Ein wankendes Schiff Ein wankendes Schiff: Situation an Annaburgs Schulen bleibt angespannt

Annaburg - Das Thema brennt auf den Nägeln, aber dennoch erweist es sich als schwierig, möglichst viele Verantwortliche an einen Tisch zu bekommen. So sind in der gemeinsamen Beratung von Haupt- und Sozialausschuss des Annaburger Stadtrats zum Thema Bildungsqualität vor allem im Stadtgebiet von Annaburg, aber auch darüber hinaus, einige Stühle leer.
Von den bildungspolitischen Sprechern der Fraktionen der Kenia-Koalition (Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen) in Magdeburg hat nicht einer den Weg nach Annaburg gefunden. Und dies, obwohl der Termin, der bereits im Juni anberaumt war, auf Ende August verschoben wurde, um möglichst vielen die Teilnahme zu ermöglichen.
Mangel an Lehrern steht in Annaburg im Mittelpunkt
Im Blickfeld steht dabei die nach Meinung der Annaburger nicht ausreichende Zahl an Lehrern an den Bildungsstätten und die ungewisse Zukunft der Schulsozialarbeiter. Diese Hauptkritikpunkte lieferten den Anlass für das Treffen. Auch wenn die Lage nicht ganz so schlimm eingetreten ist, wie noch im Juni befürchtet, Zufriedenheit ist deshalb nicht eingekehrt.
So stellte Annaburgs Bürgermeister Klaus-Rüdiger Neubauer (parteilos) fest: Rein rechnerisch sei die Zahl der Lehrer jetzt halbwegs auskömmlich. Doch das System ist instabil, wie die Grundschulleiterinnen Antje Berger (Annaburg) und Susan-Sylvie Ebermann (Prettin) erläuterten. Bereits die Krankheit einer Lehrerin kann alles ins Wanken bringen. Zudem, die Lehrerversorgung in Annaburg liegt derzeit bei 93 Prozent, in Prettin bei 113 Prozent, informierte Gabriele Bösel, Referentin im Landesschulamt. Das seien Werte auf dem Papier. Denn in der Realität werden diese Werte aufgrund von Ausfällen, auch längerfristigen, nicht erreicht, so die Schulleiterinnen. Da komme das Schiff ins Wanken, sagte Annaburgs stellvertretende Bürgermeisterin Anja Liebig.
Es werde in Deutschland zu wenig Geld für die Bildung ausgegeben, meinte Klaus-Dieter Richter (FDP, er gehört im Kreistag der CDU-Fraktion an und ist Mitglied im Ausschuss Schule und Kultur). Vor zehn Jahren hätte schon erkannt werden können, dass es wegen fehlender Lehrer zu einer Misere kommen werde. Kritik äußerte er auch, wie in Sachsen-Anhalt die Inklusion (gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Handicap) praktiziert wird. Es sei richtig, die Schwachen zu fördern, aber die anderen Schüler dürften dadurch nicht vergessen werden, meinte Karin Reihs.
Dietrich Glöckner (beide Freie Wählergemeinschaft Annaburg) vertrat die Ansicht, dass durch die jetzige Verfahrensweise das Bildungsniveau sinke. Reinhild Hugenroth (sie gehört im Kreistag der Fraktion SPD, Bündnis 90/Die Grünen an) verwies auf das Grundrecht, dass die Eltern entscheiden können, an welcher Schule ihr Kind mit Förderbedarf lernen möchte. Das sei doch nur Theorie, erwiderte darauf Anja Liebig. Welche Eltern würden ihr sechsjähriges Kind denn etwa aus Prettin in das rund 40 Kilometer entfernte Wittenberg in die Förderschule für Lernbehinderte schicken. Darum forderte sie, dass auch in der Region Jessen ein Förderzentrum etabliert wird, nicht nur in Wittenberg und Gräfenhainichen, wie es im Gespräch ist.
Volksinitiative für mehr Lehrer sammelt mehr als 30.000 Unterschriften
Durch die Volksinitiative für mehr Lehrer und Lehrerinnen sowie pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei vielen Leuten in Sachsen-Anhalt die prekäre Lage im Bildungswesen bewusst gemacht worden, meinte Klaus Nehring (Linke). Der Landtag wird sich, da voraussichtlich weit mehr als die geforderten 30.000 Unterschriften in dieser noch laufenden Volksinitiative zusammenkommen, mit diesem Thema befassen müssen.
Der bildungspolitische Sprecher der Fraktion „Die Linke“ im Landtag, Thomas Lippmann, kritisierte, dass die Landesregierung nicht den Mut habe, den realen Bedarf an Lehrern und pädagogischen Mitarbeitern zu ermitteln. Wenn es nicht von oben geschehe, sollte es von unten erfolgen. Er sprach sich gegen Politik nach dem Motto aus: Wir müssen gucken, wie viel Geld wir haben und was wir daraus machen könnten. Die Position unterstützte Klaus-Dieter Richter. Fragestellungen wie „Was können wir uns leisten?“, „Was wollen wir uns leisten?“, sind nach seiner Ansicht in der Bildungspolitik fehl am Platze.
Grundschule in Prettin ist noch ohne pädagogische Mitarbeiterin
In der Schule Annaburg mit mehreren Kindern mit Migrationshintergrund sind neben den Lehrerinnen eine Schulsozialarbeiterin und zwei pädagogische Mitarbeiterinnen tätig, in der Sekundarschule, hier lernen 30 Schüler mit Migrationshintergrund, eine Pädagogische Mitarbeiterin und eine Schulsozialarbeiterin und eine Beschäftigte im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes.
In Prettin, hier werden derzeit keine Kinder mit Migrationshintergrund beschult, gibt es keine Pädagogische Mitarbeiterin und keinen Schulsozialarbeiter. „Eine Pädagogische Mitarbeiterin wäre für uns sehr wertvoll“, merkte Susan-Sylvie Ebermann an. „Schule ohne Pädagogische Mitarbeiterin und Schulsozialarbeiter ist für mich nicht mehr vorstellbar“, sagte Antje Berger. Derzeit fehle der Wille im Land, allen Grundschulen Pädagogische Mitarbeiter zuzubilligen, so Thomas Lippmann.
Noch bis 2020 wird Schulsozialarbeit durch den Europäischen Sozialfonds und das Land gefördert. Doch das Programm dürfe kein Auslaufmodell werden, verlangte Lena Stepper von der Netzwerkstelle „Schulerfolg sichern“. Klaus-Dieter Richter forderte, dass Schulsozialarbeiter aufgrund ihrer Bedeutung im Schulgesetz Berücksichtigung finden. Reinhild Hugenroth sprach sich dafür aus, dass sie Landesbedienstete werden.
Die Ergebnisse der Beratung werden in ein Positionspapier einfließen, mit dem die Annaburger auf die Schwachstellen in der Bildungspolitik aufmerksam machen wollen. Das Schreiben werde dann an die Landtagsabgeordneten gehen, so Klaus-Rüdiger Neubauer. Steter Tropfen höhle den Stein, merkte er dazu an. Nicht alle in der Runde teilten diesen Optimismus.
(mz)