Trickbetrüger im Landkreis Wittenberg Trickbetrüger im Landkreis Wittenberg: Ein Notar und das viele Geld
Wittenberg - Die junge Frau braucht exakt 39 Sekunden, um potentielle Opfer zu ködern. Sie hinterlässt ihre Telefonnummer auf dem Anrufbeantworter, stellt sich als eine Mitarbeiterin einer Rechtsanwaltskanzlei und eines Notariats vor und bittet dringend um einen Rückruf. „Es ist sehr wichtig“, bleibt die unbekannte Frau sehr geheimnisvoll.
Die nette Stimme einer Frau
Um es vorwegzunehmen: Die Anruferin mit der netten Stimme gehört mit zu einer Trickbetrügerbande, die sehr professionell agiert und ihre Opfer derzeit auch in Wittenberg sucht. Wer den so dringlichen Wunsch der Dame erfüllt, kann wirklich glauben, er sei mit seinem Anruf in einer echten Kanzlei gelandet.
Schließlich wird er zuerst nach einem Aktenzeichen gefragt. Das allerdings erhält der „künftige Mandant“ von einem Notar. Das geht schnell und unbürokratisch. Erst beim nächsten Telefonat bei den „Anwälten“ erfährt der Anrufer von seinem vermeintlichen Glück: Er hat 126.000 Euro gewonnen. „Warum freuen Sie sich nicht?“, will die vermeintliche Juristin wissen und hat für alle Fragen sofort eine Antwort parat.
Ein Trickbetrüger, der auch in Wittenberg 2016 sein Unwesen getrieben hat, musste sich vorm Landgericht Bonn verantworten. „Der Angeklagte wurde wegen Beihilfe zum Betrug verurteilt. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde“, erklärt Richter Bastian Sczech. Der selbst ernannte Vorstandsvorsitzende verschickte bundesweit seit März 2015 sogenannte Trickformulare, die aussehen wie ein behördliches Schreiben. Die Empfänger sollten ihre Firmenangaben in ein Formular eintragen, um anschließend in ein „Zentrales Gewerberegister“ aufgenommen zu werden. Mit ihren Daten und Firmenangaben tappen die Chefs dann aber in eine Vertragsfalle und bestellten verbindlich ein Leistungspaket im Wert von mehreren hundert Euro.
Es gibt sogar eine Erklärung dafür, dass ein Geldsegen auch ohne Teilnahme an einem Gewinnspiel möglich sei. Zwei große Internet-Firmen würden unter ihren Kunden die Gelder „automatisch auslosen“. Und nein, sagt die Frau, sie werde am Telefon doch keine Kontodaten erfragen. Schließlich sei dies unseriös. Es werde zur Überweisung ein separates Konto auf den Namen des Gewinners seitens der Kanzlei auf einer Berliner Bank eingerichtet.
Dafür werden 184,40 Euro Anwalts- und Notarkosten fällig. Auch das wäre - wenn es denn stimmen würde - übrigens ein Schnäppchen. Allerdings - und das ist der Haken - muss die Summe vorab überwiesen werden. Gern werde auch der Wunsch erfüllt, dies alles schriftlich zuzuschicken.
„Der Brief müsste in zehn Tagen bei Ihnen sein. Wenn das nicht der Fall ist, rufen Sie bitte noch mal an“, so die Frau. Die Post trifft nie ein. Dabei beantworte die Dame aus der Kanzlei geduldig alle Fragen. Selbst eine Büroadresse wird auf Nachfrage genannt. Doch die ist in Wien nicht existent.
Auch der Name der Kanzlei ist völlig unbekannt. Die Telefonnummer lässt sich aber zurückverfolgen und führt zu einem Callcenter nach Wien. Inzwischen gibt es offensichtlich mindestens noch zwei weitere Trittbrettfahrer aus Berlin und Hamburg, die auf diese Masche setzen. Die Gauner spielen gleich noch Finanzamt: Statt der vermeintlichen Kontoerrichtungsgebühr wollen die Betrüger eine Steuer kassieren.
Dabei erhöhen die Trickbetrüger laut Anwalt Ulrich Nitz aus Wittenberg ihre Gebühren. Stefan M. wirbt derzeit für ein „Gewerbeverzeichnis Sachsen-Anhalt“. Wer antwortet, läuft Gefahr, zwei Jahre lang pro Monat 66 Euro netto zu berappen. Und bei den Allgemeinen Geschäftsbedingen - nur im Internet veröffentlicht - wird schon mal vorsorglich Gerichtsstand Bukarest genannt.
Der Mann hat kein Interesse, sich vor deutschen Gerichten zu verantworten. Das hilft aber nicht wirklich. „Wer in Wittenberg Unfug macht, muss sich auch vorm Amtsgericht verantworten“, sagt Jurist Nitz.
Internet löst Boom aus
Die Masche von Stefan M. ist weder neu noch originell. Schon in den 1950er Jahren wurden aus den gedruckten Gelben Seiten die Angaben von Unternehmen ausgeschnitten und per Brief den Firmenchefs vorgelegt, mit der Bitte die Daten zu überprüfen, eben für ein „Branchenbuch“. In den Zeiten des Internets hat der Trick aber rasant zugenommen.
(mz)