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Manfred Püchel Manfred Püchel: Der lange Abschied

Von HENDRIK KRANERT-RYDZY 27.08.2010, 18:42

MAGDEBURG/MZ. - Natürlich wird er heute nach Quedlinburg fahren. "Warum denn auch nicht", fragt Manfred Püchel zurück. Der 59-Jährige lehnt sich in seinem Sessel weit nach hinten, schaut gedankenversunken aus dem Fenster seines Landtagsbüros und lächelt spitzbübisch. Es ist die unausgesprochene Antwort auf seine Gegenfrage: Es gibt wohl einige in der sachsen-anhaltischen SPD, denen Püchels Erscheinen zum 20. Geburtstag des Landesverbandes eher weniger willkommen sein dürfte. Denn so sehr Püchel dessen Geschichte prägte, so umstritten ist er bis heute in seiner Partei.

Laborleiter startet durch

Püchel ist einer dieser Zufallspolitiker, die in den irren Tagen der friedlichen Revolution 1989 geboren wurden. Eigentlich hatte der Katholik ja wegen seiner Konfession mit dem Demokratischen Aufbruch geliebäugelt, doch menschlich-politisch waren ihm Willy Brandt und Helmut Schmidt näher. So gründete der damalige Laborleiter des Bahrendorfer Krankenhauses in seinem Heimatdorf Etgersleben (heute Salzlandkreis) den SPD-Ortsverein. Mehr als ehrenamtlicher Bürgermeister habe er nicht werden wollen, sagt Püchel, doch am Ende findet er sich auf Platz 23 der ersten Landesliste wieder. Damit war der Grundstein der Karriere des Berufspolitikers Püchel gelegt.

Püchel startet in der Landespolitik durch: Aus Ermangelung an Fachleuten wird der Landwirt und Diplomchemiker schnell ein profilierter Innenpolitiker, an dem Reinhard Höppner nicht vorbei kann, als der als Ministerpräsident 1994 seine rot-grüne Minderheiten-Regierung aufstellt und Püchel zum Innenminister macht. Es ist auch der Moment, in dem die innere Zerrissenheit der SPD erstmals öffentlich Gesichter bekommt.

Höppner ist der Regierungschef, der als erster in Deutschland mit der PDS taktiert. Püchel lehnt die gewendete SED jedoch aufgrund seiner schlechten Erfahrungen zu DDR-Zeiten ab. Als sudetendeutsches Flüchtlingskind wird er beargwöhnt, als Katholik sowieso. Der Schwiegervater saß im berüchtigten Stasi-Knast in Bautzen. Und seine fehlende SED-Mitgliedschaft lässt Püchels Chemiker-Karriere in einem Kreiskrankenhaus enden.

Püchel hätte gern eine Große Koalition gebildet, doch die tief ins Menschliche gehende Feindschaft zwischen CDU-Spitzenmann Christoph Bergner und Höppner verhindert dies. Dennoch gelingt Püchel eine recht innige Zusammenarbeit mit den Christdemokraten: "Von 32 Gesetzen in meiner ersten Amtszeit als Innenminister habe ich 16 einstimmig durchs Parlament gebracht und je acht mit den Stimmen der PDS und der CDU."

Als in der zweiten Regierungszeit Höppners Stern immer mehr sinkt, drängen selbst CDU-Leute Püchel dazu, auf den Tisch zu hauen und die Macht an sich zu reißen. Doch der scheitert an seinem eigenen Loyalitätsanspruch - und muss sich vorwerfen lassen, die größte Krise der Sozialdemokratie in Sachsen-Anhalt nicht verhindert zu haben. "Es hat ihm am notwendigen Mut gefehlt", sagt Ex-Justizminister Curt Becker (CDU), bis heute ein enger Freund Püchels.

2002 wird Höppners PDS-tolerierte Landesregierung abgewählt - und damit muss auch Innenminister Püchel gehen. "Ich hatte Tränen in den Augen, das war ganz bitter", sagt er heute. Zu diesem Zeitpunkt ist Püchel der angesehenste und beliebteste Politker Sachsen-Anhalts.

