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Törn auf Geisteltalsee Geiseltalsee: Forscher proben Segeltörn wie vor tausenden Jahren

Von Robert Briest 10.08.2017, 06:30
Tolles Segelrevier, lobt die Crew der „Dilmun S“ den Geiseltalsee.
Tolles Segelrevier, lobt die Crew der „Dilmun S“ den Geiseltalsee. Peter Wölk

Braunsbedra - „Leinen los.“ Dominique Görlitz’ Kommando schallt über den Geiseltalsee. Der Bootschef steht hinten am Ruder und beobachtet, wie die beiden Männer im Schlauchboot die Leine lösen. Sie haben die „Dilmun S“ weit genug auf das von einer Nordostbrise gekräuselte Gewässer gezogen. Ab hier kann sie selbst fahren.

„Segel setzen“, heißt denn auch die nächste Anweisung an die übrigen sechs Crew-Mitglieder, fünf Männer und eine Frau. Sie ziehen auf jedes „Hau-ruck“ an den Seilen. Langsam schiebt sich das rote Rahsegel nach oben. Der Wind greift, wölbt es, das kleine Schiff setzt sich langsam in Bewegung.

Forscher proben auf dem Geiseltalsee einen Segeltörn über das Schwarze Meer

„Wir fahren jetzt Vorwind“, erklärt Görlitz, der wie alle an Bord eine Schwimmweste trägt. Der Naturwissenschaftler aus Chemnitz ist so etwas wie der Forschungsleiter des Törns. Schließlich schippern die Mitgliedern des Abora-Vereins nicht nur zum Spaß über das wasserverfüllte Tagebaurestloch.

Die „Dilmun S“ ist ein Modell für die acht Mal so große „Abora V“, mit der die Segler in drei Jahren über das Schwarze Meer und die Agäis von Sotchi nach Kreta fahren wollen, um die maritimen Möglichkeiten der Menschen der Frühgeschichte nachzuahmen. Das sechs Meter lange und zwei Meter breite Gefährt ist Schiffen auf 6.000 Jahre alten Zeichnungen aus dem Gebiet des heutigen Ägyptens nachempfunden.

Trainingsstunden auf dem Geiseltalsee: Bau der „Dilmun S“ hat tausende Stunden gekostet

Der Konstrukteur und Bauherr sitzt vorn am Bug, kontrolliert, dass Görlitz den richtigen Weg auf die avisierte Boje am Hafen von Braunsbedra hält, in dem die „Dilmun S“ seit vergangener Woche die Nächte verbringt. „Der Bau hat 2.000 Arbeitsstunden gedauert“, berichtet Peter Schmolke: „Weitere 500 Stunden hat die Konzeption, Konstruktion, Materialbeschaffung gedauert.“

Die Struktur des Schiffes gibt ein Holzgittergerüst vor. Man könne sich das wie einen umgedrehten Dachstuhl vorstellen, erörtert der Softwareentwickler im Vorruhestand. Das Gerüst sei mit Styroporbausteinen gefüllt. Darüber liegt Schilf als Deckschicht, um die hydrodynamischen Verhältnisse der historischen Schilfboote nachzuahmen.

Segeltörn auf dem Geiseltalsee: So schlägt sich die „Dilmun S“

Auch die ersten Boote des Vereins waren reine Schilfboote. Mit denen wurden bereits größere Expeditionen auf offener See unternommen. Die Schilfboote würden sich aber deutlich mehr mit Wasser vollsaugen und seien so schwerer über Land zu transportieren, begründet Schmolke die technischen Umstellung. Zudem würden die Schilfboote nur ein bis zwei Jahre halten. Die „Dilmun S“ soll zehn Jahre schaffen, vier hat sie bereits auf dem Buckel.

Um trotz der technischen Abweichungen das Gewicht der präantiken Seefahrzeuge nachzuempfinden, sind im Rumpf vier Wassertanks untergebracht.

Für ein Übermaß an Stabilität sorgen die allerdings nicht. Das Boot hat wenig Tiefgang. „Wir segeln dicht am Wind, da müssen wir mit dem Gewicht aufpassen“, ruft der Bootsbauer vom Bug. Zwei Crew-Mitglieder wechseln sofort von einer Seite des nur zwei Meter breiten Decks, auf dem in der Mitte zwei hölzerne Proviantkisten montiert sind, auf die andere.

Augenblicklich lehnt sich das Schiff stark nach Steuerbord, also rechts, das dunkelgrüne Wasser kommt rasch näher: „Das war eine Aussage, kein Kommando“, ruft Görlitz sofort von hinten. Die beiden Männer wechseln wieder die Seiten.

