Brauchtum in Gohrau Brauchtum in Gohrau: Bis zur dritten Strophe

Gohrau - 19 Kilogramm Haggis liegen bei Fleischer Wildgrube in der Kühlung. Das Burns-Supper am 2. Februar kann also kommen; eine der Hauptzutaten für den schottischen Abend im Kreuzrittergut Buro ist in ausreichenden Mengen vorhanden. Da braucht es nur noch den Whisky, um sich das schottische Nationalgericht schön zu trinken.
Gefüllter Schafsmagen mit einer Mischung aus Innereien, Hafergrütze, Hafermehl, Nierenfett und Gewürzen klingt zumindest gewöhnungsbedürftig. „Kosten.“ Gottfried Wildgrube säbelt mit dem Messer ein wenig von der Füllung in der braungrauen Darmkugel ab. Und was soll man sagen, am Ende ist der Haggis doch gar nicht so schlecht. Die Innereien schmeckt man ziemlich deutlich, weil aber auch ordentlich Cayennepfeffer in die Füllung kommt, nimmt die Schärfe etwas vom Eigengeschmack.
In der Fleischerei Wildgrube in Gohrau sind die Haggis-Kugeln in den vergangenen Tagen aus vier geschlachteten Schafen entstanden. Die jährliche Ausnahme im Familienbetrieb von Gottfried Wildgrube, den inzwischen Sohn Andreas in fünfter Generation führt. Normalerweise schlachten die Wildgrubes an jedem Montag Schweine und stellen nach bewährtem Rezept der Vorfahren ihre Hausschlachtwurst her.
Auf die Angebotspalette, aber nicht ins dauerhafte Repertoire hat es der Haggis vor drei Jahren gebracht. Da etablierte Rittergutbesitzer Matthias Prasse - ein großer Schottland-Liebhaber - das Burns-Supper, ein Festmahl zu Ehren des Dichters Robert Burns. Auf der Speisekarte stehen am Geburtstag des Dichters Haggis, Steckrüben und Kartoffeln. Dazu gibt es das immer gleiche Ritual: Bevor der Haggis serviert wird, wird er auf einer Platte feierlich hereingetragen, während der Hausherr das Burns-Gedicht „The Address to a Haggis“ vorträgt. Bei den Worten „cut you up wi’ ready slight“ („dich mit schlichter Gewandtheit aufschlitzen“) in der dritten Strophe wird die Hülle aufgeschnitten, so dass die Innereien auslaufen und sich auf der ganzen Servierplatte verteilen.
„Das sieht dann so ähnlich wie bei uns die Grützwurst aus“, sagt Fleischer Wildgrube. Von all dem ahnte er vor drei Jahren freilich noch nichts, als Prasse ihn ansprach und für die Haggis-Produktion fernab von Schottland gewinnen wollte. Da mussten auch die Fachleute erst mal recherchieren, um schließlich festzustellen, dass zwar die Zutaten speziell sind, aber die Zubereitung eher Routine ist. „Das ist unser Prinzip von der Schwartenwurst“, erklärt der Seniorchef, der nun das dritte Jahr in Folge die Hauptspeise für den Schottlandabend produziert, diesmal besonders viel, denn Matthias Prasse richtete die Veranstaltung am jetzigen Hauptwohnsitz Burgliebenau bereits am Freitag aus.
Erinnern kann sich der Fleischer auch noch an seinen ersten Haggis-Verkoster. Den gab ein Gohrauer Schlosser, der durch Montage schottlanderfahren ist. „Der sagte, so gut wie unserer schmeckt, würde man ihn in Schottland nicht hinbekommen“, sagt Gottfried Wildgrube stolz und kann sich schon denken, dass man im schottischen Imbissgeschäft reichlicher mit dem Hafermehl umgeht.
Das Prinzip des Haggis ist dem Fachmann jedoch sehr nahe. „Es geht darum, alles vom Schaf, von der Nase bis zum Schwanz, zu verwerten“, erklärt er. Genauso würden es er und seine beiden Söhne auch im Betrieb halten. Von den acht bis 15 Schweinen, die in Gohrau jeden Montag geschlachtet werden, bleibt nichts übrig. Leberwurst, Rotwurst, Schwartenwurst, Bratwurst und der Hackepeter sind die Favoriten bei der Kundschaft. Pfeffer, Salz, Majoran und Kümmel die Gewürze der Wildgrubes, die die Firmengründer schon 1919 verwendet haben.
Nur Gottfried Wildgrubes Kümmelschinken ist eine neuere Erfindung. Gut durchwachsen und fein im Geschmack. „Das ist eine spezielle Technik“, sagt er und verrät nicht mehr. Das Ergebnis ist hierzulande jedenfalls eher massenkompatibel als der Haggis.
(mz)