Pumpen, bis der Arzt kommt Pumpen, bis der Arzt kommt: Polizeischüler müssen Ernstfall proben: die Reanimation

Aschersleben - Die Person liegt bewusstlos am Boden. Sie regt sich nicht. Patricia Gerloff rüttelt an ihr. „Hören Sie mich“, ruft sie ihr entgegen. Nichts passiert. Sofort beginnt Gerloff, die Atmung zu kontrollieren. Zehn Sekunden. Nichts. Kein Luftholen ist zu spüren. Jetzt muss es schnell gehen. Die Person muss wiederbelebt werden.
Gerloff reißt ihr das T-Shirt nach oben, legt ihre Hände über den Brustkorb und beginnt mit gleichmäßigen Schüben die Rippen zentimetertief in den Rumpf zu drücken. Berührungsängste? Keine Spur. „Ich gehe in solchen Situationen voll drauf“, sagt die 29-Jährige. „Ist besser, als dass die Person stirbt.“
Wenn ein Mensch reanimiert werden muss, geht es um Leben und Tod. Dann zählt jede Sekunde. Zum Glück ist die Person im Fall von Patricia Gerloff kein echter Mensch, sondern eine Puppe. Und der Einsatz der 29-Jährigen ist auch kein wirklicher Notfall, sondern eine Übung in der Hochschule der Polizei in Aschersleben (Salzlandkreis), an der Gerloff derzeit studiert.
Herzwoche mit Motto: „Trau Dich“
Die Bildungsstätte für angehende Gesetzeshüter hat ihre Schüler und Studenten zum „Präventionstag Herzgesundheit“ eingeladen. Und das hat einen landesweiten Grund: die Herzwoche. Zum zweiten Mal wurde die von der Initiative Herzgesundheit, die aus Firmen der Gesundheitsbranche besteht, ausgerufen. Überall in Sachsen-Anhalt gab es von Montag bis Samstag Veranstaltungen, die das lebenswichtige Organ in den Blick nahmen - nicht ohne Grund. Sachsen-Anhalt hat massive Herzprobleme. Nur in Brandenburg sterben mehr Menschen an einen Herzinfarkt als hierzulande.
In diesem Jahr wurde der Fokus der Herzwoche allerdings nicht auf die Erkrankten gelegt, sondern auf den Ernstfall: die Reanimation. „Trau Dich“ lautet das Motto. Und damit ist nicht der Gang ins Standesamt gemeint, sondern die Wiederbelebung von Personen mit Verdacht auf Herzinfarkt. Jährlich sterben in Deutschland 60.000 Menschen an einem plötzlichen Herztod. Eine Zahl, die bei beherzterem Handeln geringer sein könnte, wie der Vorstandsvorsitzende der Herzstiftung, Dietrich Andresen, sagt: „95 Prozent der Patienten sterben auch, weil sich viele Ersthelfer nicht trauen, nach Absetzen des Notrufs sofort mit der Wiederbelebung durch Herzdruckmassage zu beginnen.“
Herzstillstand: Es gibt keine Alternative zur Reanimation
Sachsen-Anhalt will das ändern. Und Polizei-Studentin Patricia Gerloff zeigt, wie es geht. Rhythmisch versetzt sie dem Oberkörper der Puppe Stöße. 100 pro Minute müssen es sein, damit das Blut im Körper zirkuliert. Dazwischen wird beatmet. Zwei Luftzüge in die Lungen des Patienten, dann weiter den Job des Herzens übernehmen. Gerloff läuft dabei rot an. „Ganz schön anstrengend“, sagt sie.
Doch es gibt keine Alternative zur sofortigen Reanimation. „Irreparable Schäden treten spätestens nach zehn Minuten ein“, sagt Olaf Haberecht. Er ist leitender Oberarzt im Ameos Klinikum Aschersleben und Mitorganisator der Veranstaltung in der Fachhochschule. Am schlimmsten sei es, wenn man untätig bleibt, so Haberecht. „Selbst wenn man dem Patienten bei der Herzdruckmassage eine Rippe bricht, ist das besser, als nichts zu tun.“ Doch die Deutschen seien zu zurückhaltend. Das habe auch mit ihrer Mentalität zu tun. „Wenn in Amerika jemand bewusstlos auf dem Boden liegt, springen sofort mehrere Personen auf ihn - in Deutschland schauen alle erst einmal weg“, sagt Haberecht.
