Veröffentlichung in Prettin Veröffentlichung in Prettin: Alltag mit Kanonendonner

Prettin - Kanonendonner hat im 19. Jahrhundert die Einwohner in der Umgebung der Lichtenburg des Öfteren aufgeschreckt. Es war das Signal, dass aus der Strafanstalt im ehemaligen Schloss Häftlinge ausgebrochen waren. „Die anliegenden Orte hatten daraufhin die Verpflichtung zur Stellung von Suchmannschaften zur Ergreifung der Flüchtigen.“ So ist es zu lesen in der neuen Broschüre des Fördervereins Schloss und Gedenkstätte Lichtenburg, in der die Geschichte der Lichtenburg als sächsische und preußische Strafanstalt von 1812 bis 1928 beleuchtet wird.
Am 2. Februar 1811 hat demnach der sächsische König Friedrich August (1750 bis 1827) befohlen, dass das nach dem Tod der letzten dort wohnenden Kurfürstin Anna Sophie 1771 nur noch sporadisch genutzte Schloss zu einer Straf- und Besserungsanstalt umgebaut werden soll. Weil Torgau zur Festung werden sollte, musste das Zuchthaus aus dem dortigen Schloss Hartenfels verlegt werden.
Schon im April 1812 kamen die ersten weiblichen Häftlinge samt Anstaltspersonal und deren Bedienstete in der Lichtenburg an. Kurz darauf folgten männliche Sträflinge. Auch für die dann preußische Provinz Sachsen nach der Niederlage Napoleons 1813 und dem Wiener Kongress war die Strafanstalt Lichtenburg eine feste Größe.
Über die Mauern hinaus
Bis 1908 gab es immer wieder An- und Ausbauten auch außerhalb des Schlosskomplexes, die auf bessere Funktionalität als Strafanstalt und der Unterbringung von Personal dienten, aber auch auf den Zuwachs von Häftlingen gerichtet waren, wie etwa der Ausbau der Dachgeschosse als Schlafsäle und Zellentrakte.
Die Strafanstalt dehnte sich über die Schlossmauern hinaus aus. Für das Personal wurden Wohnungen und Häuser errichtet. Die Sanddünen östlich der Lichtenburg wurden geebnet, um landwirtschaftliche Nutzfläche zu schaffen, der Häftlingsfriedhof befand sich auf dem Gelände des heutigen Prettiner Sportplatzes. Aus anfänglich knapp 400 waren in den 1830er Jahren durchschnittlich rund 700 Häftlinge geworden. Zur Überfüllung der Strafanstalt Lichtenburg kam es infolge der Deutschen Revolution 1848/49, in deren Folge zahlreiche „Aufrührer“ verhaftet und angeklagt worden waren.
Auch nach den Märzkämpfen in Mitteldeutschland 1921 kamen vermehrt politische Häftlinge in die Lichtenburg. Wie Sven Langhammer vom Förderverein berichtet, forschen die Mitglieder derzeit zu den Personalien einzelner Häftlinge, vor allem jene, die im Zusammenhang mit historisch bedeutsamen Ereignissen ihrer Zeit stehen. Dazu soll es in naher Zukunft eine weitere Veröffentlichung in der Reihe der Lichtenburger Hefte geben.
1856 wurden im Schloss durchschnittlich 1.134 Gefangene gezählt. Mit der Eröffnung der Frauenstrafanstalt Delitzsch, an deren Aufbau auch Lichtenburger Sträflinge mitgewirkt hatten, wurde die Lichtenburg ein reines Männergefängnis. Bis zur Jahrhundertwende blieb die Zahl bei 600 bis 800, bei der Auflösung der Strafanstalt 1928 waren es noch 230 Häftlinge.
In der Broschüre wird geschildert, wie die Strafanstalt funktionierte und wie die Bedingungen der Häftlinge waren. Die hatten sich in den 1920er Jahren erheblich verschlechtert, so dass es vermehrt zu Hungerstreiks, Revolten, und Ausbrüchen kam. Zwar wurden Wachen und Sicherheitsanlagen verstärkt, aber dies zeigte wohl wenig Wirkung. Letztlich konnte die Strafanstalt dem modernisierten Strafvollzugsgesetz der Weimarer Republik nicht gerecht werden. So wurde 1927 mit der Räumung begonnen.
Zwar sorgten sich die Bewohner der umliegenden Orte wegen der wachsenden Zahl der Ausbrüche zunehmend um ihre Sicherheit, mit der Entscheidung, die Anstalt zu schließen waren sie aber auch nicht einverstanden. Zwar war diese, wie in dem Heft beschrieben, fast ein autarker Wirtschaftsbetrieb mit Handwerk und Landwirtschaft, doch gab es auch enge Verflechtungen mit örtlichen Geschäftsleuten, die ihre Waren billiger aus den Häftlingswerkstätten bezogen. Deshalb gab es Proteste gegen die Schließung. Vergeblich war die Forderung, die Anstalt in kleinerem Umfang fortzuführen, bis eine Nachnutzung gefunden ist. Im Juli 1928 wurde Strafanstalt endgültig aufgelöst.
Nur fünf Jahre bis zum Grauen
Ob zu diesem Zeitpunkt wirklich noch nicht abzusehen war, in welcher Gestalt sich die Nachnutzung finden sollte, ist spekulativ. Nur fünf Jahre liegen zwischen der 116-jährigen Epoche der Lichtenburg als Strafanstalt und dem Beginn ihrer dunkelsten Zeit als Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Für Sven Langhammer steht außer Zweifel: „Der Umbau des Renaissanceschlosses zum Gefängnis war die Voraussetzung. Ohne diese Strafanstalt hätte es hier kein KZ gegeben. Das eine fußt auf dem anderen.“
Weitere Forschung zu Gefängnis-Insassen
Dem Heft „Die Strafanstalt Lichtenburg“ ist in diesem Jahr bereits eine Publikation des Fördervereins Schloss und Gedenkstätte Lichtenburg vorausgegangen. Die Broschüre „Schloss Lichtenburg und seine Bewohner - Das 17. und 18. Jahrhundert“ hatte die MZ Anfang Februar vorgestellt. Auch davon sind noch Exemplare vorhanden. Bezogen werden können sie direkt über den Verein.
In diesem Jahr soll noch eine dritte Broschüre erscheinen, die über die Nutzung der Lichtenburg ab 1945 erzählt. Bei dieser Schriftenreihe handelt es sich laut Vorsitzendem Sven Langhammer um die populärwissenschaftliche Form. „Es ist sozusagen die Null-Ebene unserer Geschichtsforschung“, so Langhammer.
Bei der 1999 vom damaligen Förderkreis Lichtenburg aufgelegten Reihe der „Lichtenburger Hefte“, die der neue Förderverein wieder aufleben lassen will, handele es sich um wissenschaftliche Aufbereitung. In dieser Reihe sollen demnächst Einzelschicksale von Häftlingen aus den Jahren 1812 bis 1928 beleuchtet werden.
Neue Mitstreiter sind im Förderverein willkommen. Die Geschichtsforschungen beziehen sich laut Langhammer nicht nur auf die Lichtenburg, sondern auch auf den Ort Prettin und seine Umgebung.
Kontakt (auch für den Erwerb der Broschüren): Telefon 01577/8133541; E-Mail: [email protected] (mz)