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Einweihung 1969 Einweihung 1969: Von der DDR bis heute: So funktioniert die Talsperre Kelbra

Von Alexander Schierholz 14.06.2019, 08:00
Tretbootfahren war am Stausee schon immer beliebt.
Tretbootfahren war am Stausee schon immer beliebt. Maik Schumann

Kelbra - Der Raum, von dem aus Katastrophen vermieden werden sollen, wirkt unscheinbar. Es geht ein paar Stufen hinab, nach links durch eine blaue Tür, wasserwirtschaftsblau, sagen sie hier, Farbcode RAL 5010. Rechter Hand ein mannshoher Schaltschrank, auch in blau, mit unzähligen schwarzen Druckknöpfen. An einer großen Fensterfront mickert eine Topfpflanze vor sich hin. Wassermangel.

Dabei haben sie hier, in der Talsperre Kelbra (Mansfeld-Südharz), mehr als genug Wasser. Seit nunmehr 50 Jahren wird in der Goldenen Aue im Schatten des Kyffhäusers das Flüsschen Helme aufgestaut, ein Nebenfluss der Unstrut.

Stausee fasst 35,6 Millionen Kubikmeter Wasser

Wenn der Stausee voll ist, was selten vorkommt, fasst er unvorstellbare 35,6 Millionen Kubikmeter Wasser. Das entspricht der Füllmenge von rund 237 Millionen handelsüblichen Badewannen. Der Helme-Stausee ist damit einer der größten in Sachsen-Anhalt, er dient dem Hochwasserschutz. Gerade führt er rund elf Millionen Kubikmeter Wasser. Immerhin.

Der Raum mit dem Schaltschrank ist eine Art Kommandozentrale, gelegen direkt am Auslauf des Sees in die Helme. Von hier aus kann die Wassermenge reguliert werden: Wie viel muss aufgestaut, wie viel kann abgegeben werden, damit das Flüsschen bei einem Hochwasser nicht zum reißenden Fluss wird?

Für den Bau der Talsperre Kelbra zwischen 1962 und 1966 wurden ein Abschnitt der Bahnlinie Halle-Kassel und eine Starkstromleitung verlegt. Außerdem musste eine kleine Siedlung eines ehemaligen Rittergutes weichen.

Anders als andere Talsperren hat der Stausee lediglich einen rund vier Kilometer langen Damm. Der Bau einer Sperrmauer, wie sonst üblich, war in dem breiten und flachen Tal der Helme nicht notwendig.

Von Anfang an diente der See auch als Naherholungsgebiet, zum Beispiel zum Tretbootfahren (Bild unten). „Dabei war das zunächst gar nicht geplant“, erzählt der ehemalige Bauleiter Frank-Ronald Heise. „Aber schon während der Probestauungen kamen viele Neugierige, die baden wollten.“ So entwickelte sich die Talsperre zum beliebten Ziel für Ausflügler.

Noch heute gibt es am See einen Campingplatz und ein Strandbad. Auch können Boote ausgeliehen werden. In der DDR existierten sogar Pläne für ein zehngeschossiges Hotel am Wasser. Diese seien aber nie verwirklicht worden, sagt Heise.

Der Stausee ist auch ein Paradies für Wasservögel. Mehr und mehr Kraniche rasten hier nicht nur, sondern überwintern auch.

Talsperre wurde 1969 eingeweiht

Nach vier Jahren Bauzeit und zwei Jahren „Probestau“ ging die Talsperre 1969 offiziell in Betrieb. Frank-Ronald Heise war von Anfang an dabei. Er war damals Bauleiter bei der Wasserwirtschaftsdirektion Halle, später bis zu seiner Pensionierung 2008 für den Betrieb der Talsperre verantwortlich. Der Wasserwirtschaftsingenieur, 76, erinnert sich: „Man wollte etwas gegen die vielen Hochwasser im Unstrut-Helme-Gebiet unternehmen.“

Die ersten Pläne für den Bau der Talsperre existierten schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Doch erst in den 1950er Jahren entwarfen die DDR-Verwaltungsbezirke Halle und Erfurt ein Hochwasserschutz-Konzept, das den Bau der Talsperre vorsah. Noch heute liegt ein kleiner Teil des Stausees in Thüringen. Die Landesgrenze verläuft unsichtbar mitten im Wasser.

