Planung ist schon lange vom Tisch Planung ist schon lange vom Tisch: Landesstraße 235 wird nicht ausgebaut

Mägdesprung/Harzgerode - Die Nachricht erwischte Harzgerodes Bürgermeister Marcus Weise (CDU) kalt: „Ich bin wie jeder andere davon ausgegangen, dass die Planungen fortgesetzt werden“, sagt er. Aber der von den Harzgerödern seit langem herbeigesehnte Ausbau der Landesstraße 235 zwischen Mägdesprung und Harzgerode, er ist vom Tisch.
Wie Michael Schanz, Regionalbereichsleiter bei der Landesstraßenbaubehörde (LSBB), mitteilte, sei die Entscheidung, Abstand von dem Vorhaben zu nehmen, bereits im Herbst 2019 gefallen. Die, die es betrifft, erfuhren jedoch erst kürzlich davon.
Baukosten würden 8 Millionen Euro betragen
Die Planungen sahen vor, die gesamte Straße für knapp acht Millionen Euro zu sanieren. Dabei sollte die Fahrbahn in Richtung Hang verschoben, gestützt und in die Felsböschung nur minimal eingegriffen werden. Es war die bevorzugte von insgesamt sieben möglichen Varianten.
Damals, das geht aus einer 2017 herausgegeben Mitteilung der Behörde hervor, sahen Stadt, Landkreis und LSBB „die Notwendigkeit des Erhalts einer uneingeschränkten Verkehrswirksamkeit“. Wegen der aufwendigen Planung sollte frühestens 2023 mit der Umsetzung begonnen werden, die Fertigstellung zwei, drei Jahre später erfolgen.
Wegen mangelnder personeller und finanzieller Ressourcen sei das Vorhaben aber nicht weiter bearbeitet worden, so Schanz, der erst im August 2019 die Leitung des Regionalbereichs West der Landesstraßenbaubehörde übernommen und danach diverse Vorhaben in Abstimmung mit den Fachbereichen auf den Prüfstand gestellt hat.
„Eine Weiterführung einer Um- und Ausbauplanung ist nicht sinnvoll“
Für den Streckenabschnitt zwischen Mägdesprung und Harzgerode bedeutet das konkret: „Eine Weiterführung einer Um- und Ausbauplanung ist nicht sinnvoll“, so Schanz.
Diese voranzubringen, wäre mit erheblichen Aufwendungen verbunden; hinzu käme die Unsicherheit, ob die Planung überhaupt genehmigungsfähig sein kann angesichts der hohen Naturschutzauflagen und in Anbetracht dessen, dass es mit der Bundesstraße 242 durch Alexisbad eine alternative Streckenführung gebe. Die L 235 führt durch das Gebiet der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH) „Selketal und Bergwiesen bei Stiege“ und liegt gleichermaßen im Naturschutzgebiet „Oberes Selketal“.
Straße befindet sich aktuell in einem bedarfsgerechten Zustand
Die Kosten spielten ebenfalls mit rein: Auch wenn inzwischen einzelne Maßnahmen baulich umgesetzt worden seien, könne mit Blick auf die Baukostenentwicklung nicht von einer Verringerung der Kosten ausgegangen werden, erklärt Schanz und verdeutlicht die Dimensionen: „Acht Millionen Euro entsprechen knapp der Hälfte des zurzeit dem Regionalbereich West jährlich zur Verfügung stehenden Budgets für die Landesstraßen.“ Und von denen ist „leider über die Hälfte in einem ungenügenden Zustand und bedarf kurzfristig einer kleineren oder größeren Instandsetzung“.
Die L 235 befinde sich hingegen aktuell in einem Zustand, der den Verkehr bis 7,5 Tonnen bedarfsgerecht abwickeln könne, so der Bereichsleiter. Dasselbe gelte für die Bundesstraße 242, die sich in einem „guten Zustand“ befinde, und den Schwerverkehr.
„Natürlich verstehe ich, dass die Anlieger subjektiv nicht mehr Verkehr auf der Straße haben möchten. Objektiv betrachtet, ist die Verkehrsbelastung allerdings als eher gering einzuschätzen“, sagt Schanz.
Für ihn steht fest: „Die Ressourcen des für einen potenziell kaum genehmigungsfähigen Um- und Ausbau sind aus meiner Überzeugung zielführender an einer großen Zahl von anderen kritischen Stellen im hiesigen Landesstraßennetz eingesetzt.“
„Wir werden das so nicht akzeptieren und Druck machen“
Für Weise ist die Entscheidung dennoch alles andere als nachvollziehbar. „Die Zusage wurde gemacht“, sagt er. Mehrfach sogar. Mindestens zweimal im Stadtrat. Damals war noch Schanz Vorgänger im Amt. Und auf dessen Aussagen pocht der Verwaltungschef. „Wir werden das so nicht akzeptieren und Druck machen“, kündigt er an, „wir brauchen den grundhaften Ausbau“.
Er führt Harzgerodes Rolle als landesbedeutsamer Gewerbe- und Industriestandort ins Feld und den damit verbundenen Lkw- und Berufsverkehr. „Fakt ist, dass hier 3.000 Leute beschäftigt werden“, die Hälfte im produzierenden Gewerbe, „der Großteil pendelt ein.“ Und der Schwerverkehr, der aus Richtung Quedlinburg nach Harzgerode fährt, fährt durch Alexisbad, den Ortsteil mit den meisten Gästeübernachtungen. Das sei eine Beeinträchtigung, so Weise.
Der direkte Weg über die L 235 ist auch nach der Sanierung dreier Schadstellen 2019/2020, bei der unter anderem 600 Felsnägeln im Gestein verankert wurden, um den Hang zu sichern (die MZ berichtete), nur für Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen freigegeben. In beide Richtungen. Davor rollte der Verkehr nur noch talwärts.
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Frage nach der Notwendigkeit
Seit 1995 wurden Böschungsrutschungen festgestellt. 2008 mussten wegen der Verkehrssicherungspflicht Bäume gefällt werden. Dies führte zur weiteren Destabilisierung des talseitigen Hanges. Durch den sich verschlechternden Fahrbahnzustand wurde 2015 eine Verkehrseinschränkung für Fahrzeuge über 7,5 Tonnen angeordnet, eine Machbarkeitsstudie beauftragt und verschiedene Sanierungsvarianten geprüft - Ziel war eine richtlinienkonformer Ausbau, minimale Eingriffe in Natur und Landschaft, Genehmigungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit. Auch eine Verkehrszählung erfolgte.
Die bevorzugte Variante stellte eine Kompromisslösung dar, weil auch sie mit erheblichen Eingriffen in das Ökosystem verbunden, sehr kostenintensiv und letztlich nicht vollumfänglich regelkonform ist. Die Zentrale der Landesstraßenbaubehörde und das Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr bestätigten das Ergebnis der Machbarkeitsstudie, knüpften die Weiterbearbeitung aber an Maßgaben. So sollte die Notwendigkeit der uneingeschränkten Befahrbarkeit hinterfragt und mittels einer detaillierten Betrachtung von weiteren Varianten - unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit und Einflüssen auf Tourismus und Gewerbe - belegt werden. (mz)