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Porträt Porträt: Brocken bestimmt das Leben von Familie Nitschke

Von Ernst Krziwanie 29.09.2005, 17:24

Schierke/MZ. -
Er genießt jeden Sonnenstrahl und dichten Nebel, ist begeistert von Schnee und heftigen Stürmen. Wenn Ingo Nitschke von seinen Erlebnissen erzählt, von Purpurlicht, optischen Täuschungen und Wetterphänomenen, erinnert er an Reinhold Messner. Auch äußerlich ähnelt der Schierker dem Bergsteiger aus Südtirol. Wilder Vollbart, zerzaustes Langhaar, wettergegerbtes Gesicht, ganz wie der Gipfelstürmer.

Nur mit Messners Höhen kann Nitschke nicht mithalten. Statt auf die höchsten Berge der Welt zu steigen, begnügt er sich mit den 1 142 Metern des Brockens. Aber den besteigt er fast täglich. Mit dem Harzberg, dessen klimatische Bedingungen denen eines 3 000er Alpengipfels gleichen, verbinden ihn Familientradition und Kindheit, er prägt sein Leben und seinen Beruf.

Ingo Nitschke ist Meteorologe auf dem Brocken, wie zuvor schon Vater Max und Mutter Inge. "Ich bin einer unter mehr als 300 Wetterfröschen, die in unserer Station bestaunt werden können", sagt er scherzend. "Sogar welche aus mexikanischem Marmor und chinesischem Jadestein." Es sind Sammelstücke, die Nitschke und seine Kollegen im Laufe der Jahre zusammengetragen haben. Zur eigenen Freude und zum Bestaunen durch Besucher. "Bei der Wetterbeobachtung verlassen wir uns aber lieber auf die Technik und unsere eigenen Kenntnisse", betont er.

Jahrhunderte schon wird auf dem Brocken das Wetter beobachtet. Das erste Brockenobservatorium mit wissenschaftlicher Ausstattung wurde am 1. Oktober 1895 eingeweiht (siehe "Wetterfrösche laden zu Besuch ein"). Wegen ihrer exponierten Lage zählt die Station heute zu den wichtigsten unter den rund 100 bemannten Warten des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Alles, was mit Wetter zu tun hat, wird erfasst und an den Hauptdienst in Offenbach gemeldet. "Wir liefern rund um die Uhr Daten für die Wissenschaft, die Luftfahrt und die Urlauber", sagt Gottfried Glenk, der die Wetterwarte seit 1976 leitet. Vor ihm war ab 1. Juli 1967 Max Nitschke zwanzigster Leiter der Brockenstation.

Begonnen als Wetterbeobachter hat Nitschke schon 1956. "Damals habe ich sogar in der Station gewohnt", erzählt der 83-Jährige. Erst als er die einzige je auf dem Brocken fest angestellte Meteorologin heiratete, wurde Schierke Wohnort. Trotzdem bestimmte der Brocken das Familienleben der Nitschkes. "Bei Dienst haben wir oben sogar oft Weihnachten gefeiert."

Acht Jahre hat Max Nitschke die Brockenstation geleitet. Erst 1990 ging er in den Ruhestand. Aber auch als Rentner betreut er in Schierke noch eine Klimastation, wertet Regen, Luftdruck und Wolken aus. "Die Meteorologie", sagt er, "lässt mich nicht los".

Auch seine beiden Söhne hat sie fasziniert. Einer kümmert sich zwar inzwischen um Wasserwirtschaft, doch Ingo kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen. 25-jähriges Jubiläum als Wetterbeobachter hat er in diesem Jahr gefeiert. "Was ich in der Zeit alles gesehen und erlebt habe, ließ mir manchmal die Kinnlade runterklappen." Weitsichten über 200 Kilometer waren dabei, manches Jahr mehr als 300 Nebeltage und jede Menge Sturm. Der stärkste fegte am 24. November 1984 mit 263 Stundenkilometern über das Brockenplateau. "Ein Orkan war das. Der hat bei den hier stationierten Russen das Dach abgehoben und das Haus der DDR-Grenzer stark beschädigt", erinnert er sich. Und ebenso daran, als diese Gebäude ganz verschwanden und der von 3,5 Meter hohen Betonteilen verschlossene Gipfel für Jedermann betretbar wurde.

Als am 3. Dezember 1989 Tausende Menschen mit dem Neuen Forum den Gipfelzutritt forderten, hing ein Bettlaken aus der Wetterstation. "Mauer muss weg" stand darauf, aufgehängt von Ingo Nitschke, der an dem Tag nicht nur das Brockenwetter im Sinn hatte.