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Prozesse in Sachsen-Anhalt Prozesse in Sachsen-Anhalt: Schwere Suche nach Motiv

Von Katrin Löwe 18.10.2007, 19:18

Dessau/Stendal/MZ. - Es ist der Moment, in dem die Zuschauer in Saal 18 des Dessauer Landgerichts auf die Plädoyers warten. Alles scheint geklärt im Fall einer 27-Jährigen aus Sandersdorf (Landkreis Anhalt-Bitterfeld), die gestanden hat, im Februar ein Kind geboren, es erstickt und die Leiche in einen See geworfen zu haben. Bis auf eine Frage, die der Oberstaatsanwalt dann doch noch stellt: Gab es weitere Abtreibungen neben der, die Sabine H. bis zum vergangenen Prozesstag verheimlicht hatte?

Ungewollte Kinder

"Ich will mich nicht äußern", flüstert die Angeklagte. Richter Manfred Steinhoff aber findet einen Vermerk in den Akten: Ein Ex-Freund hat der Polizei gesagt, dass H. von ihm ein heute fünfjähriges Kind ausgetragen, zwei weitere Babys aber aus finanziellen Gründen abgetrieben hat. Nun soll auch er noch als Zeuge befragt werden, das geplante Urteil wird verschoben.

Es ist nicht die erste Überraschung im Prozess. Zunächst hatte die Angeklagte erklärt, sie habe befürchtet, von ihrer Mutter keine Hilfe für ein zweites Kind zu erhalten. Einen Verhandlungstag später brachte sie unerwartet den bis dato verheimlichten Vater des getöteten Babys ins Spiel - einen verheirateten Mann, von dem sie sich bedroht und unter Druck gesetzt gefühlt habe. Der 42-Jährige, dessen Vaterschaft per DNA-Test erwiesen ist, räumte zwar ein, keine außerehelichen Kinder zu wollen. Er bestritt aber eine Drohung. H. habe zudem schon 2006 freiwillig ein Kind von ihm abgetrieben, sagte er.

Ein ausgetragenes Kind, drei Abtreibungen, die Tötung des Babys: Für die Frage, ob Sabine H. wegen Totschlags oder Mordes verurteilt wird, könnte diese Kette laut Gericht bedeutend sein. Angeklagt ist sie wegen Mordes - weil sie laut Staatsanwaltschaft "wegen des Kindes keine Nachteile für ihr künftiges Leben hinnehmen wollte." Keine Zweifel gibt es medizinisch: Das Baby habe mehrere Stunden gelebt, "da bin ich mir sicher", so Rechtsmediziner Manfred Kleiber am Donnerstag. Es spreche alles dafür, dass es erstickt wurde.

Indizien entscheiden

Ein Gutachterergebnis, das es im Fall der drei toten Babys von Neuendorf am Damm (Altmarkkreis Salzwedel) so nicht gab. Zur Todesursache der zwischen 2001 und 2005 geborenen Kinder konnten Experten vor dem Landgericht Stendal keine Angaben machen. Dennoch verurteilte das Gericht die 38-jährige Mutter zu sieben Jahren Haft wegen dreifachen Totschlags. Deren Ehemann hatte die Leichen von zwei Jungen und einem Mädchen im März 2006 auf dem Dachboden des Wohnhauses gefunden, als er ausziehen wollte. Totgeburten schloss das Gericht auch wegen zweier gesunder Kinder der Frau aus zwei Ehen aus.

Die Angeklagte schwieg im Prozess, räumte die Tat laut Urteil aber in einem Gespräch mit einem Arzt ein. "Sie wissen, dass Sie Ihre drei Kinder getötet haben und Sie leiden schwer darunter", sagte der Vorsitzende Richter Gerd Henss zu der Mutter, die die Urteilsbegründung weinend verfolgte. Es sei nicht auszuschließen, dass sie zur Tatzeit an einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung und seelischem Notstand gelitten habe, was strafmildernd berücksichtigt wurde. Weil ihr Mann eigentlich keine Kinder haben wollte, habe sie die Schwangerschaften quasi ausgeblendet. Die Staatsanwaltschaft hatte elf Jahre Haft gefordert, die Verteidigung Freispruch.