Obdachloser Obdachloser: Tod auf der Bank
Magdeburg/Halle (Saale)/MZ. - Er saß zusammengesunken auf einer Bank nahe eines Blumengeschäfts im Magdeburger Stadtteil Fermersleben, als eine Passantin gestern Morgen stutzig wurde. Hier kannte man Thomas R., ganz in der Nähe auf einem Friedhof hat der 55-Jährige in der Vergangenheit häufig übernachtet. Er hat, heißt es in der Landeshauptstadt, wohl hauptsächlich im Freien gelebt. Und wie der Anblick der Bank vermuten lässt, auf der er nun gefunden wurde, in den letzten Nächten eben genau hier. Thomas R. war seit 2006 obdachlos. Als der von der Passantin gerufene Notarzt ihn gestern untersuchte, konnte er nicht mehr helfen. Thomas R. ist tot, das erste Opfer der Kältewelle, die seit Tagen über Deutschland herrscht.
Sein Tod hinterlässt Fragen. Zum Beispiel die, warum R. bei zweistelligen Minusgraden nicht in eine Obdachlosenunterkunft ging. An Angeboten mangelt es nicht: Zumindest größere Städte bieten Notschlafplätze an. So verfügt Magdeburg über 108 Betten in städtischer Regie - nur die Hälfte ist belegt. "In den vergangenen Tagen hatten wir trotz Kälte nur einen Neuzugang", sagt Stadtsprecher Michael Reif. Ähnlich Halle: Das städtische "Haus der Wohnhilfe" bietet 130 Menschen ohne Obdach, auch Familien, Platz für einem längerfristigen Aufenthalt. "30 Plätze sind noch frei", sagt Sozialamtsleiter Ernst-Günter Schneller. Zusätzlich gibt es Plätze für Notübernachtungen. 25 Betten für akuten Bedarf, davon sind nur sechs belegt.
Essen, Tee und warme Kleidung
Wer dort früh um acht raus muss, findet ein dichtes Netz an Hilfen von der Bahnhofsmission bis zur Wärmestube der Stadtmission - Frühstück und Mittagessen gegen einen kleinen Obolus, heißer Tee umsonst. Bei Bedarf wird auch warme Kleidung ausgegeben. "Bei uns muss sich niemand erklären oder den Ausweis vorzeigen", sagt Heike Müller, Leiterin der halleschen Bahnhofsmission. Das soll die Hemmschwelle senken, Unterstützung anzunehmen. "Weder tagsüber noch nachts: Niemand muss sich draußen aufhalten", so Müller. Dennoch kommen zu ihr und ihren ehrenamtlichen Helfern auch bei der Eiseskälte kaum mehr Menschen als sonst, etwa 30 bis 40 am Tag.
Thomas (40) und Stanislaw sind an diesem Nachmittag da, wärmen sich mit heißem Tee auf. Man muss bei diesen Temperaturen nur wissen, wie man über den Tag kommt, sagt Stanislaw. Das Tingeln von Einrichtung zu Einrichtung, zwischendurch wärmt er sich auch einmal im Krankenhaus auf, macht sich dort auf Toiletten frisch.
Thomas war bis vor gut einem Monat obdachlos. Seit seiner Haftentlassung 2008 hat er auf der Straße gelebt, auch in den letzten, den heftigen Wintern - wie viele andere Wohnungslose, erzählt er. In ein Obdachlosenheim hätten ihn keine zehn Pferde gekriegt. "Da könnte ich auch ins Gefängnis gehen", so der 40-Jährige rigoros.
Die Angst, beklaut zu werden, der Papierkram, die Tatsache, dass er seine sieben, acht Bier am Abend dort nicht trinken dürfte: Da hat Thomas sein Lager lieber in Abrisshäusern aufgeschlagen. Einen kleinen Gasofen hat er sich besorgt, geschlafen auf zwei, drei Matratzen und unter drei, vier Decken. "Die liegen doch überall rum oder man kriegt sie von Leuten", sagt er. Natürlich hat er auch mal gefroren, Hunger gehabt. Angst, am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen, nie.
Tatsächlich herrscht in Einrichtungen wie dem "Haus der Wohnhilfe" oder der Wärmestube in der Regel striktes Alkoholverbot. "Suchtkranke schreckt das ab", sagt Frieder Weigmann von der Diakonie Mitteldeutschland. "Die geben sich dann dem Wahn hin, sie könnten es auch draußen aushalten." Dabei weist etwa Halles Notunterkunft selbst Betrunkene nicht ab - ihre Flaschen allerdings müssen sie draußen lassen.
"Viele Obdachlose sind suchtkrank", das ist auch die Erfahrung von Eike Dietrich, Sozialarbeiter in der halleschen Wärmestube der Stadtmission. Genau das ist das Problem aus Sicht von Halles Sozialamtschef Schneller: "Wer getrunken hat und bei diesem Wetter auf einer Bank einschläft, für den ist es vorbei, egal ob am Tag oder in der Nacht."
Erreicht die Hilfe also nicht diejenigen, die sie brauchen? Nein, meint Frieder Weigmann von der Diakonie: "Menschen, die seit Jahren ohne Wohnung sind, wissen, dass sie auf Hilfe angewiesen sind." Schneller sieht das ähnlich. Er ist überzeugt: "Wer gar nichts mehr hat, der kommt zu uns."
Nicht aktenkundig
Doch offenbar nicht alle. In Magdeburg ist Thomas R. in den städtischen Unterkünften nicht aktenkundig gewesen. Ob Alkohol bei seinem Tod einen Rolle spielte, ist nicht bekannt: Die Polizei hält sich dazu noch bedeckt. Alkohol oder nicht - Weigmann mahnt dazu, nicht wegzuschauen: "Wer jemanden beobachtet, der bei diesen Temperaturen eine halbe Stunde oder länger im Freien sitzt, darf ihn ruhig ansprechen." Sollte das nicht möglich sein, könne auch jederzeit die Polizei gerufen werden. Seine Beobachtung: Bei Todesfällen wie dem in Magdeburg spielten immer häufiger auch Erkrankungen oder Demenz eine Rolle.