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Pfarrer Christian Führer wird 65 Pfarrer Christian Führer wird 65: Eine Stimme der Schwachen

Von Steffen Reichert 04.03.2008, 15:57

Leipzig/MZ. - Es gibt eine Kunst der einfachen Worte. Eine Kunst, die man nicht erlernen kann, sondern die man einfach können muss. Christian Führer hat diese Gabe. Wenn er beispielsweise zusammensitzt mit Hans-Werner Sinn, dem Chef des Münchner Ifo-Instituts, und fordert, dass Arbeit und Einkommen einfach gerecht verteilt werden müssten: Dann ist das so ein Satz, der ob seiner Schlichtheit einfach wirkt. Genau so wie der, den der Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche immer wieder sagt: "Wir müssen helfen, den ein fachen Menschen eine Stimme zu geben." Man muss es oft sagen und mit Nachdruck, man muss auch danach handeln.

Und irgendwann passiert dann das, was Christian Führer 1989 in Leipzig eindrucksvoll erlebt hat: dass aus dem Bach ein reißender Strom wird. Wenn Christian Führer heute 65 Jahre alt wird, dann kann er nicht nur auf ein bewegtes Leben als evangelischer Pfarrer zurückblicken. Nein, keiner vor ihm hat die Gemeinde der Nikolaikirche in Leipzig mit seinen leise und ein dringlich gesprochenen Worten so sehr geprägt wie Führer.

In seinen 28 Leipziger Jahren als Pfarrer der Nikolaikirche ist Führer zum Symbol des friedlichen Protestes, lebendigen Glaubens und eines unermüdlichen Veränderungswillens geworden. Wenn er nach dem Hintergrund und dem Ausgangspunkt seines Engagements gefragt wird, ist die Antwort unmissverständlich. "Meine Universität ist die Straße", antwortet er. "Auch Jesus hat die Sprache der Straße gesprochen", findet er eine simple Begründung.

Es ist 1968, als der gebürtige Leipziger Pfarrerssohn sein Theologiestudium an der Leipziger Karl-Marx-Universität gerade zwei Jahre hinter sich hat. Und es ist das Jahr, das ihn in mehrfacher Hinsicht prägt: Führer wird ordiniert, er erlebt aus der Entfernung die bundesdeutsche Studentenbewegung. Und er muss beobachten, wie mit der Niederschlagung des Prager Frühlings auch die Hoffnungen auf eine schnelle und dauerhafte Demokratisierung des Ostblocks begraben werden. So geht er zunächst als Pfarrer nach Lastau und Colditz, bevor er zwölf Jahre später in seine Heimatstadt zurückkehrt.

Was viele nicht wissen. Schon 1982 beginnen in der Nikolaikirche jene Friedensgebete, die im Herbst 1989 ein entscheidender Impuls für den Veränderungswillen eines ganzes Landes sind. Immer wieder spricht der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt und der obligatorischen Jeansweste die montäglichen Gebete gegen das Wettrüsten in Ost und West und für mehr Demokratie.

"Nikolaikirche - offen für alle" schreibt er trotzig über das Kirchenportal. Denn unter dem Dach der Kirche finden auch zunehmend jene Schutz vor staatlichen Repressionen, die mit der DDR abgeschlossen und einen Ausreiseantrag gestellt haben. Im Herbst 1989 sind es erst Hunderte, dann Tausende, die sich auf nach Leipzig machen - viele fahren auch aus Halle hinüber in die Messestadt.

Der 9. Oktober 1989, an dem der Staat zunächst ein Niederknüppeln der Demonstration plant, wird zum Tag der Entscheidung. Als schließlich 70 000 auf die Straße gehen und sechs prominente Leipziger einen Aufruf für Gewaltfreiheit, gelingt das Unfassbare: In Leipzig bleibt es friedlich: Der Weg zu radikalen Veränderungen in der DDR, der schließlich in die deutsche Einheit mündet, ist nun unumkehrbar.

Doch wer glaubt, dass sich Christian Führer nun zur Ruhe setzt, irrt. Seine Stimme gilt weiter den Schwachen. Unter seiner Ägide entsteht die Erwerbsloseninitiative Leipzig, er veranstaltet im Umfeld der Hartz-IV-Demonstrationen wieder Montagsgebete, er macht sich stark gegen rechtsextreme Aufzüge. Und schließlich schwenken die Kameras aus aller Welt noch einmal auf den Pfarrer, als er 2006 über Monate Hunderte Leipziger mobilisiert, um mit Friedensgebete und Mahnwachen Druck für die Freilassung zweier im Irak entführter Leipziger Ingenieure zu erzeugen.

Wenige Tage, bevor er Ende des Monats in Rente geht, zieht Christian Führer ein ein persönliches Resümee seiner Arbeit: "Es ist eine ungeheure Gnade Gottes: Durch alle Krankheiten hindurch 40 Jahre Pfarrer zu sein. In zwei unterschiedlichen politischen Systemen noch hinzu."