80 Jahre Weltkriegsende Mitteldeutschland unterm Bombenteppich
Anfang April vor 80 Jahren erlebt Halle den schwersten Luftangriff seiner Geschichte. Magdeburg, Merseburg und andere Orte in Sachsen-Anhalt haben die alliierten Geschwader bereits weiträumig zerstört. Der Tod kommt nach Hause.

Halle/Dessau/Magdeburg/MZ - Es ist Frühling geworden in Deutschland, als der Krieg mit zerstörerischer Kraft dorthin zurückkehrt, wo er ausgelöst wurde. Hitlers Reich ist im März 1945 von allen Seiten eingeschlossen. Die sowjetischen Truppen stehen an der Oder und bereiten sich auf den Sturm auf Berlin vor. Zwischen drei Millionen Rotarmisten und Hitlers Führerbunker unter der Reichskanzlei befinden sich nur noch einige wenige zusammengewürfelte Einheiten der Wehrmacht. Im Westen ist die Front dabei, vollkommen zusammenzubrechen. US-Truppen und britische Streitkräfte marschieren unaufhaltsam Richtung Mitteldeutschland.
Am 31. März um 10 Uhr tauchen sieben B-17 der 1st Bombardment Division der US-Air Force über Aschersleben auf, das bei den Alliierten unter dem Decknamen „Redfin“ – Seeforelle – geführt wird. Der Himmel ist klar, das Wetter frühlingshaft. Die Besatzungen der schweren Boeing-Bomber haben überhaupt keine Mühe, ihre Ziele zu treffen.
Tod vom Himmel
Aschersleben gilt wegen des Junkers-Zweigwerks als militärisch wichtig. Noch zweimal in den folgenden zwei Wochen werden die gefürchteten Fliegenden Festungen Tod und Zerstörung vom Himmel über der Stadt an der Eine regnen lassen. Dann erst setzt US-Major Harlan W. Newell dem Grauen ein Ende: Das 39. US-Infanterieregiment steht kurz vor der Einnahme der Stadt. Der 29-jährige Offizier, der später Ascherslebens Stadtkommandant wird, will unnötiges Leid verhindern und lässt die anfliegenden Bomber abdrehen.
Angriffe auf zivile Infrastruktur
Doch es ist überall in Mitteldeutschland dasselbe Bild in diesen Tagen des März und April 1945. Merseburg, als wichtige Industriestadt schon von 23 Luftangriffen getroffen, wird jetzt immer öfter Ziel von Jagdbombern. Die Leunawerke, wegen ihrer Raffinerien bei den Alliierten als „First Target“ geführt und schon von mehr als 80.000 Bomben schwer zerstört, erleben Anfang April noch einmal einen Angriff der britischen 5. Bomber Group. 327 Lancaster-Maschinen bringen die Produktion endgültig zum Erliegen.

Halle ist am Ostersamstag an der Reihe. Die Saalestadt, bis dahin weitgehend von schweren Angriffen verschont, weil sie als sogenanntes „zweites Ziel“ gilt und nur angeflogen wird, wenn Wetter oder Luftabwehr Attacken auf Leuna, Buna, Weißenfels, Krumpa und Zeitz unmöglich machen, ist diesmal direktes Ziel der 303rd Bomber Group. Bereits Ende Februar hatten 314 Bomber die Siebel-Werke am Stadtrand ins Visier genommen, in denen Teile für die neuen Überschall-Jäger DFS 346 gebaut werden.
Diesmal steht „Ziel Hauptbahnhof“, im Mission-Book von First Lieutenant Oliver Lee Bashor und seiner B17, Kosename „Sweet LaRhonda“. Bashor stammt aus Loveland, einer Kleinstadt in Colorado. Seine Fliegende Festung ist eine von 369 Maschinen, die mehr als tausend Tonnen M44 Spreng- und Brandbomben geladen haben. Es ist 9.36 Uhr am Karsamstag, als das Inferno losbricht. 34 Minuten lang fallen Tod und Zerstörung vom Himmel.
Der schwärzeste Tag des Krieges
Das alte Rathaus wird teilweise zerstört, die Ratswaage beschädigt. Am Hotel „Goldene Kugel, dem Hohenzollernhof und der Riebeck-Brauerei Bräu detonieren 500-Kilo-Bomben. Auch das Kaufhaus Ritter in der Leipziger Straße wird schwer getroffen, während das eigentliche Ziel, der Bahnhof, auf dem immer noch Truppen, Material und Munition für die beiden Fronten verladen werden, verschont bleibt.
