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Pop Pop: Kreisch-Konzert vorm MDR-Funkhaus in Halle

Von Steffen Könau 23.09.2005, 18:25

Halle/Magdeburg/MZ. - Die Mädchen kreischen, wie nur Mädchen zwischen elf und 14 kreischen können. Ein Ton wie Fingernägel auf einer Schultafel, nur, dass hier gleich hunderte Fingernägel über hunderte Tafeln schaben. Die Luft vibriert vor Spannung, es riecht nach Kinderzimmer-Träumen und rasenden Herzschlägen.

"Ich liebe Dich, Tom"

Man kann sich die Ohren natürlich nicht zuhalten, wenn man der ist, wegen dem alle schreien. Bill Kaulitz guckt also freundlich in die Runde, die aussieht wie eine Szene aus einem Rockstar-Film. Der schwarze Van, die Band, die zum Hintereingang ins MDR-Gebäude in Halle huscht, die Fans, die nabelfrei und mit glühenden Augen selbstgemalte Plakate recken, auf denen "Ich liebe Dich, Tom" und "Bill ist der Größte" steht.

So geht das derzeit jeden Tag, wenn die Mitglieder der Magdeburger Band Tokio Hotel irgendwo auftauchen. Sänger Bill Kaulitz, sein Zwillingsbruder Tom, der Gitarre spielt, und Bassist Georg Listing, heute versteckt hinter einer dunklen Brille, marschieren cool ein. Und ringsum bricht das Chaos aus.

Trommler Gustav Schäfer verpasst das diesmal, weil er daheim in Magdeburg eine wichtige Klausur schreiben muss. Schließlich sind Tokio Hotel eben keine so ganz normale Rockgruppe. Vor zwei Monaten hätten die Mädchen, die jetzt verzweifelt an die Scheiben des "Sputnik"-Studios trommeln, um einen Blick von Tom oder Bill zu erhaschen, die ganze Truppe ein paar Meter entfernt als Vorgruppe einer Berliner Country-Nachspiel-Combo erleben können. Aber damals hat das natürlich niemanden interessiert. Damals, das war ja noch vor der Nummer-1-Single "Durch den Monsun". Vor dem Hit-Album "Schrei". Vor der Dauerpräsenz auf den Videokanälen und den Titelgeschichten, die dem Quartett einen Raketenstart in den Rockstar-Himmel verschafften.

Jetzt aber ist danach, und Bill Kaulitz, von dem alle sagen, er sehe aus wie ein Mädchen und singe auch so, wird vor dem Gang ins Radio-Studio professionell geschminkt. Tom, der seine Rasta-Locken mit einer Baseball-Kappe bändigt, ist immer noch nur 1,65 groß, wirkt aber, wie er mit cooler Miene durch die Flure geht, wie 1,90. "Es ging alles so verdammt schnell", sagt Georg Listing, mit Lederjacke und schulterlangem Haar ein Rocker alter Schule, "wir haben das echt alles noch nicht richtig geschnallt."

Teenies mit Ambitionen

Denn so war das alles ja auch gar nicht geplant. Zwar hatten die vier Teenies früh große Ambitionen. Doch dass Tokio Hotel über Nacht die halbe Nation in Raserei versetzten wird, "daran haben wir natürlich nicht gedacht", sagt Bill, und sein linkes Auge blinzelt durch einen brettharten Vorhang aus schwarzem Haar. Der Traum war immer "irgendwie Musik zu machen und vielleicht mal davon leben zu können." Schon als Neunjähriger schrieb er, animiert von seinem Stiefvater, seine ersten Songs. Später gründete er zusammen mit Bruder Tom die Band Devilish, mit der sie auch bei einem Rockwettbewerb in Magdeburg antraten. Bilder aus dieser Zeit zeigen zwei Halbwüchsige, die schüchtern auf einer viel zu großen Bühne stehen und ums Überleben singen.

Aber manchmal geschehen Pop-Märchen auch in Gegenden, die dafür nicht eben verschrien sind. Hier gewann eine andere Band den Wettbewerb. Dafür wurde Bill bei der Casting-Show "Star Search" von Produzent Patrick Benzner entdeckt, der früher schon erfolgreich mit Künstlern wie Oli P. und Sarah Brightman gearbeitet hatte.

Ein Jahr nur brauchte Benzners Team aus Songschreiber-Profis, um mit den vier Stars in spe ein Album aufzunehmen. Eines, auf das Bill Kaulitz "unglaublich stolz" ist, weil "das unsere Musik ist, genau so, wie wir sie wollten". Das ganze Drumherum, die Charts, die Hit-Shows, die Interviews, die Mädchen mit ihren Heiratsangeboten, all das erklärt der Junge mit den schwarzbemalten Augenrändern gelassen zur Nebensache. "Man darf keine Angst davor haben, so hoch zu steigen", sagt Bill Kaulitz, "auch wenn man weiß, dass man tief fallen kann."