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Polizei Polizei: Die Grenzen der Legalität

Von HENDRIK KRANERT 23.06.2009, 18:47

BALLENSTEDT/MZ. - Nach rechtsextremen Gewalttaten forderte Lottmann seine Beamten auf, "bis an die Grenze des rechtlich gerade noch Vertretbaren" zu gehen. Es ist ein Satz, an den Mario Lehmann dieser Tage oft denken muss. Denn Lehmann, bisher Leiter der Polizeistation in Ballenstedt (Harzkreis), beklagt, dass es gerade beim Kampf gegen Rechts an Lottmanns Unterstützung mangele.

Die Geschichte beginnt im Frühsommer 2008: Auf der Wache in Lehmanns Dienststelle sitzt zum wiederholten Male Jens H. Der 24-Jährige ist das, was Polizisten einen Stammkunden nennen. Jens H. ist mehrfach wegen Beleidigung, Ladendiebstahls und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Erscheinung getreten. Und Jens H. gilt als Anhänger der rechten Szene. Zu seiner Vernehmung ist er in kompletter Thor-Steinar-Montur erschienen - einer bei Rechten beliebten Modemarke.

"Jens H. und seine Komplizen sind ein ständiger Unruheherd in Ballenstedt, wir hatten sie seit geraumer Zeit unter verschärfter Kontrolle", erzählt der Polizeihauptkommissar. Er kennt den 24-Jährigen aber noch nicht persönlich und betritt daher das Vernehmungszimmer auch mit einer gewissen Neugier. Was folgt, ist eine deutliche verbale Auseinandersetzung zwischen den beiden. Jens H. wird sich später über Lehmann beschweren, dieser habe ihn als "Dumpfbacke, Rotznase und arroganten Schnösel" bezeichnet. Lehmann bestreitet das vehement, räumt aber ein, "hart und deutlich" mit dem Mann gesprochen zu haben. Mehrfach fällt das Wort "Teutone" im Bezug auf Jens H. Polizeihauptkommissar Lehmann ist verärgert darüber, dass Jens H. ihn duzt und nicht auf die Frage nach seinem Alter antwortet. Der Polizist zieht Vergleiche zwischen dem, was Jens H. vorgibt zu sein - ein strammer Rechter - und seinem Auftreten. "Er war zu feige, einen Diebstahl auf dem Friedhof einzuräumen, obwohl Zeugen ihn identifizierten", so Lehmann.

Die Sache scheint damit erledigt. Doch noch während Lehmann im Jahresurlaub ist, erhält er über Umwege die Nachricht, "dass gegen mich was läuft". Am ersten Arbeitstag eröffnet ihm sein Revierleiter in Quedlinburg, Walter Seifert, dass er mit sofortiger Wirkung und auf Anweisung des Polizeipräsidenten Johann Lottmann von seinem Posten in Ballenstedt entbunden und als Koordinator Schichtdienst nach Quedlinburg versetzt werde. Lehmann, seit 1990 im Polizeidienst und von Kollegen als ruhiger, engagierter Beamter hoch geschätzt, fühlt sich abserviert. "Ich wurde weder angehört, noch hat man mir erklärt, dass eine Dienstaufsichtsbeschwerde von Jens H. gegen mich vorliegt", so Lehmann. "Ich wurde einfach in die Wüste geschickt." Dass der Polizeipräsident von Amts wegen ein Strafverfahren wegen Beleidigung eingeleitet hatte, will er erst Wochen später erfahren haben.

Lehmann wird als Polizist das versagt, auf das jeder Straftäter ein Recht hat - eine Anhörung und seine Schilderung des Sachverhalts. Auf Anraten Seiferts, das belegen der MZ vorliegenden Dokumente, lässt Lottmann den Beamten versetzen. Jener Lottmann, der zwei Jahre zuvor seine Polizisten aufgefordert hatte, im Kampf gegen Rechts bis an die Grenzen der Legalität zu gehen. "Der Beamte wurde zu seinem Schutz umgesetzt und um nicht noch mehr Staub aufzuwirbeln", kommentiert der Polizeipräsident, der demnächst in den Ruhestand geht, sein Vorgehen. Ohnehin sei Lehmann nur mit der Wahrnehmung der Geschäfte in Ballenstedt beauftragt worden. Lottmann erklärt, er hätte von einem Polizisten im Range eines Hauptkommissars "mehr Verständnis" für die Umsetzung erwartet. Statt dessen setzt sich Lehmann zur Wehr: Er schreibt direkt an Innenminister Holger Hövelmann (SPD) - ein im streng hierarchischen Apparat der Polizei sehr ungewöhnlicher Vorgang.

In der Polizeidirektion Nord sorgt das für Hektik, denn Hövelmann hat seinen Abteilungsleiter Polizei, Klaus-Dieter Liebau, beauftragt, die Sache zu prüfen. Der scheint wenig Gefallen an dem Vorgehen gegen den Leiter der Polizeistation Ballenstedt zu finden, wie später auch der Sprecher des Innenministeriums, Martin Krems, bestätigt. "Es wäre besser gewesen, man hätte erst mit Lehmann gesprochen", sagt Krems.

"Ausgesprochen beeindruckend" sei das, was Lehmann da zu Papier gebracht habe, befindet auch Direktions-Jurist Lars-Henrik Rode in einem internen Vermerk. Von einem "komischen Geschmack" des Vorgehens gegen Lehmann ist bei Rode die Rede, und einem möglichen Verdacht im Innenministerium, dass man den Fall nicht ausreichend geprüft und vorschnell gehandelt habe. Rode kommt zu folgendem Schluss: "Unsere übliche Vorgehensweise (,erst mal das Ermittlungsverfahren abwarten und dann sehen wir mal weiter') passt irgendwie nicht richtig zu dem Papier, das dem Innenminister vorliegt."

Lehmann wird darauf hin von seinem direkten Vorgesetzen, dem Quedlinburger Revierleiter Liebau, angeboten, sich "jeden adäquaten Dienstposten" in der Landespolizei aussuchen zu können. Nur nach Ballenstedt zurück könne er nicht, eine solche Entscheidung würde die Autorität des Polizeipräsidenten untergraben. Lehmann lehnt ab - und dringt auf Rückversetzung. Etwa zur gleichen Zeit bietet der Magdeburger Oberstaatsanwalt Wolfram Klein Lehmann die Einstellung des Verfahrens wegen Beleidigung gegen eine Geldbuße von 100 Euro an. Auch hier verweigert sich der Polizist. Klein erhebt Anklage, die wird vom Amtsgericht Quedlinburg als unbegründet zurückgewiesen. Am letzten Tag der Frist reicht Klein Beschwerde ein.

Mario Lehmann hat inzwischen bei der Landespolizei seine Kündigung eingereicht. Im Oktober wechselt er in die freie Wirtschaft.