Segeltörn auf dem Geiseltalsee: Alle zwei Minuten schallen Zahlenkolonnen über Deck

Man habe viele neue Mitstreiter, die Fahrten in dieser Woche dienten daher auch der Schulung möglicher späterer Expeditionsteilnehmer, hatte der Forscher noch an Land erzählt.

Vor allem geht es bei den Törns auf dem Geiseltalsee, der für die Crew, die verstreut von Wilhelmshaven bis München wohnt, strategisch günstig liegt, aber um die Bootstests. Alle zwei Minuten schallen Zahlenkolonnen über Deck. Uhrzeit, Kompass-, GPS- und Windrichtung, Wind- und Bootsgeschwindigkeit.

Daten die Görlitz und Schmolke später auswerten wollen, um das Boot zu verbessern. Die Erfahrungen mit früheren Booten auf dem Atlantik hätten gezeigt, dass Sturm ihnen weniger Probleme bereiten würde als Schwachwindphasen, sagt Schmolke.

Segeltörn auf dem Geiseltalsee: Auch Segeln gegen die Windrichtung wird geübt

Die gemäßigten Verhältnisse auf dem weitgehend leeren Geiseltalsee sind da ideal, um auch solche Passagen zu probieren. Auch für das Training des Segelns gegen die Windrichtungen, wie Görlitz ergänzt. Anders als bei den legendären Experimenten von Thor Heyerdahl, der mit seiner Kon-Tiki-Expedition Ende der 1940er mit Balsaholz-Flößen zeigte, dass es den Ureinwohnern Südamerikas möglich war, Polynesien zu besiedeln, könne man mit den Abora-Booten nachweisen, dass diese alte Technik eben auch Rückfahren gegen den Wind erlaubte.

Doch heute steht dem Forschungsleiter der Sinn nach ordentlich Rückwind. Kurz vor den gelben Bojen, die das Naturschutzgebiet im Norden abgrenzen, gibt er das Kommando „Halse nach Backbord“ (für Landratten: Linkskurve).

Das Crewmitglied vorne links steckt hastig die langen Bretter, die jeweils an den Ecken des Schiffs aus dem Wasser ragen, um. Reichen sie tief in das Nass hinein, dienen sie als Rotationspunkt. Das Ruder am Heck, an dem Görlitz steht, gibt eher den Drehimpuls. Das Schiff dreht langsam bei. Es sei hier alles langsamer und träger als auf einem normalen Segler, sagt ein Crewmitglied.

Das merkt man auch auf der folgenden Gerade gen Mücheln. Die Geschwindigkeitsansagen gehen nicht über drei Kilometer pro Stunde hinaus. Fahrtwind gibt es nicht und so brennt die Sonne doch recht erbarmungslos auf das schmale Holzdeck. Ein Motorboot fährt vorbei. Ein Vater scheint seinem Sohn das altertümliche Schiff zu erklären.

Segeltörn auf dem Geiseltalsee: Bis wann die Mannschaft noch über den Geiseltalsee kreuzt

Nach 20 Minuten gibt Görlitz ein letztes Kommando: Die Crew lässt vorsichtig das Segel hinab. Die Motorbootbesatzung darf wieder als Schlepper fungieren, muss nach fünf Minuten jedoch im Kurs korrigiert werden, hielt sie bisher doch stramm auf den Hafen Mücheln zu.

Nach einer Kehrtwende geht es dann doch zurück nach Braunsbedra. Die Seeleute sind zufrieden, die „Dilmun S“ hat Kurs gehalten. Die Routenverfolgung auf dem Handy zeigt zwei weitgehend gerade Linien. Im Hafen wirft die Crew die Taue. Die Vereinsmitglieder an Land ziehen das Schiff vorsichtig an die Mauer. Nun sind sie mit der nächsten Testfahrt an der Reihe.

Bis Freitag will Görlitz mit seiner Mannschaft noch über den Geiseltalsee kreuzen. Dann wird der Rahsegler erstmal in Braunsbedra gelagert, denn im September soll es weitere Vorbereitungsfahrten geben, damit die „Abora V“ in drei Jahren tatsächlich über das Meer fahren kann. (mz)

Vor dem Törn steht die Bootspflege an: Thomas Lübke betakelt ein Seilende.
Vor dem Törn steht die Bootspflege an: Thomas Lübke betakelt ein Seilende.
Peter Wölk
Wichtiges Equipment für die Crew der Dilmun S: Windmesser.
Wichtiges Equipment für die Crew der Dilmun S: Windmesser.
 Peter Wölk