Er verstand es wie kein zweiter, auf Leute zuzugehen und sich mit ihren Sorgen auseinander zu setzen. Freilich verstand er es auch wie kein zweiter, sich öffentlich in Szene zu setzen. "Aber durch und durch ehrlich", meint Skat- und Wanderbruder Becker.

Nach dem Wahldebakel übernimmt Püchel den Parteivorsitz. Damit ist auch an der Spitze der Partei der Bruch mit der Ära Höppner vollzogen. Mit Püchel führt erstmals ein Vertreter der eher konservativen Mitte den Landesverband. Doch die Amtszeit währt gerade zwei Jahre. Püchel ist gesundheitlich schwer angeschlagen, hat zehn erfolglose Knieoperationen hinter sich, als er völlig überraschend als Partei- und Fraktionschef zurücktritt.

Püchel ist es aber auch nie gelungen, die Gräben zwischen den linken Anhängern des PDS-Tolerierungsmodells und dessen Gegnern wirklich zuzuschütten. Bei Europa- und Kommunalwahlen wird die SPD erneut massiv abgestraft. Nicht wenige halten Püchels Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen daher für vorgeschoben. Das Wort "Fahnenflucht" macht die Runde.

Ein Vorwurf, der Püchel bis heute schmerzt. Und er räumt ein, dass der Rücktritt von beiden Posten der größte Fehler seiner politischen Karriere war. "Ich hätte den Landesvorsitz behalten sollen." Püchel ist über Nacht weg vom Fenster. Freut sich aber diebisch, dass die CDU erst die von ihm mit vorbereitete Kreisreform in die Tat umsetzt. Und später - zusammen mit der SPD - gleiches auch bei den Gemeinden tut. "Das war mein Modell, was die Union erst gestoppt hatte", sagt Püchel und schiebt nach: "Es ärgert mich aber, dass das so wenige in der SPD auch sagen. Da hätte man mehr Größe zeigen können."

Linke übernehmen das Ruder

Die Hoffnung, zumindest als Justizminister im Jahr 2006 in die CDU / SPD-Landesregierung zurückzukehren, erfüllt sich nicht. Püchel holt zwar mit Rüdiger Erben die einzigen Direktmandate für die SPD. Noch in der Wahlnacht schreitet er selbstbewusst zwischen den feiernden Genossen hindurch. Doch Püchels innerparteilicher Gegenspieler und Nachfolger auf dem Sessel des Fraktionschefs, Jens Bullerjahn, macht Holger Hövelmann zum Innenminister und die völlig unbekannte Angela Kolb zur Justizministerin. Die Linken in der SPD haben das Ruder übernommen. Sehr zum Verdruss von Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU), der sich Püchel an den Kabinettstisch gewünscht hatte. Als Hövelmann von einem Skandal zum nächsten jagt, macht in Magdeburg das Gerücht die Runde, der Mann mit der Igelfrisur und der runden Brille kehre auf den Chefsessel zurück. Es bleibt bei dem Gerücht.

In diesem Sommer nun hat er erklärt, mit der Politik Schluss zu machen. Obwohl viele ihm einen weiteren direkten Einzug ins Parlament zutrauen würden - er auch -, tritt Püchel nicht mehr an. Die Begründung klingt kurios: "Ich habe zu schnell zu viel erreicht." Zudem hätten sich die Zeiten geändert, die SPD eingeschlossen. Die Euphorie der ersten Jahre sei verflogen, die neuen Leute hätten andere Ansätze. Heißt: Politiker-Karrieren würden heute am Reißbrett geplant. "Für mich gibt es keine Herausforderung mehr in der Politik."

Auch nicht der Schlingerkurs von Bullerjahn und Landeschefin Katrin Budde, die zwar eine rot-rote Koalition nicht ausschließen, aber keinen linken Ministerpräsidenten wählen wollen. Taktisch sei es ja nicht falsch, sich nicht von vornherein auf eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU festzulegen. "Aber natürlich ist es nicht konsequent, einen linken Ministerpräsidenten auszuschließen, eine rot-rote Koalition aber nicht", sagt Püchel. Spricht's, lehnt sich zurück und lächelt.