Thank you Kris Thank you Kris: Kris Kristofferson zu Gast im Leipziger Clara-Zetkin-Park

Leipzig - „Thank you.“ Als sich der 82-jährige Kristoffer „Kris“ Kristofferson auf der Parkbühne im Leipziger Clara-Zetkin-Park am Donnerstagabend zum ersten Mal bedankt, ist noch kein einziger von diesen vielen legendären Folk- und Countrysongs, die Musikgeschichte geschrieben haben, gespielt. Kristoffersons pure Erscheinung, wie immer ist er ganz in Schwarz gekleidet, reicht schon, um die gut 700 Menschen mit den Erinnerungen an ein großes Kapitel US-amerikanischen Songwritings zu beseelen.
Wohin man auch schaut, pünktlich um 20 Uhr wird der Künstler mit einem kollektiven Lächeln empfangen. Gelassenheit allüberall, den Charme einer Naturidylle gibt es obendrauf. Bereits der Anfangsapplaus macht klar, dass man hier, bestückt mit Cowboyhüten, Bob Dylan- und Johnny Cash-T-Shirts, einer Epoche huldigt. „Thank you.“
Kristofferson zeigt sich erkenntlich, sein Gesang ist gütig raunend, aus der Tiefe nuschelnd. Wie beläufig zupft er die Gitarre, die Mundharmonika immer griffbereit, nur gelegentlich dreht sich der Oberkörper langsam ums Mikrofon. Kristofferson bewegt sich kaum, der gescheitelte weiße Schopf hat schon vielen Stürmen getrotzt.
Kris Kristofferson in Leipzig: magische Stimmung im Publikum
Kaum flutet der glasklare, helle und kraftvolle Sound der Band The Strangers mit Scott Joss (Geige, Gitarre), Doug Colosio (Keyboard) und Jeff Ingraham (Schlagzeug) den sommerlichen Abend, liegt eine der Zeit entrückte, fast schon magische Atmosphäre in der Luft. Paare nicken sich bestätigend zu, man nimmt sich in die Arme. Die Gewissheit, dass nun ein unprätentiös herz- und porenöffnendes Konzert beginnt, ist sofort da.
Bei Kristofferson werden die Sinne nicht mit einer bombastischen Show betäubt. Ein paar dezente Lichtpunkte, die auf dem schwarzen Vorhang im Hintergrund um sich selbst kreisen, reichen aus, um vom Wesentlichen würdevoll berührt zu werden: von der Musik, vom Menschsein und von einer transzendentalen Sehnsucht.
Da hört man Jubelschreie im Publikum, dort schlägt man sich ungläubig die Hände vor das Gesicht: tatsächlich das von Janis Joplin in die Unsterblichkeit gesungene „Me And Bobby McGee“ (1970) spielt der Autor dieses Liedes schon nach wenigen Minuten. Man wird die Zeilen „Freedom is just another word for nothing left to lose“ auf ewig mit Woodstock, dem Vietnam-Krieg, der Rassentrennung, mit Martin Luther King und den Zeiten der sozialen Bewegungen in Verbindung bringen. Dabei passt Kristoffersons Melancholie zu jenen autokratischen Kräften, die gegenwärtig mit dem Soundtrack der globalen Entdemokratisierung wieder am Abbau der damals erkämpften bürgerlichen Freiheiten arbeiten.
Kris Kristofferson in Leipzig: Klasiker mit unerschütterlicher Aura
Erstaunlich ist es, wie Kristofferson „Me And Bobby McGee“ heute vorträgt. Er schenkt dem Song, ebenso wie den Evergreens „Help Me Make It Through The Night“, „Loving Her Was Easier”, „Sunday Morning Coming Down” oder „Casey’s Last Ride”, eine knochentrockene Aura, die fast beiläufig, aber immer unerschütterlich wirkt. Was sind schon fünfzig Jahre Musikhistorie und soziale Errungenschaften im Maßstab der großen unerbitterlichen Menschheitsgeschichte? Viel, ganz viel. Wenig, ganz wenig - alles zugleich. Es ist, als würde Kristofferson den Resonanzboden der Songs, die gemeinsame Vergangenheit mit Johnny Cash, Waylon Jennings und Willie Nelson, die Anfang der 1970er Jahre das konservative Nashville herausforderten und später als die Band „The Highwaymen“ auftraten, in Bescheidenheit nur streifen wollen.
Ohne die Strahlkraft zu leugnen, funkeln die Klassiker in einem abgeklärten Spirit. Sie werden, stets garniert mit einem Lächeln, in den Fluss des Werdens gelegt. So wirkt der Blues, Country und Folk, der mal getragen traurig, mal zauberhaft besinnlich und mal hoffnungsvoll offen und tanzbar klingt, noch mächtiger. Gesungen wird von den Schatten in der Seele, von den warmen Armen, ohne die die Nacht nicht zu überstehen ist. Gesungen wird vom Scheitern, vom Tod, von den Sinn- und Grausamkeiten des Krieges. Und davon, dass der Teufel gerade die Schwächsten am heftigsten heimsucht.
Kris Kristofferson in Leipzig: Publikum bejubelt Konzert
Songs wie „Pilgrim's Progress“ beklagen den Zerfall sozialer Werte. Was sind Helden? Was ist Freiheit? Kristofferson blinzelt ab und an gen Himmel - als würde er die Wetterfestigkeit des Abends prüfen. Vielleicht grüßt er auch nur alle Weggefährten und Interpreten seiner Songs, die von Elvis über Frank Sinatra bis zu Tori Amos reichen.
Das religiöse „Why Me Lord“ beendet den Auftritt nach 90 Minuten, Kristofferson flüstert zum Abschied: „Thank you. God bless you.“ Ein kurzes Winken, schon ist er verschwunden. Es ist, als würde man plötzlich und viel zu schnell aus der Güte dieser Welt herausgerissen werden. Was für ein wunderschönes Konzert. (mz)