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Orthopäde und Bratschist Orthopäde und Bratschist: Mit Musik gegen die brotlose Heilkunst

Von Ute Albersmann 04.04.2001, 12:27

Halle/MZ. - Sechs Jahre dauert die Facharzt-Ausbildung. Am Ende steht der Sprung ins kalte Wasser der Selbstständigkeit. "Sie müssen viel investieren, und es gibt für die Arbeit immer weniger Geld", sagt Stephan Scharf, der als Orthopäde in Halle arbeitet. Die fetten Jahre, sagt er, habe er nicht miterlebt. Damals, als Orthopäden die Liste der gut verdienenden Fachärzte mit anführten. Jetzt sind Orthopäden unten, ganz weit unten. Nur ärztliche Psychotherapeuten verdienen laut einer Übersicht der Kassenärztlichen Vereinigung noch weniger. Da kann Scharf von Glück sagen, dass er nicht auf die gehört hat, die ihm empfahlen, noch mehr Geld in die Praxis zu stecken, "damit man was abschreiben kann".

Stephan Scharf hat seine Praxis im halleschen Neubaugebiet Silberhöhe, wird sie aber wohl noch in diesem Jahr aufgeben. Entweder er zieht in die Innenstadt - "oder ich gehe ins Ausland". Die Schweiz und Italien seien interessant, sagt er und erzählt, dass immer mehr Facharzt-Kollegen Sachsen-Anhalt, dem Osten und am liebsten auch gleich Deutschland den Rücken kehren. Der 38-Jährige könnte den Sprung wagen. Er spricht italienisch, woran die Musik schuld ist.

Denn der Orthopäde im weißen Mediziner-Kittel - das ist die eine Seite seines Lebens. Der Musiker - das ist die andere. Scharf ist Bratschist, spielt mit verschiedenen international renommierten Ensembles und hat vor allen in der Interpretation alter Musik einen Namen. Die Zahl der eingespielten Schallplatten- und CD-Aufnahmen kann er nicht einmal schätzen.

Als Barock-Spezialist wird er überregional angefragt, er spielt historische Instrumente wie die seltene "Viola d'amore". Scharf liebt Barockmusik, vor allem Bach, "der ist der Größte". Aber auch Johann Friedrich Fasch (1688-1758), einst Hofkapellmeister von Anhalt-Zerbst. Mit der israelischen Accademia Daniel, die vorwiegend in Israel und London probt und zu der Musiker aus aller Welt gehören, hat er Fasch-Kantaten aufgenommen - in Zerbst.

Daneben ist er Dozent an der Musikhochschule in Leipzig und lehrt Musikmedizin. Bundesweit gibt es eine Handvoll Ärzte wie ihn, die sich auf das Kurieren von Musiker-Berufskrankheiten spezialisiert haben, auf spezielle Therapien für Belastungs- und Überlastungsschäden zum Beispiel. Seine Musiker-Sprechstunde zieht überregional Patienten an, und er versteht sich auf Akupunktur. "Das habe ich mir in China abgeguckt."

Stephan Scharf hat in Leipzig Musik studiert und in Halle Medizin. Die Musik, sagt er, war immer da. Mit sechs hatte er Geigenunterricht, später ist er auf die Bratsche umgestiegen. Als Jugendlicher war er Solist bei der halleschen Philharmonie und im DDR-Rundfunk zu hören. Er wollte Medizin studieren, doch glaubte nicht daran, einen Studienplatz zu bekommen. Also hat er sich zweigleisig beworben - und zweimal Erfolg gehabt. "Da habe ich beides gemacht." Und er ist beidem treu geblieben. Welcher Job ihm lieber ist? Die Sympathien seien "wirklich paritätisch besetzt" und die Berufe gar nicht so unähnlich. Man müsse sich auf Dinge einlassen und mit Menschen umgehen können, beides habe "was interaktives", denn "Medizin und Musik - das geht beides nicht im stillen Kämmerlein".

Er bemüht sich, zu vermeiden, dass die finanziellen Probleme der Fachärzte in Sachsen-Anhalt ihm ein Entweder-Oder aufdrängen. Ginge er als Arzt ins Ausland, müsste er die Musik zum großen Teil aufgeben. Zudem ist Mitteldeutschland für Barock-Musiker ein sehr guter Standort. "Was ich hier habe, könnte ich mir bis zur Rente nirgendwo mehr aufbauen", sagt Stephan Scharf. "Es gibt viele gute Musiker, mit denen man zusammenarbeiten kann." Hinzu kommt, dass es ein Bonus ist, wenn "Leipzig" auf der musikalischen Visitenkarte steht. In Amerika und Japan, sagt er, klinge das "so gut wie Wien oder Salzburg".