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Wohnkosten von Arbeitslosen Urteil des Bundessozialgerichts zu Wohnkosten von Hartz IV-Empfängern: Langzeitarbeitslose im Landkreis Harz können auf Rückzahlung hoffen

Von Max Hunger 01.02.2019, 09:57
Wie teuer darf die Wohnung eines Hartz-IV-Empfängers sein? Darüber wurde am Mittwoch vor dem Bundessozialgericht verhandelt.
Wie teuer darf die Wohnung eines Hartz-IV-Empfängers sein? Darüber wurde am Mittwoch vor dem Bundessozialgericht verhandelt. Max Hunger

Quedlinburg - Wie viel darf die Wohnung eines Hartz-IV-Empfängers kosten? Dazu gab es am Mittwoch in Kassel ein politisches Grundsatzurteil: Das Bundessozialgericht hat das bisherige Vorgehen der Jobcenter bei der Bemessung der Höchstmiete für die Wohnung eines Langzeitarbeitslosen für unrechtmäßig erklärt. Geklagt hatten Langzeitarbeitslose aus dem Harz, dem Salzlandkreis und der Börde.

Ihre Wohnungen hatten die Jobcenter für zu teuer befunden. Die Betroffenen mussten folglich einen Teil ihrer Miete über Jahre hinweg aus ihren knappen Bezügen begleichen oder in eine günstigere Wohnung ziehen. In einem Fall aus dem Harz hatte die Kommunale Beschäftigungsagentur einer alleinerziehenden Mutter über Jahre monatlich 50 Euro zu wenig für ihre Wohnung gezahlt.

Rechtsanwalt: Für die Kläger geht es um Existenzsicherung

„Für die Kläger geht es hier um die Frage nach der Existenzsicherung“, sagte Anwalt Tobias Reulecke. Er vertritt mehrere Kläger aus dem Harz.

Diese Fälle sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs: Bundesweit ruhen Zehntausende Verfahren. Denn die Anwälte hatten auf ein wegweisendes Urteil in dritter Instanz gewartet. „Ich freue mich sehr über die Entscheidung“, so Reulecke.

Hintergrund: Die Landkreise hatten eine Hamburger Firma beauftragt, eine Durchschnittsmiete für Wohnungen des unteren Standards innerhalb eines Landkreises zu errechnen. Die galt bisher als Maßstab zur Beurteilung, ob die Miete eines Hartz-IV-Empfängers angemessen ist.

Firma aus Hamburg errechnete Durchschnittsmiete im Auftrag der Kreise

Dieser Durchschnittswert lag jedoch deutlich unter den Höchstsätzen von 415 Euro pro Person, die das Bundessozialgericht festgelegt hatte. „Im Landkreis Harz ist dieses Problem sehr akut. Mit Mandanten aus dem Westharz gibt es bei den Wohnkosten kaum Probleme“, so Reulecke.

Wie die angemessenen Wohnkosten ermittelt werden sollen, beantwortete das Gericht aber nicht. Es ordnete lediglich eine Überprüfung des bisherigen Konzeptes durch die Kommunale Beschäftigungsagentur (Koba) an.

Hauptkritikpunkt ist Größe der Region, für die Vergleichsmiete gilt

Hauptkritikpunkt ist die Größe der Region, innerhalb der eine Vergleichsmiete erhoben wird. Bisher war den Betroffenen zugemutet worden, innerhalb des gesamten Landkreises umzuziehen, um die Wohnkosten zu senken. „Wir müssen das im Sinne der Bedürftigen nun in Ordnung bringen“, sagte Anwalt Jörg Neunaber, der die Koba in der Verhandlung vertrat. Er betonte, es gehe dem Landkreis nicht vordergründig darum, Geld zu sparen. „Wir wollen es einfach richtig machen“, sagte der Anwalt.

Welche konkreten Folgen das Urteil, das nur für Flächenlandkreise gilt, haben wird, lässt sich erst nach Veröffentlichung der vollständigen Urteilsbegründung in einigen Wochen sagen. Anwalt Reulecke zeigte sich jedoch zuversichtlich: „Ich schätze, die Jobcenter werden das Urteil schlucken. Ich rechne langfristig mit Nachzahlungen.“

Anwalt rechnet mit Nachzahlungen der Jobcenter

Er glaubt nicht daran, dass die Koba ein schlüssiges Konzept vorlegen wird. „Wenn sie versucht, das zu heilen, könnte sie erneut auf die Nase fallen.“

Der Streit um angemessene Wohnkosten ist ein bundesweites Thema: Laut einer Statistik der Agentur für Arbeit von 2018 gab es in Deutschland zu diesem Zeitpunkt allein 22.000 Widersprüche gegen Bescheide zur Wohn- und Heizkostenübernahme.

Die Zahl der Betroffenen, die keinen Widerspruch eingelegt haben, dürfte indes weit höher sein. Zum Vergleich: Zu der kürzlich vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelten Frage nach der Rechtmäßigkeit von Sanktionen lagen bis dato lediglich rund 8.000 Widersprüche vor. „Unsere wissenschaftlichen Mitarbeiter beschäftigen sich seit Monaten mit keinem anderen Thema“, sagte der Vorsitzende Richter in Kassel. (mz)