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Selbsthilfegruppen im Harz Selbsthilfegruppen im Harz: 122 mal Rat und Unterstützung

03.08.2016, 16:31
Eine Patientin hält beim Treffen einer Selbsthilfegruppe eine Hantel in den Händen.
Eine Patientin hält beim Treffen einer Selbsthilfegruppe eine Hantel in den Händen. dpa

Halberstadt - Sie stehen selten in der Öffentlichkeit: die auch in der Region zwischen Quedlinburg, Thale und Ballenstedt aktiven Selbsthilfegruppen. Für die Mitteldeutsche Zeitung sprach Uwe Kraus mit Maike Offel, die seit Herbst 2015 als Koordinatorin der Selbsthilfekontaktstelle im Landkreis Harz wirkt.

Sind heute, wo das Internet zu jeder Diagnose Informationen bietet, Selbsthilfegruppen überhaupt noch zeitgemäß?

Maike Offel: Mehr denn je. Es geht ja um viel mehr als um aktuelles Wissen. Die Zahl der Gruppen wächst, die Differenzierung nimmt zu.

Gibt es dazu Zahlen aus dem Landkreis Harz?

Natürlich. Bei meiner Kollegin Anke Rautenberg und mir laufen die Fäden für 122 Selbsthilfegruppen zusammen. Wir spüren auch, dass die Politik Selbsthilfegruppen deutlich aufgeschlossener wahrnimmt. Mit dem vor zwölf Monaten beschlossenen Präventionsgesetz gab es eine Aufwertung unserer Arbeit, auch die finanzielle Ausstattung stieg.

Wer bezahlt das alles?

Die Arbeitsgemeinschaft der Gesetzlichen Krankenversicherungen und die Rentenversicherung finanzieren die Selbsthilfegruppen, -Kontaktstellen und -Organisationen. Dazu kommen Projekte, die bestimmte Krankenkassen wie AOK, IKK, BKK und Knappschaft sponsern.

Um welche Art Projekte handelt es sich dabei?

Das Spektrum ist breit. Hochkarätige Fachleute werden beispielsweise eingeladen, die über aktuelle Therapien sprechen und mit den Gruppenmitgliedern diskutieren, was diese tun können.

Das hört sich recht theoretisch an.

Soll es aber nicht sein. Selbsthilfegruppen treten zuweilen sehr deutlich in die Öffentlichkeit. Beim kreisweiten Europaaktionstag für Menschen mit Behinderungen, der am 3. Mai in Quedlinburg ausgerichtet wurde, waren Selbsthilfegruppen dabei, bei der Aktion „Barrierefreies Halberstadt“ oder beim Gesundheitstag im Ameos-Klinikum.

Wie ist der Kontakt zu den Medizinern?

Wir spüren, dass uns auch Ärzte zunehmend als Partner sehen, ihre Patienten mit uns in Kontakt bringen. Die „Alte Schule“, das neue Ärztehaus in Halberstadt geht sogar so weit, dass sie der Selbsthilfegruppe „Behandlungsbedürftige chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)“ einen Raum zur Verfügung stellt.

Viele Anfragen zu psychischen Erkrankungen

Wie schaut es mit den Kliniken aus?

Die Paracelsus-Klinik in Bad Suderode ist da ein Paradebeispiel. Sie ist auf uns zugekommen, unterdessen liegt ein Kooperationsvertrag vor. Schließlich sind dort vier Selbsthilfegruppen angebunden. Die Ärzte sehen da eine Kette von der medizinischen Behandlung über die Rehabilitation bis hin zur Selbsthilfegruppe.

Das Image solcher Gruppen prägt ja immer noch die Vorstellung, dass da Rentner im Kreis sitzen, über ihre Tabletten und die Ärzte reden und sich bemitleiden.

Nicht alle entsprechen solchen Klischees. Ich bin hier angetreten, um die Selbsthilfearbeit in der Region auf ein neues Niveau zu heben. Unterdessen spüre ich, ich habe in vielen der Gruppensprecher, die sich alle Vierteljahre treffen, gute Partner gefunden. So bieten wir Fortbildungen an. Vor einigen Tagen sprach Heike Operhalski aus Ermsleben zur körperlichen und geistigen Entgiftung. Zunehmend erleben wir, dass Gruppenmitglieder nicht nur jammern, sondern sich auch der Frage stellen, was hinter einer Erkrankung steckt.

Sie sagen ja, Selbsthilfegruppen seien wieder im Kommen. Gibt es dafür Belege?

Ja, wir erleben, dass uns der Sozialpsychiatrische Dienst, die Arbeitsagentur, Beratungsstellen oder Betreuungszentren zunehmend Menschen vorbeischicken, die vielleicht in einer Gruppe Rückenhalt finden. Die Chefin vom „Azurit“ in Quedlinburg setzt sich stark für die Selbsthilfegruppe Pflegender Angehörige ein. Und wir erhalten durchaus viele direkte Anfragen hier in der Selbsthilfekontaktstelle.

Ohne jetzt ins Persönliche der Fragenden zu gehen, wo liegen da die Schwerpunkte?

Selbsthilfe wird oft auf Brustkrebs, Prostata oder Kehlkopflose beschränkt. Wir verzeichnen einen starken Anstieg von Anfragen im Bereich psychischer Erkrankungen. Es geht um Angststörungen, um Depressionen, es geht nicht nur um körperliches, sondern auch um das oft vernachlässigte seelische Wohlbefinden. Und um Ihre Frage vorweg zu nehmen: Nein, Alleinsein oder Depressionen zu haben, das ist keine Sache zunehmenden Alters.

Und plötzlich durch Unfall oder Krankheit aus der gediegenen Lebenssituation gerissen zu werden auch nicht.

Richtig. Darum sollten sich auch 20-, 30- oder 40-Jährige nicht scheuen, Hilfe, Kontakt und Austausch in einer Selbsthilfegruppe zu finden. Und wenn es die spezifische Gruppe noch nicht gibt, wir begleiten die Gründungsveranstaltung und geben als Selbsthilfekontaktstelle Starthilfe. Im Verhältnis zu den Erkrankungszahlen gibt es für Allergien, Asthma oder Herzprobleme relativ wenige Selbsthilfegruppen im Landkreis Harz.

Die MZ wird in loser Folge über die Selbsthilfearbeit berichten. Betroffene finden Kontakt zu den Gruppen über Maike Offel, Selbsthilfekontaktstelle Landkreis Harz, Puschkinstraße 1, 38820 Halberstadt, Telefon 03941/56 46 33, [email protected] (mz)

Koordinatorin Maike Offel
Koordinatorin Maike Offel
Kraus