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Nach Unfall Nach Unfall: Tränen an der Unstrut

Von Katrin Löwe 07.05.2006, 20:06

Laucha/MZ. - Ingo Krauße hat die Geräusche noch im Ohr: Ein kurzes Reifenquietschen, "dann krachte es", erinnert sich der 45-Jährige. Er ist Wirt der "Schifferklause", nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem fünf junge Menschen starben.

Kurz vor zwei Uhr: Krauße rennt zur Unfallstelle, sieht ein Meer von Scherben. Er bemerkt, dass das Brückengeländer der Unstrut-Schleuse fehlt, hört eine weibliche Stimme um Hilfe rufen. Während er in stockfinsterer Nacht Taschenlampen holt, kümmert sich ein Passant um das Mädchen. Erst später stellt sich heraus: Die 18-jährige Rebecca M. aus Gleina hat das Unglück als einzige überlebt.

Feier im Weinberg

Es ist das Ende einer Partynacht, welche die 18- bis 20-Jährigen in den Weinbergen bei Dorndorf verbracht haben sollen. Kurz nach 1.30 Uhr drängen sich Thomas D. aus Wetzendorf, René S., Johannes M. (beide aus Nebra), Silvio T., Christian R. (beide aus Karsdorf) und Rebecca zu sechst in einen blauen Ford, fahren in Richtung Laucha. In einer leichten Linkskurve vor der Brücke verliert der Fahrer die Kontrolle über den Pkw, der mit Wucht das Geländer der Schleuse durchbricht. Rebecca M. wird aus dem Auto geschleudert, kann an die Schleusenmauer schwimmen. Die anderen, darunter ihr Freund René, versinken mit dem Wagen kopfüber im zwei Meter tiefen Wasser.

Das Auto liegt unter der Brücke. Hilflos und bedrückt stehen die Retter - mittlerweile sind Polizei und Feuerwehr da - vor dem Unglück. "Wir hatten schon viele schlimme Unfälle, aber so etwas noch nicht", sagt Feuerwehr-Chef Udo Organiska später. Den Brandbekämpfern fehlt die Technik, um das Wrack zu heben oder nach Opfern zu tauchen. Sie sind schockiert, ein Feuerwehrmann muss sich ablösen lassen. Der Versuch eines Abschleppdienstes, das Auto zu bergen, scheitert an technischen Problemen. Erst nach vier Stunden kann das nachalarmierte Technische Hilfswerk den Pkw bergen. Im Inneren: vier Leichen. Taucher finden später im Wasser das fünfte Opfer. An der Unfallstelle spielen sich längst dramatische Szenen ab. Freunde der Opfer, die auch bei der Party waren, sind da. Krauße öffnet sein Lokal, um ihnen Unterkunft zu bieten. Eltern treffen ein, manche im Irrglauben, auch ihre Kinder wären unter den Toten.

Es ist später Vormittag, als die letzten Retter, darunter fünf Seelsorger, den Unfallort verlassen. Der Strom von Betroffenen indes reißt an der Brücke den ganzen Tag nicht ab. Unter Schock legen Angehörige Blumen nieder. "Mein Sohn ist hier ums Leben gekommen", sagt ein Vater verzweifelt. Jugendliche liegen sich weinend in den Armen. "Das ist schrecklich!", sagt Daniela Loske aus Kirchscheidungen. Sie kannte Thomas D., traf ihn oft beim Fußball in Karsdorf. Unweit von ihr steht Jane Jüngling, die zehn Jahre mit René S. die Schulbank in Nebra drückte. "Er war sympathisch, lebensfroh", beschreibt sie den Post-Azubi.

Kritik von Anwohnern

Während laut Polizei noch geprüft wird, welche Rolle Geschwindigkeit und Alkohol bei dem Unfall spielten, wird in Laucha Kritik laut. "Hier musste irgendwann was passieren", sagt Organiska. "Die Begrenzung auf 70 Stundenkilometer ist noch zu hoch", schimpft auch Anwohnerin Inge Keck. Seit dem Ausbau einer nahen zweiten Brücke und der Straße habe sich diese Stelle zur Rennstrecke entwickelt.

Rebecca M. ist nach MZ-Informationen inzwischen wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden, steht aber unter Schock und konnte noch nicht zum Unfall befragt werden.