Wichtiges Ziel: Scheu vor der Reanimation abbauen
Hinter dem Zögern steckt oft auch die Furcht, etwas falsch zu machen. „Diese Angst muss man den Menschen nehmen“, sagt Frank Knöppler. Der Rektor der Fachhochschule Polizei sieht das insbesondere für seine Schüler und Studenten als wichtiges Ziel. „Wir sind oft die ersten vor Ort, da darf es bei der Reanimation keine Scheu geben.“
Dabei spielt die erste Hilfe bereits eine große Rolle im Stundenplan der Polizisten in spe. „Jeder macht bei uns eine umfassende Notfall-Ausbildung“, sagt Knöppler. Neben der Versorgung von Wunden wird dort auch die Wiederbelebung gelehrt. Die Schüler und Studenten kennen sich also bestens mit der Materie aus. „Trotzdem sind die Wiederholung und das kontinuierliche Training der Abläufe wichtig - nur so wird es zur Selbstverständlichkeit“, sagt Knöppler.
Tragischer Unglücksfall an der Fachhochschule: Schüler stirbt
Die Handgriffe bei der Reanimation müssen in Fleisch und Blut übergehen. Das ist dem Rektor auch deswegen wichtig, weil es an der Fachhochschule einst einen tragischen Unglücksfall gab. 2010 starb ein Schüler an einem plötzlichen Herzstillstand. Wenn Frank Knöppler über diesen Tag vor neun Jahren spricht, wird seine sonst so feste Stimme weicher. Sein Blick senkt sich. „Der junge Mann ist im Sportunterricht zusammengebrochen.“ Sofort habe ihn jemand reanimiert, und auch ein Arzt sei innerhalb weniger Minuten dagewesen. „Aber der Schüler konnte nicht zurückgeholt werden“, sagt Knöppler.
Der Tod des angehenden Polizisten sei ihm und auch seinen Kollegen sehr nahe gegangen. „Das hat uns hier lange beschäftigt und ich will so einen Vorfall nie wieder erleben“, sagt Knöppler. Als eine Konsequenz aus dem Unglück wurde die Fachhochschule mit Automatisierten Externen Defibrillatoren (AED) ausgestattet. Im Ernstfall können die mit Stromstößen dem Herzen den Rhythmus zurückgeben. Ein Helfer, der Leben rettet.
Reanimation an der Ostsee
Nachdem Patricia Gerloff in der Übung beim Präventionstag den Brustkorb ihrer Puppe umfassend bearbeitet hat, darf sie auch noch einen AED ausprobieren. Das besondere an den Geräten ist, dass sie den Ersthelfern, die zumeist Laien sind, genaue Anweisungen geben. Eine Computerstimme sagt, wie die Elektroden angebracht werden müssen und was genau zu tun ist. „Das hilft schon ungemein und motiviert auch“, sagt Gerloff. Denn der AED gibt nicht nur Anweisungen. Er lobt auch. „Herzdruckmassage gut“, schallt es dann aus dem Lautsprecher.
Nach einer halben Stunde ist die Übung vorbei und Patricia Gerloff ist froh, mitgemacht zu haben. „So eine Auffrischung tut gut“, sagt sie. „Denn man muss immer auf einen Notfall vorbereitet sein.“ Im Dienst musste sie zwar noch nie reanimieren. Dafür im Urlaub an der Ostsee. „Beim Fahrradfahren sahen wir vor uns einen Mann, der Schlangenlinien fuhr“, erzählt die Studentin. Dann fiel er hin, blieb bewusstlos liegen. „Ich hab sofort mit der Herzdruckmassage begonnen.“ Zum Glück sei nach wenigen Minuten auch ein Arzt gekommen. „Der Mann überlebte“, sagt Gerloff. Und das hat er auch ihr zu verdanken. (mz)
