1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landkreis Harz
  6. >
  7. Per Kabel aus Berlin: Per Kabel aus Berlin: Als der Brocken zum Fernsehberg wurde

Per Kabel aus Berlin Per Kabel aus Berlin: Als der Brocken zum Fernsehberg wurde

Von Andreas Bürkner 18.08.2016, 12:33
Nur sieben Jahre stand auf dem Brocken der im Juni 1937 fertiggestellte 52 Meter hohe Fernsehturm.
Nur sieben Jahre stand auf dem Brocken der im Juni 1937 fertiggestellte 52 Meter hohe Fernsehturm. Privat/Witte

Schierke - Die Zahl an Fernsehprogrammen ist inzwischen kaum noch zu überblicken - und ständig kommen neue hinzu. Doch erst vor rund 80 Jahren flimmerten erste bewegte Bilder in die damals noch wenigen Fernsehstuben Berlins.

Zu einer der bedeutendsten Übertragungsstellen sollte von Beginn an auch der Brocken werden, des Harzes höchster Gipfel. „Allein der Anblick aus verschiedenen Richtungen zeigt die Bedeutung des Berges für die Funktechnik“, sagt Gustav Witte. Der vor 50 Jahren in eine Werkswohnung in Schierke gezogene Rentner begann im Dezember 1961 im Funkwesen bei Deutscher Post und Telekom auf dem Berg zu arbeiten. Rund 40 Jahre sollten es werden. „Im Winter sind wir auf Ski den Berg rauf oder runter.“

Wittes Ziel ist es, die Geschichte des Brockensenders der Nachwelt zu erhalten. „Einmal im Jahr treffen wir uns mit früheren Kollegen, aber es werden immer weniger“, erklärt er bedauernd.

„Bereits 1928 wurden auf dem Brocken mit einem 3,2-Meter-Sender (UKW) Ausbreitungsmessungen durchgeführt“, beschreibt Witte deshalb in einer Dokumentation die ersten Versuche auf dem Berg. „Als 1934 mit dem Sender Berlin-Witzleben das Fernsehzeitalter in Deutschland begann“, erzählt der 78-Jährige, „unternahm das Reichspostzentralamt Versuche, um Fernsehsendungen aus Berlin auf dem Brocken zu empfangen - mit Erfolg.“

Erster mobiler TV-Sender der Welt

Die Post ließ durch Telefunken, AEG und Daimler–Benz einen mobilen Fernsehsender bauen, „den ersten fahrbaren der Welt überhaupt“, wie Witte betont. Dieser wurde ab Juli 1935 auch drei Monate lang für Versuchssendungen auf dem Brocken stationiert. Es folgten Tests, welche Gebiete von dort aus mit Fernsehen versorgt werden können.

„Zur ersten öffentlichen Bildübertragung des Versuchssenders vom Brocken aus versammelten sich Postinspektor Günther vom Reichspostzentralamt Berlin, Bürgermeister Schellpfeffer und viele Gäste im Schierker Rathaussaal. Zu sehen bekamen sie einen netten kleinen Spielfilm, der die lustigen Abenteuer zweier Landstreicher darstellte“, erzählt Witte mit einem Schmunzeln im Gesicht.

Nach dem Erfolg mit „tadelloser Wiedergabe“, wie die Zuschauer lobten, entschied sich die Post, das Fernsehen in Deutschland über die Standorte Brocken im Harz und Feldberg im Taunus in die Fläche zu verbreiten. „Auf einer Fläche von 16 mal 14 Metern wuchs deshalb in nur knapp einem Jahr der 52 Meter hohe Fernsehsendeturm empor“, erläutert Witte.

Im Juni 1937 wurde Richtfest gefeiert. „Nach starken Schäden durch Beschuss und Bombardierung zum Ende des Krieges und einer Sanierung wurde daraus inzwischen das knapp 40 Meter hohe Hotel mit der aufgesetzten Kugel.“ Unter dieser befinde seit 1999 eine rotierende Antenne der Flugsicherung, welche den zivilen Luftraum im nördlichen Europa überwache.

