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Reportage aus Bad Dürrenberg Reportage aus Bad Dürrenberg: Zwei Kulturen, zwei Sichten

Von Melain van Alst und Robert Briest 17.02.2017, 13:00
Auch in der John-Schehr-Straße wohnen einige rumänische Familien.
Auch in der John-Schehr-Straße wohnen einige rumänische Familien. Peter Wölk

Bad Dürrenberg - Uta Kemnitzer holt ihren dicken Hefter aus dem Schrank. Der liegt dort immer griffbereit. Darin sammelt sie akribisch Telefonnummern von Ansprechpartnern, Briefe von anderen Anwohnern und ihre eigenen Protokolle. Sie hat alles genau aufgezeichnet.

Seit April 2016 sind nach und nach rumänische Familien in die Siedlung nach Bad Dürrenberg gezogen. Insgesamt 38 rumänische Staatsbürger sind nun in der Rudolf-Breitscheid-Straße, der John-Schehr-Straße und der Geschwister-Scholl-Straße gemeldet. Die Anwohner fühlen sich von Lärm, Schmutz und Straftaten belästigt.

Anwohner verstehen Fernbleiben des Vermieters nicht

Auch in ihrem Aufgang an der Rudolf-Breitscheid-Straße hat bis kurz vor dem Jahreswechsel eine der Familien gewohnt. „Von einem Tag auf den anderen war sie aber weg“, sagt Kemnitzer. Das bedeutet für sie jedoch nicht, dass sie nicht weiter für Ruhe und Ordnung in der Siedlung kämpfen will. „Ich weiß, wie es den anderen geht.“

Die Rentnerin war eine der Wortführerinnen bei der Einwohnerversammlung am Dienstag in der Turnhalle der Borlach-Sekundarschule und ist für viele Anwohner zum Anlaufpunkt geworden.

Oft telefoniert sie auch mit dem Eigentümer der Wohnblöcke. So auch wieder am Donnerstag. Wie viele der Betroffenen kann sie nicht verstehen, dass die Firma Algo Bau und Boden keinen Vertreter zu Versammlung geschickt hat. Das habe sie denen auch so deutlich gesagt.

Vorwürfe über Kinderlärm und Dreck im Treppenhaus

Uta Kemnitzer zieht sich Schuhe und Jacke an und geht nur wenige Schritte zur John-Schehr-Straße. Auf der Straße ist es an diesem Donnerstagmittag ruhig. In einem der Aufgänge wohnt eine rumänische Familie mit sieben Kindern. Die Tür zum Haus steht offen.

Anwohner beklagen hier vor allem das ständige Geschrei und Getrampel. Den ganzen Tag würden die Kinder die Treppen auf und ab laufen. Schon in den frühen Morgenstunden würde es ständig klingeln. Auch in das Treppenhaus soll jemand uriniert haben.

Kurz darauf kommt eine Rentnerin hinzu, die gerade bei der Stadtverwaltung in Bad Dürrenberg war. Sie holt einen Brief aus ihrem Rucksack, den sie in der Verwaltung abgegeben hat. „Wir fühlen uns vom Vermieter im Stich gelassen“, sagt sie.

Zugesichert wurde ihr, dass Ende Januar die Familie mit den sieben Kindern ausziehen sollte. Doch nichts geschah. „Ich habe gesehen, wie ein Junge auf dem Weg sein großes Geschäft erledigt hat. Als ich ihn angesprochen habe, ist er weggelaufen“, erzählt die Frau.

Seit 1964 lebt sie in ihrer Wohnung und ist eine von vielen, die in der Zeit eingezogen sind. Viele ältere Menschen wohnen in diesem Viertel - und nun auch die rumänischen Familien.

Sicht einer Anwohnerin aus Bad Dürrenberg: „Sie passen nicht hierher.“

„Sie passen nicht hierher“, sagt eine andere Frau, Anfang 50, mit kurzen blonden Haaren und lila Steppjacke: „Das ist hier sonst ein ruhiges Viertel.“

Ihre Mutter lebe hier seit bald 70 Jahren. Doch mittlerweile traue sie sich abends nicht mehr runter zu den Mülltonnen. Denn dort würden sich die Roma-Kinder treffen. Sie deutet auf eine Gruppe Jungs in blauen Kapuzenpullovern: „Sie sind dreist. Ich hatte hier mal mein Auto abgestellt und schnell eine Beule im Kotflügel.“

Mutter aus Rumänien: „Es sind doch nun mal Kinder, die wollen spielen und die sind auch mal laut.“

Dann schiebt eine Frau, Anfang 30, ihren Kinderwagen aus dem Haus an der John-Schehr-Straße. Schwarzes Haar, dunkle Jacke, langer heller Rock. Deutsch spricht sie kaum, ihre Tochter übersetzt. Sie sei vergangenen April aus Rumänien nach Bad Dürrenberg gezogen. Sie wollte in eine Kleinstadt. In den Großstädten gäbe es zu viele Nazis, sagt sie. Mit den meisten Anwohnern komme sie gut klar. Nur mit dem Ehepaar in der Wohnung über ihr gäbe es häufiger Probleme: „Die wollen immer, dass meine vier Kinder leise sind. Aber es sind doch nun mal Kinder, die wollen spielen und die sind auch mal laut.“

Vorwürfe eines Rumänen in Bad Dürrenberg: Nachbarin werfe ihm Kot auf den Balkon.

Auch Colonel Dumitru sieht keine grundsätzlichen Probleme mit den alteingesessenen Bewohnern im Viertel. Er kommt gerade aus seinem Eingang in der Rudolf-Breitscheid-Straße. Laut Ausweis ist er 51, mit seinem kurzen weißen Haar und der sonnengegerbten Haut wirkt er jedoch älter.

Im April sei er nach vier Jahren in Merseburg hierher gezogen, weil die Miete 200 Euro billiger ist. Seither habe er vor allem Ärger mit einer älteren Nachbarin. „Nazi“, nennt er sie nachdem er seine anfängliche Zurückhaltung abgelegt und sich in immer besserem Deutsch in Rage geredet hat. Ständig gucke sie, was bei ihm los sei, werfe ihm sogar Hundekot auf den Balkon und frage ihn, was er hier wolle und warum er nicht gehe. „Aber wohin? Mein Opa ist 1943 wegen Hitler gestorben. Die haben das Geld genommen.“ Jetzt sei man ein Europa, da könne man wohnen, wo man wolle.

„Deutsche Kinder spielen doch auch.“

Für die Klagen über Lärm hat er kein Verständnis. „Kinder müssten spielen. Deutsche Kinder spielen doch auch.“ Und die rumänischen würden sich sogar an die Ruhezeiten auf dem Spielplatz halten. „Die hören keine Musik, trinken keinen Alkohol.“ Wegziehen ist für den Metallarbeiter Dumitru keine Option, wie er mit Nachdruck erklärt. Glaubt man ihm, so könnte der Romaanteil im Vierteil bald noch steigen: „Im April kommen weitere Familien.“ (mz)

Akribisch dokumentieren die Anwohner die Verstöße.
Akribisch dokumentieren die Anwohner die Verstöße.
Peter Wölk