mitarbeiter des Embargo- und Waffenhändlers“ Kenntnis von dessen geheimen Geschäftsbeziehungen zu Barschel erlangt.

So seien dem Druckereibesitzer bei einem Treffen auf W.s Boot in Potsdam vom Ministerpräsidenten Aufträge zum Waffenkauf übergeben worden. Zudem habe Barschel, vom russischen Geheimdienst angeblich unter dem Namen „Graf“ geführt, W. Bargeld im „mehrstelligen Millionenbereich“ ausgehändigt.

Oberstaatsanwalt Heinrich Wille wittert eine heiße Spur - und wird vorzeitig in Ruhestand versetzt

Oberstaatsanwalt Heinrich Wille, der das Ermittlungsverfahren erst nach einer Strafanzeige der Barschel-Familie eröffnet hatte, wittert in dem Vermerk eine heiße Spur. Fahrer Barschels hatten zuvor bereits ausgesagt, dass ihr Chef zum Teil auf eigentümliche Art in die DDR gereist sei.

An der Grenze habe es keine Kontrollen gegeben, die Reisen sollten zudem nicht im Fahrtenbuch erfasst werden. Wille lässt nichts unversucht, die Zusammenhänge aufzuklären. Doch er kommt nicht weiter. Die Gauck-Behörde enthält ihm Akten vor. Der BND hat nach eigener Auskunft gar keine. Und seine Vorgesetzten dringen auf ein Ende der Ermittlungen. Die auch bei der Angersdorfer Spur nicht weiterkommen.

Das geheime Papier mit dem Aktenzeichen 44-10-50335/94, das die BND-Abteilung Sicherheit/Abwehr Wille hat zukommen lassen, beschreibt die AGM/S als Spezialtruppe des MfS, die sich mit „dem perfekten Töten (Kontaktgifte) befasst“ habe.

Toxikologen finden auf der Badematte von Barschel Spuren eines Lösungsmittels

Das passt grundsätzlich zur Spurenlage bei Barschel, auf dessen Badematte Toxikologen Spuren eines Lösungsmittels finden, das als „Hautöffner“ den Transport von Wirkstoffen unter die Haut beschleunigt.

Aber wie passt es zu den anderen Hinweisen? Zum abgerissen Hemdknopf, dem ausgespülten Whiskyfläschchen mit Betäubungsmittelresten? Der Mafia-Spur, der Spur zum CIA und der Selbstmordthese?

Vier Jahre lang versucht Heinrich Wille, dem Rätsel auf den Grund zu gehen. Er vernimmt Waffenhändler, durchsucht die Stasi-Unterlagenbehörde und kassiert für seinen Aufklärungseifer erst ein Disziplinarverfahren und schließlich die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand.

Währenddessen wird „in dem Maße, in dem Suizid unwahrscheinlicher wurde, Mord wahrscheinlicher“, glaubt er. 1998 wird das Verfahren eingestellt. Wille ist bis heute überzeugt: „Es war ein Mord, der keiner sein durfte.“

Ex-Staatsanwalt Heinrich Wille: „Es war ein Mord, der keiner sein durfte“

Hatte Hans Werner W. damals, kurz nach der Einheit, Angst, ins Visier der Fahnder zu rücken? Wählte er deshalb den Freitod? Einen Freitod, den seine Schwägerin später angezweifelt hat.

W. war ein Kämpfer: Noch im Juli 1990 führt er die Mitarbeiter seiner Firma zur Bezirksverwaltung, um gegen die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens wegen Steuerverkürzung zu protestieren. „Wir machen jetzt Revolution“, ruft W. bei seinem letzten öffentlichen Auftritt.

Im September lässt er sich scheiden, danach fliegt er zum Urlaub nach Teneriffa. Zurück in Angersdorf, wartet das dicke Ende: Mehr als eine Million D-Mark will das Finanzamt. W. kann nicht zahlen.

Fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem Tod Barschels steigt Hans Werner W. ins Auto, fährt nach Halle-Neustadt, betritt den Fahrstuhl von Block 002. Fährt ganz nach oben, in den 21. Stock. Und springt.

Die Stasi-Unterlagenbehörde hat auf Antrag der MZ nach den IM-Akten von „Kapitalist“ und „Poseidon“ gesucht. Es wurde kein einziges Blatt gefunden. (mz)