1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Naturschutz in Sachsen-Anhalt : Naturschutz in Sachsen-Anhalt : Lebende Export-Hits

Naturschutz in Sachsen-Anhalt  Naturschutz in Sachsen-Anhalt : Lebende Export-Hits

Von Katrin Löwe 22.07.2013, 19:55
Der Elbebiber gehörte ebenfalls zu den Export-Schlagern.
Der Elbebiber gehörte ebenfalls zu den Export-Schlagern. T. Klitzsch Lizenz

Schönebeck/Halle/MZ - Als die Aktion vorbei und der letzte Transport gen Dänemark auf dem Weg war, hat die Natur ihm einen kleinen, wenn auch erfreulichen Streich gespielt. „Da kam ein Hirschkäferweibchen direkt auf meinen Hof“, erzählt Werner Malchau. Nur wenige Wochen war es her, dass er sich noch den Kopf zerbrochen hatte, wo die Tiere am besten zu finden sein werden. Denn: Einerseits ist der Hirschkäfer sehr selten, steht deshalb unter besonderem Schutz.

Anderseits aber ist er Sachsen-Anhalts neuester Exportschlager. 44 Käfer und 74 Larven sind gerade nach Dänemark gebracht worden, wo die größte Käferart Mitteleuropas seit 1952 ausgestorben war. Das dänische Parlament hatte den Beschluss zur Wiedereinbürgerung gefasst, um die Verbreitungslücke zwischen Schweden und Deutschland zu schließen. Der Hirschkäfer trägt sowohl zur ökologischen Vielfalt als auch zum biologischen Kreislauf bei, weil er morsches Holz zu Mulm abbaut.

Zahl der Beobachtungen wächst

Werner Malchau, dessen Planungsbüro in Schönebeck sich mit Naturschutz beschäftigt, hat das Einfangen der Tiere in Sachsen-Anhalt begleitet. Die Wahl fiel nicht von ungefähr auf den 57-Jährigen. Seit 1979 ist er Käfersammler, ab 1995 hat er die Erfassung der Hirschkäfer in Sachsen-Anhalt im Blick. „Bis vor vier, fünf Jahren habe ich sie selbst nur zwei oder drei Mal beobachtet“, sagt Malchau. In Sachsen-Anhalt sei das Tier, dessen Männchen bis zu drei Zentimeter lange Oberkiefer hat, aber wieder auf dem Vormarsch. Bis 2004 habe es überhaupt nur 700 Beobachtungen gegeben. Ebenso viele waren es allein in den Jahren 2011 und 2012. Der Bestand, schätzt der Experte, „hat sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt.“ Die Tiere zu zählen, ist unmöglich: Den größten Teil des Lebens verbringen sie als Larve oder Puppe unter der Erde.

Auch das hat die Suche für das Wiederansiedlungsprojekt in Dänemark nicht einfacher gemacht. Aber wer Hirschkäfer-Fan ist, der weiß nicht nur, wann er das laut brummende Insekt im Freien am ehesten zu sehen bekommt - an warmen Tagen in der Abenddämmerung. Er erkennt auch die Stellen, an denen Larven in der Erde liegen könnten. „Da kann man dann aber nur auf gut Glück graben“, sagt Malchau.

Pro Standort sind seit Ende Mai nur drei bis vier Tiere entnommen worden, um den Bestand nicht zu gefährden. Unter anderem wurden die Fachleute in der Nähe von Jävenitz (Altmark), Dolle (Börde), Stecklenberg und bei Blankenburg (Harz) fündig. „Schutzgebiete haben wir ausgespart“, sagt Malchau, inzwischen gebe es die Tiere oft auch in parkähnlichen Anlagen. In Nedlitz (Anhalt-Bitterfeld) könne es Besuchern einer Gaststätte mit etwas Timing sogar passieren, dass ihnen ein Tier auf den Tisch fliegt.

Der Hirschkäfer ist indes längst nicht der einzige Exportschlager Sachsen-Anhalts. Von 1996 bis 2000 war das Land beziehungsweise die hallesche Universität maßgeblich an der Wiederansiedlung von Rotmilanen in Schottland beteiligt. 100 Tiere aus Sachsen-Anhalt wurden damals in das Land gebracht, in dem der Rotmilan seit 1890 als Brutvogel ausgerottet war. Mindestens acht Brutpaare sind aus den hiesigen Tieren damals hervorgegangen, heißt es im Umweltministerium.

Und dann war da ja auch noch der Elbebiber: Mehr als 500 Tiere gingen nicht nur nach Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder ins Saarland, sondern auch nach Dänemark und in die Niederlande. „Die Umsiedlung der Biber ist eine Erfolgsgeschichte, die Bestandsentwicklung dort ist positiv“, sagt Annett Schumacher von der Referenzstelle Biberschutz. In Sachen Elbebiber sei Sachsen-Anhalt das größte Exportland gewesen - allein nach Dänemark gingen mit Hilfe des Biosphärenreservats Mittelelbe 18 Tiere im Jahr 1999 und weitere 24 zwischen 2009 und 2011. In Sachsen-Anhalt leben heute rund 2700 Vertreter der größten Nagetierart Europas.

Nun also der Hirschkäfer. Ein Tier, von dem Malchau wegen seiner „majestätischen Erscheinung“ und dem schwingenden Flug schwärmt. Eines, das den höchsten Bekanntheitsgrad unter den Käfern hat und für ihn fast mehr Naturschutzsymbol ist als der Uhu. Dennoch wisse man insgesamt noch relativ wenig über „Lucanus cervus“. Unklar sei etwa, ob ein Weibchen nur einmal Eier ablegen kann. „Wir brauchten also frisch geschlüpfte Tiere. Es hat wenig Sinn, sie noch nach Dänemark zu bringen, wenn sie schon Eier gelegt haben.“

Eiltransport für wenige Tiere

Oberhalb der Erde leben die Hirschkäfer nur wenige Wochen. Auch die Reise musste also fix über die Bühne gehen - in kleinen Boxen mit modrigem, totem Holz, Luftzufuhr und allem Komfort. „Es konnte schon passieren, dass ein Transport wegen vier oder fünf Tieren nach Dänemark gestartet ist“, sagt der Experte. Oder verbunden wurde mit einer Lieferung aus Polen. Das Wiederansiedlungsprojekt wurde wegen der genetischen Vielfalt nicht nur aus Sachsen-Anhalt, sondern auch aus Brandenburg, Sachsen, Polen und Südschweden unterstützt.

Im Juni wurden die ersten Tiere in Jægersborg Dyrehave nördlich von Kopenhagen in einem 240 Hektar großen mit Totholz angereicherten Eichenwald freigesetzt. Volieren schützen sie vor Feinden. Eine gute Gelegenheit, sicher für Nachwuchs zu sorgen: Inzwischen wurden Paarungen gesichtet. Wer die beobachtet, dürfte wie beim Einfangen aber Geduld brauchen. Hat das Männchen sich über das Weibchen gestellt und es mit seinem Oberkiefer festgehalten, kann es passieren, dass beide Tage so stehen, bis es zur Paarung kommt.

Der Hirschkäfer ist ein Exportschlager aus Sachsen-Anhalt
Der Hirschkäfer ist ein Exportschlager aus Sachsen-Anhalt
dpa Lizenz