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Jugendtheater in Nordhausen Jugendtheater in Nordhausen: Aus dem Koffer das Leben

Von Evelyn Lange 19.02.2016, 12:18
Collagenartig zeigen die Rudolstädter Jugendlichen, wie Gruppenzwang wirkt.
Collagenartig zeigen die Rudolstädter Jugendlichen, wie Gruppenzwang wirkt. Susemihl

Nordhausen - Wie das anfing? Irgendwann im vorigen Jahr habe Bianca angerufen und gemeint, man müsse mal etwas zusammen machen, erzählt Ulrike Lenz, ihres Zeichens Rudolstädter Theaterpädagogin, im Nordhäuser Theater unterm Dach freimütig. Und nun sei schon Premiere. Bianca heißt mit vollem Namen Bianca Sue Henne und ist die Leiterin des Jungen Theaters in Nordhausen. Sie ist somit dafür verantwortlich, dass beide Theaterjugendclubs nun, jeder mit einer Eigenproduktion, zusammen als Kooperationsprojekt auf der kleinen Studiobühne standen.

Mit einem Koffer auf Reisen

Im Oktober 2015 hatte jeder Club einen Koffer mit Requisiten gepackt und auf die Reise zum anderen geschickt. Mit den Utensilien, die da ankamen, sollten zwei neue Stücke entstehen. „Aus dem Koffer“ nannten die jungen Mimen ihr Vorhaben, das trotz der unterschiedlichen Requisiten eine Verbindung der beiden Produktionen herstellen sollte. Ein ehrgeiziges Unterfangen, war doch von ganz anders gearteten Denkansätzen auszugehen. Nun war Premiere und die jungen Leute haben ihr Ziel erreicht: Alles passte wunderbar, war sperrig und laut und unfriedlich, aber auch ruhig und sachlich und gehörte, aller Individualität zum Trotz, letztlich doch zusammen.

Wirkung des Gruppenzwangs

Den Anfang machten, wie es gute Sitte ist, die Gäste. Was so im Koffer war, hing aufgereiht um die Bühne und wurde nach Bedarf gekostet, gegessen, abgerissen und zertrampelt. Die acht jungen Leute zeigten eindrücklich, wie es ist, sich Zwängen zu unterwerfen, um der Clique zu genügen, anerkannt zu werden. Gruppenzwang zur Schlankheit, zum genormten Schönsein. Und zu alldem kommt dieses geflüsterte Mobbing. Ausscheren kann tödlich sein. Und da ist noch dieses schmerzliche Jungsein im Kopf, das alles glaubt zu kennen und kaum etwas weiß. Mir doch egal, Null Bock, schreit es heraus und wälzt sich vor Kummer auf dem Boden. Weil eben nicht alles scheißegal ist. Weil ältere Geschwister keine Eltern sind, weil niemand zuhört außer einem Waschlappen. All die Berührungen, innen und außen, die nach der Seele greifen wie böse Träume. „Mit 19 stirbt man nicht an Krebs, sondern an Liebeskummer!“ Wie recht sie hat, die junge Frau. Doch das Leben hält sich nicht an Regeln.

„Wie funktioniert das nun mit Frauen?“, treibt den Jungen um. Ach ja, die Liebe. Und Drogen und Australien und Hildegard-Günther, das Huhn aus dem Koffer, Ost und West, all dieses komplizierte Leben, wer hilft nur, es zu verstehen? „frei.drehen“ haben die Rudolstädter Clubber ihr Stück genannt, in dem das Ende der einen Geschichte stets den Anfang der neuen gebiert, so dass es eigentlich nicht aufhören dürfte. Das ist gut gedacht und klasse gespielt.

Spannend und berührend

Ganz anders haben die Nordhäuser ihr Stück entwickelt, das sie „Wahrheit oder Pflicht“ nennen. Abby ist tot. Was war vor einem Jahr, als sie nach der Halloweenparty verschwand und die Freunde keine mehr waren? Wie standen sie alle zueinander? Hätte Abbys Tod vermieden werden können? Haben die Rudolstädter Spieler ihr Stück collagenartig zusammengefügt, warteten die Gastgeber mit einem stringent durchgezogenen Handlungsstrang auf, der an einen schwedischen Krimi erinnerte. Aus dem Off ertönt die Stimme des Kommissars, der die Freunde streng befragt. Dabei stehen sie im Spotlight, allein, ohne den Schutz der Gruppe. In Rückblenden spielen sie den verhängnisvollen Abend, die verstörenden Bekenntnisse zur Liebe, die Verletzungen und Ängste. Das ist spannend und berührend. Sie ziehen ihren Thriller konsequent und elegant durch. Da ist nichts sperrig oder schrill und doch ist die latente Angst vor Ausgrenzung gegenwärtig. Chapeau!

Genau das war der gemeinsame Nenner, den beide Produktionen haben. Sehr schade, dass das Doppelpack nur noch einmal am Freitag um 20 Uhr im theater tumult in Rudolstadt zu erleben ist.

Nächste Vorstellung von „Wahrheit oder Pflicht“ ist am 20. März um 18 Uhr im Theater unterm Dach in Nordhausen. Karten unter Tel. 03631/ 98 34 52 oder Internetwww.theater-nordhausen.de  (mz)

Einen Krimi inszenieren die Nordhäuser.
Einen Krimi inszenieren die Nordhäuser.
Suse Mihl