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Attentäter Stephan B. Attentäter Stephan B.: Einzelgänger und Antisemit aus Benndorf

Von Fabian Wagener und Steffen Höhne 11.10.2019, 08:24
Hier war Stephan B. gemeldet: Die Polizei sperrte den Wohnblock in Benndorf ab.
Hier war Stephan B. gemeldet: Die Polizei sperrte den Wohnblock in Benndorf ab. Wagener

Benndorf - Das Sondereinsatzkommando (SEK) rückt am späten Mittwochabend in ein kleines Wohngebiet in Benndorf ein. In schwerer Ausrüstung führen die Polizisten in einem schlichten, zweistöckigen Bau eine Hausdurchsuchung durch. Dort wohnt der mutmaßliche Attentäter Stephan B. mit seiner Mutter.

Die Nachbarn, die direkt nebenan leben, kommen für Stunden bei der Feuerwehr in dem kleinen Ort in Mansfeld-Südharz unter, andere stehen auf dem Gehweg und schauen zu den Einsatzkräften.

Vater des Attentäters Stephan B.: Er hatte wenig Freunde

Eine Anwohnerin schüttelt den Kopf. „Das ist für mich unbegreiflich“, sagt sie am Donnerstagmorgen über die Tat in Halle. Stephan B. sei sehr unauffällig gewesen, sehr zurückhaltend. „Ich habe ihn eigentlich nur dann gesehen, wenn er seine Klimmzüge auf dem Balkon gemacht hat.“ Ab und an, erzählen andere, sei er mit seiner Mutter, einer Grundschullehrerin, in den Kleingarten gegangen. Alle stellen sich die eine Frage: Wie konnte das passieren?

Über sein Motiv gibt der Attentäter in einem halbstündigen Video, das er während der Tat über eine Helmkamera filmte und live im Internet veröffentlichte, selbst Auskunft. Er leugnet darin den Holocaust, hetzt gegen Frauen und Flüchtlinge und sieht als Schuldige die Juden. Als es ihm nicht gelingt, die verschlossene Tür der vollbesetzen Synagoge in Halle zu öffnen und ein schreckliches Massaker anzurichten, flucht er über sich selbst: „Einmal Verlierer, immer Verlierer.“

Nach den Worten seines Vaters, der in einem Einfamilienhaus im benachbarten Helbra wohnt, ist der junge Mann ein Eigenbrötler gewesen, der häufig vor dem Computer saß. Die „Bild“-Zeitung zitierte den Vater mit den Worten: „Er war weder mit sich noch mit der Welt im Reinen, gab immer allen anderen die Schuld.“ Der 27-Jährige habe kaum Freunde gehabt und stattdessen viel Zeit im Internet verbracht. „Der Junge war nur online.“

Dazu passt, dass das Video der Tat über eine Online-Spieleplattform veröffentlicht wurde. Nach Angaben von Generalbundesanwalt Peter Frank ist der mutmaßliche Täter von Halle ein „Nachahmer im doppelten Sinne.“ Er habe vergleichbare Taten, die vorher begangen worden seien, nachgeahmt und „er wollte nach unserer Erkenntnis auch andere zu solchen Taten zur Nachahmung anstiften“, sagt Frank.

Im Zuge der Ermittlungen sei die Wohnung von B. durchsucht worden. Sichergestellte „Asservate“ und auch die Waffen und Sprengmittel des mutmaßlichen Täters würden nun kriminaltechnisch untersucht. Das ZDF-Magazin Frontal 21 berichtet, Stephan B. habe die Waffen teilweise mittels eines 3D-Druckers hergestellt. Er selbst soll auch detaillierte Anleitungen zum Bau von Waffen im Internet verbreitet haben. Dabei nutzte er offenbar auch rechte Internetplattformen.

Sicherheitsbehörden war er bislang nicht aufgefallen. Der 27-jährige Tatverdächtige, der zuletzt als Rundfunktechniker gearbeitet haben soll, besuchte das Martin-Luther-Gymnasium in Eisleben. „Ich habe 2010 mit ihm gemeinsam Abitur gemacht“, sagte ein ehemaliger Klassenkamerad der MZ. Auch er beschrieb Stephan B. als zurückhaltend. „Er war ein ruhiger und unscheinbarer Typ.“ Im Umgang sei er freundlich gewesen. „Es war auch nicht so, dass er ein totaler Außenseiter war.“ Rechtsextremistische Äußerungen habe er von Stephan B. nie vernommen. Auch andere Mitschüler äußern sich ähnlich.

Todesschütze ist unbeschriebenes Blatt: Lehrerin: „Ich bin entsetzt“

Die ehemaligen Klassenkameraden zeigten sich angesichts der Vorfälle mitgenommen. Auch eine Lehrerin des Gymnasiums drückte ihre Fassungslosigkeit aus. „Ich bin entsetzt“, meinte sie. „Mehr will ich dazu nicht sagen.“ Der Eisleber Synagogenverein und die Evangelische Kirchengemeinde wollen am Freitagabend für die Opfer einen Gedenkmarsch in der Lutherstadt durchführen.

In Benndorf und der gesamten Verbandsgemeinde Mansfelder Grund-Helbra ist Stephan B. ein eher unbeschriebenes Blatt. Am Gemeinde- und Vereinsleben nahm er offenbar kaum Teil. Gerüchte, wonach er Mitglied des Fußballvereins SV Wacker Helbra gewesen sei, dementierte der Verein. Auch in Schützenverein und Feuerwehr war er nicht aktiv. Nach MZ-Informationen soll er als Kind für einige Zeit im örtlichen Schachverein Mitglied gewesen sein. Es habe einen Jungen mit seinem Namen gegeben, der vor vielen Jahren dort spielte, bestätigte Vereinsmitglied Enrico Kalliwoda. Er sei ein „talentierter Spieler“ gewesen, habe dann „aber irgendwann aufgehört“.

Bürgermeister Zarinato: Schock für Gemeinde Benndorf

Ein viel gefragter Mann ist am Donnerstag Mario Zanirato, der Ortsbürgermeister von Benndorf. Er steht auf dem Rasen vor dem Wohnblock, wenige Meter vor dem Absperrband, das die Polizei vor den Eingang der Wohnung von Stephan B. gespannt hat. Zahlreiche Journalisten sind vor Ort, darunter der arabische Nachrichtensender Al-Jazeera.

Viele kommen auf Zanirato zu, wollen seine Sicht der Dinge wissen. Wie so viele an diesem Tag kann auch er über den Tatverdächtigen nur wenig sagen - dafür aber umso mehr über Benndorf. „Ein solcher Vorfall ist ein Schock für die Gemeinde“, meint er. Aber es gehe natürlich weiter. „Viel schlimmer ist es ja für die Angehörigen.“ (mz)

Stephan B. wird von Polizisten aus einem Hubschrauber gebracht.
Stephan B. wird von Polizisten aus einem Hubschrauber gebracht.
dpa