Für die Modulationsversorgung wurde ab Mai 1938 eine Kabeltrasse von Berlin zum Feldberg mit einem Abzweig zum Brocken gelegt. Sie zweigte nahe Braunlage ab, führte über die Wurmbergstraße, entlang der ehemaligen Staatsgrenze über Schierke und weiter an der Bob-Bahn und der Brockenstraße als knapp 15 Kilometer langer Strang bis zum Gipfel. 1940 wurde sie fertiggestellt - um nach dem 27. April 1947, als die Amerikaner den bis dahin von ihnen besetzten Berg aufgeben mussten, auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone wieder zu verschwinden. Witte: „Die Russen haben sie ausgegraben und als Reparationsleistung abtransportiert.“

Ständiges DDR-Fernsehen ab 1. Juli 1955

Allein für die Technik im Turm waren 1,2 Millionen Reichsmark veranschlagt, entnahm Witte alten Unterlagen. „Der Fernsehsender der Firma Telefunken wurde 1938 im neunten Stockwerk eingebaut, dessen Decke den Abschluss des Betonturmes bildete“, erläutert er. „In die oberen Etagen, lediglich als Holzfachwerk errichtet, kamen die dadurch geschützten Antennen.“ Wegen des Krieges wurden zunächst aber keine Fernsehprogramme gesendet.

Erst ab dem 1. Juli 1955 strahlte ein Fernsehsender ständig sein Programm vom Brocken aus. Hinzu kamen mehrere Radioprogramme. „Die DDR wollte beim Fernsehen unbedingt schneller sein als der Westen - und hat es geschafft“, erinnert sich der gebürtige Nordhäuser an Erzählungen seiner älteren Kollegen.

1959 bekam der Brocken ein neues Gesicht, als auf dem Turm ein 50 Meter hoher, vierfüßiger Rohrmast mit Antennen für den Fernsehsender und UKW–Radioprogramme die vorherige Schlitzrohrantenne ersetzte. „Diese Brockensilhouette wurde für über drei Jahrzehnte das wohl bekannteste Foto- und Postkartenmotiv“, sagt der Rundfunkmechaniker, der einst in Ellrich gelernt hatte. „Am 12. August 1961 habe ich mich noch bei den Kollegen auf dem Brocken über die Arbeit informiert“, erzählt Witte, der von der Suche von Leuten für den Brocken gehört hatte. „Schon einen Tag später war wegen des Baus der Grenzanlagen alles gesperrt.“

Ihm blieben natürlich auch die vielen Spionagebauten nebenan mit Kuppeln und Technik nicht verborgen: „Auf den Etagen des Turms waren viele kleine Antennen angebracht.“ Etwa ein Dutzend Mitarbeiter der Staatssicherheit hätten täglich ihren Dienst versehen, erinnert sich Witte. „Hinzu kamen die Soldaten der Roten Armee, die sonst in Quarmbeck bei Quedlinburg stationiert waren.“

An der Optik des Berges änderte sich mit der Wende und der Öffnung am 3. Dezember 1989 zunächst nichts. Allerdings stammten die UKW-Sender aus der Zeit zwischen 1959 und 1961. Sie wurden bald erneuert. Im Dezember 1995 konnte das neue Sendegebäude eingeweiht werden. Nun verschwanden nicht nur viele der alten Anlagen. Witte: „Von bis zu 36 Mitarbeitern zu DDR-Zeiten sank das Personal des Senders binnen elf Jahren auf einen.“

Mindestens einmal im Jahr zieht es Witte hinauf, „meist am 3. Oktober oder 3. Dezember“. Für ihn bleibt der Brocken „der Urvater aller Fernsehberge auf dieser Erde“. (mz)

Die Grenzanlagen boten sich den Mitarbeitern auf dem Berg beim Blick gen Westen.
Die Grenzanlagen boten sich den Mitarbeitern auf dem Berg beim Blick gen Westen.
privat/Witte
1959 wurde auf dem Turm ein 50 Meter hoher, vierfüßiger Rohrmast mit Antennen für den TV und Radio gebaut, der nach der Wende abgerissen wurde.
1959 wurde auf dem Turm ein 50 Meter hoher, vierfüßiger Rohrmast mit Antennen für den TV und Radio gebaut, der nach der Wende abgerissen wurde.
privat/Wite