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Pflegekinder im Landkreis Wittenberg Pflegekinder im Landkreis Wittenberg: Letzte Chance für Familien

Von Aline Gorldt 12.11.2019, 10:22
Birgit Schmager hat die Planung für die nächsten Tage im Blick.
Birgit Schmager hat die Planung für die nächsten Tage im Blick. Gorldt

Zahna - Derzeit werden im Landkreis Wittenberg 132 Pflegekinder durch den Pflegekinderdienst betreut. 118 Pflegefamilien gibt es insgesamt im Kreis. 14 davon nehmen Kinder in Krisen- oder Notsituationen auf. Auch wenn die Aufnahmekapazitäten noch nicht ausgeschöpft und somit das Angebot als bedarfsdeckend einzuschätzen sei, werden weiterhin Pflegefamilien für die Vermittlung von Kindern in Vollzeitpflege gesucht, erklärt der Pressesprecher des Landkreises, Ronald Gauert. Die Entscheidung, ein Kind in einer Pflegefamilie unterzubringen, ist keine leichte, weiß Michelle Heinze. Sie ist die Leiterin der Kinderschutzfachstelle des Landkreises.

Auf Bedarf reagiert

„Wir hatten die Situation, dass die Mitarbeiter des Krankenhauses nicht einschätzen konnten, ob das Neugeborene zu Hause gut versorgt wird“, erinnert sich Heinze. Um beispielsweise solchen Umständen entgegenzuwirken, dass das Krankenhaus nach kurzer Zeit entscheiden muss, ob die Eltern in der Lage sind, für ihr Kind zu sorgen, wurde die ambulante Familienhilfe ins Leben gerufen.

Diese Hilfe soll leisten, was bisher nicht möglich war: Familien, nicht nur Mutter und Kind oder Vater und Kind, werden in einem Zeitraum von maximal sechs Monaten unterstützt und eingeschätzt. Und zwar rund um die Uhr.

Nach dem Vorbild einer ähnlichen Einrichtung in Leipzig erarbeiteten der Internationale Bund, der Träger der Einrichtung, und das Jugendamt ein Konzept. Herausgekommen ist das Elternintensivtraining „Haus Kleeblatt“ in Zahna. Damit eröffnete der IB im Juni die erste Einrichtung dieser Art im Landkreis. „Unser Ziel ist es, die Erziehungsfähigkeit der Eltern zu prüfen und wiederherzustellen“, erklärt Jane Kühnl, die Leiterin der Einrichtung.

Dabei gehe es vor allem darum, was für das Kind das Beste ist. In dem Haus in der Woltersdorfer Straße sind vier Wohnungen. Eine wird von den Betreuern genutzt. Die übrigen drei Wohnungen sind für die Familien. Jede misst etwa 40 Quadratmeter und besteht aus einem Kinderzimmer, Küche, Bad und einem Wohnzimmer. Hier können die Eltern, oder auch nur ein Elternteil, mit maximal zwei Kindern, wobei das Jüngste unter drei Jahren alt sein muss, einziehen. Auch schon während der Schwangerschaft.

Finanziert wird das ganze vom Jugendamt. Die Mitarbeiter, drei Erzieherinnen und zwei Krankenschwestern, sind rund um die Uhr vor Ort um die Eltern bei der Erziehung oder anderen Fragen und Sorgen zu unterstützen. „Ich bin davon überzeugt, dass es eine gute Hilfe ist“, erklärt Michelle Heinze. Die drei Plätze seien schnell belegt gewesen, eine Bedarfsliste werde derzeit geführt. Es sei eine Chance für die Familien, es in Zahna noch einmal gemeinsam zu versuchen, bevor die Kinder in eine Fremdunterbringung gebracht werden müssen.

Dass dieses Konzept Erfolg haben kann, beweist die erste Familie, die im Haus Kleeblatt eingezogen ist. Die junge Frau, die lieber anonym bleiben will, ist im Sommer mit ihren beiden fünf und eineinhalb Jahre alten Töchtern in die Einrichtung gezogen. „Ich bin sehr froh, dass ich dieses Angebot vom Jugendamt bekommen habe“, freut sie sich. Dank dieser Unterstützung habe sie mehr Lebensfreude. „Es war eine positive Wendung für mich“.

Prävention statt Pflegefamilie

Sie und ihre Kinder fühlen sich hier sehr wohl und können dank des Projektes auch künftig zusammen wohnen. Ohne die Hilfe im „Haus Kleeblatt“, da sind sich Kühnl und die junge Mutter einig, wäre es dazu nicht gekommen. Nach dem Auszug wird sie von einer Familienhilfe begleitet werden. Letztendlich, erklärt Jane Kühnl, ist es ein Präventionsprojekt. Mit der professionellen Einschätzung der Fachkräfte wird entschieden, ob die Kinder nach dem Aufenthalt in der Einrichtung bei ihren Eltern bleiben können. Außerdem werden weiterführende Hilfen besprochen und empfohlen, alles in enger Absprache mit dem Jugendamt. „Ich arbeite sehr gerne hier“, erzählt Birgit Schmager.

Sie ist gelernte Jugend- und Heimerzieherin und freut sich über jedes Kinderlachen im Haus. „Das nimmt etwas die Dramatik, die manchmal herrscht“, sagt sie. Der Austausch zwischen den Erziehern und Krankenschwestern funktioniere sehr gut. Durch deren unterschiedliche Schwerpunkte können die Familien umfassend betreut und unterstützt werden, fasst sie zusammen.

Auch wenn das Verhältnis zwischen den Familien und Fachkräften sehr gut sei, siezen die Angestellten die Bewohner. Eine Distanz zu wahren sei sehr wichtig, die Arbeit nicht einfach. Anleiten und empfehlen ist die Devise - nicht vorschreiben, erklärt Kühnl die Herausforderung für ihre Mitarbeiter. Die Grundversorgung des Kindes muss stimmen, wie die Eltern diese gewährleisten können, sollen sie unter der Anleitung der Fachkräfte selbst herausfinden.

„Zulassen, es selbst zu tun“, fasst die Leiterin kurz und knapp zusammen. „Ich bin immer wieder positiv überrascht, was die Eltern leisten können“, ergänzt Schmager.

(mz)