Radfahrer Radfahrer: Plädoyer für die Straße
Halle (Saale)/MZ. - Spanien. Spanien fand Nico Hübner richtig gut. Zwölf Monate hat er in Madrid verbracht und eines ist ihm in besonderer Erinnerung geblieben. "Es gab keine Radwege, ich war ganz normaler Teil des Verkehrs." Hübner, 31 Jahre alt und seit 2005 Fahrradkurier in Halle, hat das schwer begeistert. "Es hat einfach funktioniert."
In Madrid kämpfen die Menschen nun um Radwege. Hübner indes, längst wieder daheim, könne auch hier glatt auf sie verzichten. Keine Frage, was der Lehramtsstudent von Forderungen hält, den Radfahrern wenigstens die Benutzung freizustellen: viel! Grundlage der Debatte ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das Ende 2010 entschied: Der Benutzungszwang ist nur unter bestimmten Bedingungen zulässig - wenn es auf der Straße für die Zweiradfahrer schlicht zu gefährlich wird.
Nico Hübner meidet Radwege, so gut es geht. Drei- oder viermal pro Woche ist er für den halleschen Kurierdienst "Cyclone" unterwegs. Da kommen zwischen 40 und 100 Kilometer am Tag zusammen - und eine Menge an Erfahrungen. Mit der Merseburger Straße etwa. Löcher im Radweg, ein für einen Schnellfahrer wie ihn störendes Auf und Ab an etlichen Einfahrten und mindestens fünf Stellen, "an denen Rechtsabbieger mich einfach nicht beachten". Zwei, drei Mal täglich geht er schon von sich aus auf die Bremse. Unerfahrene Radfahrer landen da schnell unterm Auto, sagt Hübner. Er selbst nutzt am liebsten die Straße, trotz wütenden Hupens mancher Auto- und Lkw-Fahrer. Wer hupt, hat ihn wenigstens gesehen.
Wie es ganz offiziell auf die Straße geht, macht Dessau vor. Dort kann schon auf kleinen und weniger frequentierten Teilstrecken der Stadt geübt werden: In der Ebertallee sowie in der Kleinen Schaftrift müssen Radfahrer keine ausgewiesenen Radwege mehr benutzen. Gleiches gilt für die Karlstraße im Norden. "Wenn dort am Sonntag wenig Verkehr ist, ist es für Radfahrer ein Leichtes, die Straße zu benutzen", sagte Karl-Heinz-Richter, Sachgebietsleiter im Amt für Ordnung und Verkehr. Bis Ende März will Dessau-Roßlau 80 Prozent der Wege für Radler freigeben. Ausnahmen bilden stark befahrene Straßen wie der Abschnitt der Bundesstraße 184 zwischen Dessau und Roßlau, die von 18 000 Fahrzeugen täglich frequentiert wird.
Auch Quedlinburgs Oberbürgermeister Eberhard Brecht (SPD) kann sich vorstellen, "dass es oft sinnvoll wäre, es Radfahrern selbst zu überlassen, ob sie die Radwege nutzen oder nicht." Zwar gibt es in der Innenstadt aufgrund der engen Bebauung so gut wie keine Radwege, aber die Probleme lauern außerhalb des Zentrums: unbefestigte Wege an wenig befahrenen Straßen. Andererseits gibt es neue, gut ausgebaute an Fahrbahnen, auf denen viele Lkw unterwegs sind. "Hier wäre ich immer dafür, die Benutzungspflicht aufrechtzuerhalten", so Brecht.
In Quedlinburg wird das Thema, wenn auch nicht auf Rang eins, dann doch zumindest auf die Tagesordnung gesetzt. Dort würde sich wohl auch manch Köthener ein innerstädtisches Problem wünschen. In der Bachstadt sind in den vergangenen Jahren - meist im Zusammenhang mit Straßenneubau - viele Radwege entstanden. Nicht immer blieb deren Anordnung konfliktfrei. So kreuzt der Radweg, der die Siebenbrünnenpromenade mit der Joachimiallee verbindet, eine stark befahrene Einfallstraße in die Innenstadt. Viele Radfahrer benutzen ihn nicht aus Sorge, beim Überqueren der Straße mit Autofahrern in Konflikt zu kommen. Noch dazu erscheinen sowohl Siebenbrünnenpromenade als auch Joachimiallee breit genug für Auto- und Radverkehr.
Dessau, Quedlinburg, Köthen - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Auch in Halle läuft der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) inzwischen Sturm gegen den Radweg-Benutzungszwang. Ganz im Sinne von Fahrradkurier Nico Hübner. Den stört ohnehin abseits von unaufmerksamen Rechtsabbiegern noch einiges mehr: Schnee und Müll, der auf Radwegen liegen bleibt. Überall Scherben. Oder Situationen wie am nördlichen Innenstadt-Rand. Offene Autotüren ragen von den Parkplätzen dort direkt in den Radweg hinein. "Ich möchte nicht mit Tempo 40 in eine Autotür knallen. Einmal hat mir gereicht."