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Rechtsextremismus Rechtsextremismus: Immer wieder Mügeln

Von ALEXANDER SCHIERHOLZ 14.05.2010, 18:21

MÜGELN/MZ. - Am Anfang des Gesprächs beeilt sich Gotthard Deuse auf eine Frage zu antworten, die noch gar nicht gestellt worden ist: "Wenn es jetzt nicht so stark regnen würde", sagt Mügelns FDP-Bürgermeister und weist aus dem Fenster seines Büros, "würden Sie einen vollen Marktplatz sehen. Wir haben hier auch indische Händler, mit denen haben wir überhaupt keine Probleme." Einige dieser Händler sind vor knapp drei Jahren, im August 2007, nach dem Stadtfest in Mügeln quer über den Markt gejagt worden, flüchteten in Todesangst in eine Pizzeria, die einem ihrer Landsleute gehört. Der Überfall bringt Mügeln über Nacht weltweit in die Schlagzeilen - und zeigt plötzlich die hässliche Seite des beschaulichen Städtchens in Nordsachsen.

Es wird nicht bei diesem Vorfall bleiben. Im März vorigen Jahres wird wieder ein Inder verprügelt, Tatort ist wieder die Pizzeria. Der Täter wird freigesprochen, das Gericht geht von Notwehr aus. Erst Ende April skandieren rechte Fans beim Bezirksklasse-Spiel Roter-Stern-Leipzig gegen SV Mügeln / Ablaß 09 antisemitische und rechtsradikale Parolen. Und die Leipziger Beratung für Opfer rechter Gewalt registriert eine steigende Zahl rechter Überfälle in Mügeln: 17 Angriffe mit 28 Betroffenen 2009, neun Überfälle mit 25 Opfern im Jahr davor. In Nordsachsen liege Mügeln damit mit an der Spitze, sagt Katja Braß von der Beratungsstelle. Die Opfer: Ausländer sowie Linke oder schlicht nicht-rechte Jugendliche.

Wie Roman Becker und seine Freunde. Sie sitzen in schummrigem Licht auf abgerissenen Sofas in einem heruntergekommenen Haus unweit des Mügelner Marktplatz. Die Fenster sind mit Brettern vernagelt. Irgendwann, als sich im vorigen Jahr die Angriffe häuften, beschlossen sie, die Scheiben nicht mehr zu ersetzen. Der Weg ins Haus führt nur über den Hinterhof, durch eine massive Stahltür.

Vor zwei Jahren haben sie den Jugendverein "Vive le Courage" gegründet, nach der Hetzjagd auf die Inder. "Um aufzuklären über rechte Strukturen", sagt Gründungsmitglied Becker. "Und weil hier immer mehr junge Leute nach rechts abdriften." Längst sind die Vereinsmitglieder selber zur Zielscheibe geworden. Im Frühjahr und Sommer vorigen Jahres versammeln sich zeitweise im Wochentakt Rechte und ihre Sympathisanten vor dem Vereinshaus, treten gegen die Tür, werfen mit Flaschen und Knallkörpern die Fensterscheiben ein. Rufe wie "Sieg heil" ertönen.

An einem Wochenende wird das Haus von mehr als 40 Angreifern regelrecht belagert. Es ist die Zeit, in der Becker und seine Freunde nicht mehr allein nach Hause gehen und nicht im Dunkeln. Über den Winter war es ruhiger, "aber wenn es wärmer wird, werden sie wiederkommen", fürchtet Becker. Für Friedemann Affolderbach vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus zeigen die Angriffe, wie sehr Mügeln ein Schwerpunkt der Szene ist.

Bürgermeister Deuse weigert sich dennoch, von einem rechten Problem in seiner Stadt zu reden - wie schon im Sommer 2007. "Das möchte ich verneinen", sagt er. Natürlich gebe es den einen oder anderen Rechten, "aber wo gibt es die nicht?" Deuse beteuert, er wolle nichts verharmlosen. Doch wenn er von den Rechten spricht, dann nennt er die Linken, die es ja auch gebe, immer gleich mit. Und die Zahlen der Opferberatung? Die seien nicht wahr, sagt Deuse. Tatsächlich betrachtet auch die Polizei Mügeln nicht als rechten Schwerpunkt. Doch die nimmt in ihre Statistik nur auf, was angezeigt wird. "Wir berücksichtigen auch Fälle, in denen keine Anzeige erstattet wird", sagt Opferberaterin Braß.

Deuse regt sich lieber über Antifa-Aufkleber an Verkehrsschildern und Laternenmasten seiner Stadt auf. Oder darüber, dass Mitglieder von "Vive le Courage" mit Aufnähern des linksalternativen Fußballvereins Roter Stern Leipzig durch die Straßen laufen. Auch "Vive le Courage" gilt vielen Mügelnern als links. "So etwas provoziert doch nur", meint Deuse. So fühlen sich Becker und seine Mitstreiter mittlerweile auch: als Provokateure, als Störenfriede und Unruhestifter. "Dabei", so der 22-Jährige, "gab es das Problem vorher schon, wir machen es nur sichtbar." Der Bürgermeister aber wolle nur seine Ruhe haben, sagt Martina Schwerdtner.

Welches Verhältnis Deuse zu "Vive le Courage" hat? Seine Antwort fällt distanziert und förmlich aus: "Der Stadtrat und die Stadtverwaltung behandeln den Verein so wie jeden anderen Verein auch." Dass dessen Mitglieder sich allein gelassen fühlen, mag Deuse nicht verstehen: "Was sollen wir denn tun? Wir können uns ja nicht nachts da auf die Straße stellen." Darum aber geht es gar nicht. "Das Problem ist, dass die Stadt nicht öffentlich Stellung bezieht gegen Rechts", meint Opferberaterin Katja Braß. "So haben die Rechten in Mügeln das Gefühl, sie können machen, was sie wollen."

Doch lieber als über die Rechten redet Deuse über das, was in Mügeln seit dem Überfall von August 2007 alles passiert ist: Workshops mit Jugendlichen über Rechtsextremismus, gemeinsam mit Experten des mobilen Beratungsteams. Ein Antirassismustraining mit der Polizei an der Mittelschule. Ein Jugendaustausch mit Polen und Tschechien. Dafür hat Mügeln jetzt sogar einen Preis bekommen, in einem Schülerwettbewerb auf Kreisebene.

Ganz schön viel Aufwand dafür, dass es angeblich doch gar kein Problem gibt.