Für die Hallenser bringt dieser 501. Luftalarm den schwärzesten Tag des Krieges. In der Zwingerstraße Nummer 25, nur 150 Meter entfernt vom Elisabeth-Krankenhaus, sei eine Bombe durchs Dach mitten in eine Wohnung gebrochen, erinnert sich eine Zeitzeugin später an den Schock einer Schulfreundin, die im Nachbarhaus wohnt. Die Familie hat Glück. Die Bombe explodiert nicht. „Dann kamen Spezialisten, die sie entschärften“, erzählt die Frau, die bei dem Angriff einen Onkel verliert.
Ziel ist die Zerstörung
Er ist einer von fast 800 Toten dieses vorletzten und schwersten Angriffes auf die Stadt. Wie ganz Mitteldeutschland ist die für die Bomberverbände jetzt leichter erreichbar. Je größer die Regionen werden, die die Alliierten besetzen, desto dichter wird der Bombenteppich, der sich über die Reste des Hitlerreiches legt. Das Junkers-Werk in Bernburg wird schwer beschädigt. Dessau, Codename „Shad“ (Maifisch), erlebt Anfang März ein Armageddon. 520 schwere Lancaster-Bomber sind gekommen. Ihr Befehl: „Die bebaute Fläche, die Industrie und die Eisenbahn-Anlagen sind zu zerstören, um Versorgungslinien zu unterbrechen und die mögliche Flucht von Nazi-Funktionären aus Berlin zu verhindern“.
In nicht einmal zehn Minuten werden 1.693 Tonnen Bomben abgeworfen, zielgerichtet gemischt. Das Verhältnis von Brandbomben zu Sprengbomben, behauptete der DDR-Militärhistoriker Olaf Groehler später, beweise, dass die Flächenbrände, die sich zu einem Feuersturm entwickelten, kein Zufall gewesen seien. Selbst die abdrehenden Bomberbesatzungen staunen: Noch aus 180 Kilometern Entfernung ist der rotglühende Himmel über Anhalt zu sehen. Mindestens 700 Menschen sterben.
Vernichtetes Magdeburg
Magdeburg hat es schon am 16. Januar 1945 vernichtend getroffen. Ein Flächenbombardement der Royal Air Force löst einen Feuersturm aus, der als dritte große Zerstörung nach 1207 und dem Dreißigjährigen Krieg in die Geschichte eingeht. 5.000 bis 6.000 Tote sind zu beklagen, 16.000 Verletzte müssen versorgt und über 200.000 Obdachlose untergebracht werden.
Es ist ein ungleicher Kampf geworden. Bis dahin hatten B-17-Besatzungen wie die von Captain James R. Hartley die höchste Verlustrate aller US-Teilstreitkräfte beklagen müssen. Jede Mission ist ein Himmelfahrtskommando mitten hinein in schweres Flakfeuer und gefährliche Schwärme deutscher Abfangjäger. Fast zwei Drittel des fliegenden Personals der US-Air-Force kehren nicht nach Hause zurück. 13 Prozent geraten in Gefangenschaft. Nur ein Viertel aller Männer bleibt unbeschadet.
Zivilisten als Mörder
James Hartley und seine Männer haben dennoch bisher 19 Einsätze überlebt- Auch nach dem Angriff auf Halle kann der 24-Jährige aus Wisconsin zufrieden in sein Missionstagebuch notieren: „Keine Feindflugzeuge, moderate Flak, Crew unversehrt.“ Hartley weiß nur zu gut, was ihm und seinen Kameraden droht, müssten sie im Feindgebiet abspringen. Beim Angriff auf Dresden im Februar war die „Dusty Rose“ von Lt. Edward Miller über Halberstadt abgeschossen worden. Vier Männer können sich am Fallschirm retten. Doch zwei von ihnen werden von der SS entdeckt und erschossen. Auch die Crew der „Randie Lou“ von Lt. William Fitzroy stirbt nicht beim Absturz ihrer Maschine. Drei der Flieger werden von wütenden Zivilisten gehenkt.
Wie Staff Sergeant Thomas O’Neil, Bordschütze einer B-24 „Sweatbox“, und Staff Sgt. Bert M. Beals, vorderer MG-Schütze im B24-Bomber „Sweat-N-Duck“, entkommt auch James Hartley diesem Schicksal. Am 25. April fliegt die US-Air-Force ihren letzten Bombenangriff auf Bahnanlagen bei Berchtesgaden. Am 2. Mai greift die RAF einen Hafen in Kiel an. Dann ist es vorüber. Der Luftkrieg ist vorbei.