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Ärger in Kemberg Ärger in Kemberg: Einwände ignoriert

Von Karina Blüthgen 12.10.2016, 08:53
Ist der Neubau an der Engstelle in Kemberg (mit dem Gerüst) tatsächlich höher als das Nachbarhaus geworden? Das Foto belegt das nicht.
Ist der Neubau an der Engstelle in Kemberg (mit dem Gerüst) tatsächlich höher als das Nachbarhaus geworden? Das Foto belegt das nicht. Klitzsch

Kemberg - Je weiter der Neubau in der Engstelle der Leipziger Straße in Kemberg voranschreitet, desto mehr wächst der Unmut bei Horst und Carla König. „Wir haben nichts gegen einen Neubau, aber nicht in der Größenordnung“, sagt Carla König und schaut auf den Rohbau, der später im Erdgeschoss eine Tagespflege und darüber auf zwei Etagen barrierefreies Wohnen möglich machen soll.

Eingeschränkte Privatsphäre

Ihr Brief an die Mitteldeutsche Zeitung offenbart den angestauten Ärger. „Die Größe des Gebäudes ist völlig überdimensioniert, dafür ist das Areal viel zu eingeengt“, schreiben sie. „Ein Grundstück ist völlig zugemauert, der Blick der neuen Bewohner trifft auf den Innenhof und auf Mauern, so dass die Privatsphäre beiderseits stark eingeschränkt ist. Das andere Grundstück ist ähnlich betroffen, bekommt durch die Höhe kein Sonnenlicht mehr“, schildern sie ihre Situation. „Was hat das mit Wohnkultur zu tun? Außerdem sinkt der Wert unserer Häuser!“

Im April 2016 wurde mit den Vorbereitungen für den Neubau in der Leipziger Straße in Kemberg begonnen. Dieser soll vorwiegend älteren Bewohnern zugute kommen. Neben einer Tagespflege-Einrichtung für etwa 15 Personen im Erdgeschoss gibt auf zwei Etagen zwölf barrierefreie Appartements in Ein- und Zweiraumwohnungen. Vor dem Beginn der Bauarbeiten wurde an den Nachbarhäusern durch Gutachter eine Beweissicherung durchgeführt, um spätere Schäden eindeutig festlegen zu können. Dem folgten 14-tägige Untersuchungen des Areals, auf dem früher das Kemberger Stadttor stand, durch Archäologen. Die Bodenplatte für das neue Haus hat eine Brunnengründung bekommen, da der Untergrund nicht ganz einfach ist. In der zweiten Septemberhälfte war Richtfest, die Fertigstellung soll voraussichtlich im Februar 2017 erfolgen.

48 Jahre lang genoss die Familien König den freien Blick auf Himmel und Natur. Als nach der Wende die baufällige Scheune auf dem Nachbargrundstück abgerissen war, konnte Tochter Katrin Cremer vom Obergeschoss aus sogar der Nachbarin zuwinken. Mit dem jetzigen Neubau, an dem im September Richtfest gefeiert wurde, hat sich vieles verändert. Am meisten stört die Nachbarn, dass die künftigen Bewohner aus der ersten Etage direkt in ihren Hof sehen können. Zuschauer beim Kaffee oder zum Grillabend im Sommer - das hatten die Kemberger nie im Sinn.

Ihre Einwände bei der Stadt und beim Bauordnungsamt des Landkreises seien sämtlich zurückgewiesen worden, was sie nicht verstehen. Das neue Haus sollte so hoch werden wie ihres, nun sei es einen Meter höher geworden - was das Foto jedoch nicht belegt. „Anfangs hieß es, dass zwischen unserer Hofmauer und dem Neubau ein Rettungsfahrzeug durchpassen sollte“, erinnert sich Katrin Cremer bei einem Vor-Ort-Termin mit der Presse. Doch der Durchgang sei viel zu eng. Horst König sieht neben der schlecht einsehbaren Ausfahrt zur Leipziger Straße ein weiteres Problem bei der Photovoltaik auf dem Dach und dem vielen verbauten Holz an der Fassade. „Wenn das mal brennt“, macht er sich ganz eigene Gedanken. Doch auch die Geräuschkulisse aus dem Bad der ersten Etage sowie der freie Blick darauf könnte stören. „Wir hatten mit Herrn Böckelmann gesprochen wegen Milchglas in den Badfenstern. Er hat gesagt, er will es versuchen“, so König, der darin fast eine Zusage sieht.

Thomas Böckelmann, Bauherrenvertreter für die Immobilien GbR, erklärt, zugesagt habe er nichts: „Was wir bauen, ist nach geltendem Baurecht, wir müssten keine Zugeständnisse machen.“ Dennoch habe man nicht direkt an den Giebel des Nachbarhauses angebaut, sei auch auf der anderen Seite etwas eingerückt. Schon als das Projekt vor dem Kemberger Bauausschuss vorgestellt wurde, habe man Änderungen aufgenommen, sagt Böckelmann.

Einspruchsfrist nicht genutzt

Das Bauordnungsamt des Landkreises habe die Nachbarn im Rahmen des Beteiligungsverfahrens informiert, erläutert Angelika Vorig, Sprecherin der Kreisverwaltung, den üblichen Verfahrensweg. Nach Zusendung der Baugenehmigung hätten die Nachbarn vier Wochen Zeit für etwaige Einsprüche gehabt. „Diese sind nicht erfolgt, also ist die Genehmigung erteilt worden“, so Angelika Vorig.

Der Stadt weist die Familie König ebenfalls Verantwortung zu. „Von Seiten der Stadt stand der Bauplan fest, lange bevor die Anwohner davon wussten“, heißt es im Brief der Kemberger. Es geht darum, dass die Fläche im August 2015 zum Verkauf gestellt wurde, auf der Architektenzeichnung, die dem Paar vorliegt, jedoch der Januar 2015 angegeben sein soll. Es habe eine Phase der Konzeptionierung mit der Stadt gegeben, aber die Zeitkette sage ihm nichts, bedauert Böckelmann. Von der Stadt war keine Auskunft zu bekommen, der Bürgermeister sowie seine Stellvertreterin befinden sich im Urlaub.

„Wir sind einfach enttäuscht, weil keiner unsere Meinung zur Kenntnis genommen hat“, erklärt Katrin Cremer. Sie und ihre Eltern fühlen sich mit ihren Fragen und Bedenken allein gelassen. (mz)