„Wir steuern nicht nach Menge, sondern nach Höhe“

Hat das Konzept sich bewährt? „Hochwasser wird es immer geben“, sagt Heise. Dank der Talsperre sei es aber seit einem halben Jahrhundert möglich, die Wassermengen zu beeinflussen. Heute kümmert sich darum Heises Amtsnachfolger Jens-Uwe Liske, 54. Er ist hier der „Gebietsstaumeister“, also der Talsperrenchef.

Woher wissen Liske und seine vier Mitarbeiter, wie viel Wasser noch in den Fluss darf, wie viel sie zurückhalten müssen? Die Antwort des Maschinenbauingenieurs offenbart dem Laien, dass die Frage falsch gestellt ist: „Wir steuern nicht nach Menge, sondern nach Höhe.“ Was das heißt? Als Bezugspunkt dient den Männern in Kelbra der Pegel Bennungen, rund acht Kilometer flussabwärts. Die eiserne Regel: Dessen Wert, und damit ein bestimmter Wasserstand in der Helme, darf nicht überschritten werden.

Datenübertragung? Gab es nicht

Gesteuert werden kann die Talsperre direkt an dem Schaltschrank am Auslauf des Sees in die Helme. Oder vom Betriebsgebäude aus - ein zweigeschossiges gelbes Haus unweit des Ortseingangs von Kelbra, vom See nur durch eine Straße getrennt. Es birgt eine Steuerzentrale, von der aus die Mitarbeiter auch den Pegel in Bennungen stets ablesen können. Bis zum Ende der DDR war das noch anders. „Wir mussten bei Wind und Wetter rausfahren, um die Pegelstände abzulesen, wenn nötig, auch nachts“, schildert Liskes Vorgänger Frank-Ronald Heise. „Eine Datenübertragung wie heute gab es damals noch nicht.“

Auch sonst war einiges anders. In der DDR diente die Talsperre Kelbra nicht nur dem Schutz vor Hochwasser, sondern auch der Chemieindustrie in Leuna. Und der Landwirtschaft. Heise erzählt: „Wenn das Wasser, das die Betriebe in Leuna benötigten, aufgrund von Rückständen aus der Kali-Industrie zu hart war, mussten wir es mit frischem Wasser aus der Helme quasi verdünnen.“ In trockenen Sommern wurde zudem Wasser aus dem Stausee zum Beregnen der Felder verwendet. „Die Versorgung der Bevölkerung hatte damals oberste Priorität“, erinnert sich Heise.

Der Bau der Talsperre war damit auch eine politische Entscheidung. Das zeigt sich auch an der Sache mit den Fischen. „Im Stausee musste Fischzucht betrieben werden“, sagt Heise, „das war damals eine politische Festlegung.“ Allein, die Fische wollten nicht wie die Partei. Erst versuchte man es mit Forellen. Denen war das Wasser zu warm, sie fraßen nicht. Heise: „Der Zuchterfolg war gleich null.“ Mit Karpfen klappte es dann. Eine halbe Million Fische wurde eingesetzt.

Solide Mechanik

Frisches Wasser für Leuna, Fische fürs Volk - Geschichte. Die Kali-Werke, deren Rückstände der Chemie die Arbeit erschwerten, sind längst geschlossen. Und die Karpfen? „Nach der Wende war Schluss damit“, erzählt Heise, „die gab es dann in Polen billiger.“

Geblieben ist die solide mechanische Technik, die hinter der Regulierung des Wasserstandes steckt. Über den Auslauf des Stausees in die Helme spannt sich eine Brücke aus Beton. Zwei schwere Stahlplatten ragen hinab und trennen den See vom Fluss. Hydraulisch angetrieben, können diese sogenannten Schütze bei Bedarf herauf- und heruntergezogen werden: Wasser marsch oder Wasser stopp, heißt es dann, je nach Bedarf. Bis der Höchstpegel in Bennungen erreicht ist.

Die Einwohner von Kelbra und den benachbarten Orten bekommen davon häufig gar nichts mit. Zwei- bis dreimal im Jahr führt die Helme so viel mehr Wasser als üblich, dass Gebietsstaumeister Jens Uwe Liske und sein Team ran müssen. Sie müssen die Wassermengen dann so steuern, dass Überflutungen vermieden werden. „Die Leute bemerken das Hochwasser oft gar nicht“, sagt Liske. „Sie sehen dann höchstens, dass die Helme etwas voller ist als üblich.“ (mz)