Parteitag in Quedlinburg Parteitag in Quedlinburg: Sachsen-Anhalts Linke im Dilemma

Quedlinburg - Ein Blick in den Sitzungssaal genügt, um zu wissen, warum sich auch Sachsen-Anhalts Linke schwertut mit der Aufarbeitung der eigenen und der DDR-Geschichte: Das Gros der Delegierten hat den vor 25 Jahre untergegangenen Staat noch erlebt, viele wohl auch aktiv mitgestaltet. Die erst nach 1989 politisch sozialisierten Parteimitglieder, wie Landesvize Henriette Quade, sind deutlich in der Unterzahl; einige Protagonisten der jungen Garde fehlen gänzlich.
Linke steht sich selbst im Weg
Das ist das Dilemma: Auf dem Weg hinaus aus einem Vierteljahrhundert Opposition in Sachsen-Anhalt steht sich die Linke, früher bekannt als SED, PDS, PDS/WASG und Linkspartei, selbst im Weg. Der Begriff „Unrechtsstaat“ sei falsch, sagt etwa der Lehrer Klaus-Dieter Iffarth aus Lieskau im Saalekreis. Dass er jetzt in Thüringen schriftlich fixiert wurde, liege an „der Erpressung der Linken durch SPD und Grüne“, so Iffarth. Dagegen wird kaum hörbar protestiert. Der Fraktionschef der Linken im Landtag, Wulf Gallert, sagt: „Ich stimme Iffarth nicht zu, aber ich bin froh, dass er es gesagt hat.“
Andere Feststellungen treffen auf weniger Verständnis. Etwa die von Horst Brandner aus dem Burgenlandkreis, dem der Dringlichkeitsantrag „Wer Zukunft will, muss sich der Vergangenheit stellen“ nicht ausreicht. Ein Papier, mit dem versucht wird, zwischen persönlichem Erleben und staatlicher Repression zu trennen - als hätte es persönliche politische Verantwortung nicht gegeben. „Das ist nicht scharf und nicht deutlich genug. Wir haben uns nicht genug mit der DDR auseinandergesetzt“, sagt Brandner. Er, der zu DDR-Zeiten nach eigenem Bekunden für die Stasi gearbeitet hat, schiebt nach: „Der Garant für die Existenz der DDR waren die sowjetischen Panzer.“
Das Gros der Debattenbeiträge bewegt sich zwischen diesen Extremen. Vor allem die politische Führung der Landespartei ist sichtlich darum bemüht, den Genossen nahezulegen, die eigene Vergangenheit nicht nach dem Motto eine Delegierten, „es war nicht alles gut“, zu verklären - ohne ihnen gleichzeitig vor den Kopf zu stoßen.
Debatte löst Emotionen aus
Landeschefin Birke Bull, zu DDR-Zeiten hauptamtliche FDJ-Sekretärin, sagt, dass es „ein sehr anstrengender Vorgang ist, das eigene Handeln im Nachhinein in Frage stellen zu müssen“. Gallert bekennt, dass die Debatte um den Unrechtsstaat auch bei ihm Emotionen auslöse. Doch: „Wieso haben wir Pazifisten als Staatsfeinde eingestuft? Und was hat uns geritten, Leuten, die gegen Umweltzerstörung waren, vorzuwerfen, sie wollten die Gesellschaft schädigen?“ Man habe zu lange geschwiegen und DDR-Unrecht widerspruchslos akzeptiert, erklären auch der Landtagsabgeordnete Frank Thiel und der Gernröder Detlef Tichatschke. Landesvize Quade betont, dass es nicht um Verdammung von Biografien ginge. Doch unfreie Wahlen und die damit fehlende Legitimation staatlichen Handelns hätten dazu geführt, dass sich die DDR selbst delegitimiert habe. „So wenig, wie ich den Begriff Unrechtsstaat mag, so sehr liegt darin die Stärke des Thüringer Papiers“, sagt Quade.
„Murks“ und als „konzeptionslos“
Denn ohne solches Bekenntnis auch in Sachsen-Anhalt dürfte es schwierig werden mit einer Koalition mit SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt - das wissen auch Gallert und Bull. Beide geißeln die aktuelle Regierungspolitik als „Murks“ und als „konzeptionslos“; die Landesregierung habe die Entwicklung des Landes aufgegeben. Mit Blick auf die Landtagswahl 2016 sagt Bull: „Von Thüringen heißt kämpfen lernen.“ Man wolle „dieser Landesregierung alsbald ein demokratisches Ende setzen und den Umsturz planen.“ Das Wort „Umsturz“ freilich könnte bei einigen genau wieder zu jener Angst vor den Linken führen, gegen die Gallert mit viel Vehemenz anredete. (mz)


