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Prozessauftakt Prozessauftakt: Ein Protokoll des Grauens

Von Katrin Löwe 10.05.2006, 08:43
Polizisten stehen am Mittwoch (10.05.2006) vor dem Gerichtssaal im Amtsgericht Schönebeck neben einem Schild, das auf die Nichtöffentlichkeit des Prozesses hinweist. (Foto: dpa)
Polizisten stehen am Mittwoch (10.05.2006) vor dem Gerichtssaal im Amtsgericht Schönebeck neben einem Schild, das auf die Nichtöffentlichkeit des Prozesses hinweist. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Schönebeck/MZ. - Regungslos sitzen dievier Jugendlichen auf ihren Stühlen, fixierenden Staatsanwalt. Francesco L., mit 20 derÄlteste, aber auch der Kleinste und Schmächtigste,wirkt gelangweilt bei den Worten von AnklägerArnold Murra. Sonst aber könnte man die vierfür "einfache Jungs von nebenan" halten, stündenihre Namen nicht für eine Grausamkeit, dieganz Deutschland schockierte.

Seit Mittwoch müssen sich die 16-jährigenZwillinge Kevin und Steven W., der gleichaltrigeMorten D. und der als Anführer geltende FrancescoL. für den brutalen Überfall auf einen zwölfjährigenJungen äthiopischer Abstammung in Pömmelteverantworten. Den Zuhörern stockt der Atem,als Staatsanwalt Murra die halbstündige Anklagevorträgt, die neben dem Urteil als einzigeöffentlich ist. Morten D. und Francesco L.gestehen später weitgehend, was ihnen vorgeworfenwird, teilt das Gericht mit.

Das Protokoll des Grauens: Am 9. Januarsteigen die Angeklagten gemeinsam mit OpferKevin K. um 19.26 Uhr in Schönebeck in denBus nach Pömmelte. Schon auf der Fahrt sollMorton D. dem farbigen Jungen einen Schlagauf den Hinterkopf verpasst haben. Das wahreMartyrium aber folgt erst. 20 Jahre sei seinDorf "rein" gewesen, skandiert Francesco L.nach dem Aussteigen in Pömmelte. Das Opferwird angerempelt, L. hält dem Jungen eineGasdruckwaffe an den Hals, droht "ihn abzuknallen".

Die folgende Stunde ist laut Staatsanwaltgeprägt von "sadistischer Gewalt und Demütigung",von rechtem Gedankengut. Der Junge wird zumDorfteich getrieben, als "Ausländervieh" und"Bimbo" beschimpft. Er wird bespuckt, Stevenund Kevin W. schlagen ihm mehrfach mit derFaust ins Gesicht. Als L. den Kopf des Opfersauf einen Tisch schlägt, filmen die Zwillingedas mit Fotohandys. Kevin K. wird eine Bierflascheins Gesicht geschlagen, auf Fragen muss ermit "ja, mein Führer" antworten. Er wird gezwungen,"Alle meine Entchen" zu singen und MortenD. die Springerstiefel abzulecken.

Zu Tode geängstigt

Immer wieder schlagen und treten seinePeiniger auf ihn ein. Sie urinieren ihm aufden Kopf, L. schießt dreimal mit der Gaspistolein K.s Richtung. Letztlich drückt er dem zuTode Geängstigten eine Zigarette auf dem Augenlidaus, tritt ihn erneut, würgt ihn. Als KevinK. endlich gehen darf, hört er die Drohung:Er würde umgebracht, wenn er sagt, was passiertist.

Um 21 Uhr kommt der Junge in dem Kinderheiman, in dem er lebt. "Bei ihm wurden 34 Verletzungenfestgestellt", so Staatsanwalt Murra. EineWoche lang liegt K. im Krankenhaus, nach Pömmeltekehrt er aus Angst vor seinen Peinigern, diezum Teil im Ort wohnen, nie zurück. StephanMaigné vertritt K. nun als Nebenkläger. "Wereinen Jungen fast totprügelt, muss eine entsprechendeStrafe erhalten", sagt er. Auch PömmeltesBürgermeister Thomas Warnecke (parteilos)will harte Strafen.

Sein Dorf kämpft derweil um Normalität. Am2. Juni soll der Jugendclub wieder öffnen,der im Herbst 2005 wegen Vandalismus und fehlenderBetreuung geschlossen wurde. Der SchönebeckerVerein "Rückenwind" übernimmt die Trägerschaft,es gibt eine ABM-Stelle für 40 Stunden proWoche. "Das Konzept für den Club steht", sagtder Magdeburger Sozialarbeiter Dieter Bradtke.Geplant sind auch Seminare gegen Gewalt undRechtsextremismus. "Das Dorf ist nicht braun",betont Bradtke.

Urteil noch im Mai

Wenn der Club öffnet, soll das Urteilgegen die Schläger gefallen sein. Es wirdam 22. Mai erwartet. Nach den Geständnissenihrer Freunde kündigten Mittwoch auch die Zwillingean, sich zu äußern. Sie wurden bis zum Abendvernommen. Ob die ursprünglich für Mittwochgeplante Aussage des Opfers danach überhauptnoch notwendig ist, will das Gericht Donnerstagmitteilen.