1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Saalekreis
  6. >
  7. Überwachte Krabbelgruppe: Überwachte Krabbelgruppe: Käfer gehen mit Chip-Rucksack auf Forschungsreise

Überwachte Krabbelgruppe Überwachte Krabbelgruppe: Käfer gehen mit Chip-Rucksack auf Forschungsreise

Von Robert Briest 08.07.2019, 05:00
Der Chip auf dem Rücken des Käfers soll Daten für ein Bewegungsprofil liefern. In den Kästen zählt dieses Exemplar zu den Großen.
Der Chip auf dem Rücken des Käfers soll Daten für ein Bewegungsprofil liefern. In den Kästen zählt dieses Exemplar zu den Großen. Katrin Sieler

Bad Lauchstädt - Der Experimenthelfer mag nicht stillhalten. Als Myriam Hirt ihn in die Luft hält, strampelt er heftig – mit allen sechs Beinen. Es ist ein etwa zwei Zentimeter langer Käfer, auf seinem Rücken klebt ein schwarzer Chip. Dieser ist der entscheidende Baustein für das Experiment, das Projektleiterin Hirt und ihr Team vom Biodiversitätsforschungszentrum Idiv am Freitagmittag in Bad Lauchstädt vorbereiten.

Dort betreibt das Idiv in einer Halle am Stadtrand die Forschungseinrichtung Ecotron. Ein System aus 24 Glaskästen, in denen sich Biosysteme simulieren und manipulieren lassen.

Der große Lederlaufkäfer bringt es auf 1.600 Milligramm

In der Hälfte der Kästen sind gerade kleine Eichen eingepflanzt. Laubstreu liegt jeweils am Boden, teilweise sind dort die Hinterlassenschaften von Schwarzerle, Eiche, Esche und Buche bunt gemischt, teilweise ordentlich getrennt. Zwischen den Kästen auf der Erde stehen kleine durchsichtige Plastikschachteln, in denen es kräftig krabbelt. Die Wissenschaftler sind gerade noch dabei die Käfer zu sortieren. Die Forschungsobjekte variieren stark in Größe und Gewicht. „Die Kleinsten sind Feuerwanzen. Sie wiegen 30 bis 50 Milligramm“, erklärt Hirt. Der große Lederlaufkäfer bringt es dagegen auf 1.600 Milligramm, also 1,6 Gramm.

Die Forscher haben die wirbellosen Tiere in den vergangenen Tagen in Auwäldern der Region gesammelt. Mit ihrer Hilfe wollen sie klären, wie sich Temperaturveränderungen auf die Mobilität der Insekten auswirkt. „Es geht darum, zu verstehen, wie sich Bewegung der Käfer in einer wärmeren Zukunft verändert“, erklärt der beteiligte Jenaer Professor Ulrich Brose. Dabei kommen die kleinen Chips auf den Rücken der Käfer ins Spiel. Es sind Tracker. In den Kästen, von den Forschern „Units“ genannt, sind Lesegeräte verteilt: „Die Sensoren haben ein kleines Magnetfeld. Wenn die Käfer darüber laufen, dann lösen sie es aus.“ So erhalten ihre Beobachter Bewegungsprofile der Tiere.

„Generell kann man erwarten, dass sich die Käfer bei höheren Temperaturen schneller bewegen“

„Generell kann man erwarten, dass sich die Käfer bei höheren Temperaturen schneller bewegen“, nennt Projektleiterin Hirt die Arbeitshypothese. „Aber auch der Stoffwechsel wird schneller. Sie verbrauchen mehr Energie. Das hat Auswirkungen auf die Zusammensetzungen des Streus in der Unit.“ Denn die kleineren Käfer sind sogenannte Zersetzer. Sie ernähren sich von der Streu. Die großen haben dagegen eine andere Nahrung: „Ja, Käfer fressen Käfer“, erzählt Brose.

Die Forscher achten bei der Bestückung der Kästen darauf, dass das Verhältnis der Käferarten in etwa dem in der Natur entspricht. Also viele Zersetzer, wenig Räuber. Hirt sagt, es soll auch geschaut werden, welchen Einfluss die Anwesenheit der Räuber auf die Bewegung der Käfer hat. Vielleicht bewegen sie sich deswegen trotz höherer Temperatur vorsichtiger. Die kleinen Käfer hätten zwar nur einfache neuronale Systeme, aber gerade so etwas Überlebenswichtiges wie die Gegenwart von Räubern könnten sie wahrnehmen, erläutert Brose: „Sonst wären sie ja alle weggefressen.“

Insgesamt setzen die Wissenschaftler etwa 60 Käfer in jeden der Kästen

Insgesamt setzen die Wissenschaftler etwa 60 Käfer in jeden der Kästen. Das sind also mehrere Hundert Kleinsttiere, die sie mit Trackern versehen mussten. Wie macht man das bei Lebewesen, die kaum drei Millimeter groß sind? „Mit Pinzette, Kleber und Feingefühl“, sagt Hirt. Und einem Trick: Packt man die Käfer vorher in der Kühlschrank, werden sie immobiler.

Frieren dürften sie in ihrem Experimentierumfeld nun nicht. Die Temperatur in den Kästen variiert zwischen 24 und 34 Grad. Vermutlich werden sie dort ein bis zwei Wochen beobachtet. „Das hängt davon ab, wie schnell wir Daten haben“, erklärt Brose. „Wenn sie sich wenig bewegen, müssen sie länger bleiben.“ Seiner Kenntnis nach ist es der erste Versuch, systematisch eine Lebensgemeinschaft zu tracken. „Es ist ein Risikoprojekt.“ Mit Ergebnissen nach der Auswertung rechnen er und Hirt im Herbst. (mz)

Idiv-Forscher Ulrich Brose erhofft sich Erkenntnisse zum Temperatureinfluss.
Idiv-Forscher Ulrich Brose erhofft sich Erkenntnisse zum Temperatureinfluss.
Katrin Sieler