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Groß blond Mundspray Nordharzer Städtebundtheater: Alternative Fakten und Mundspray mit Trump-Parodie bei "Kiss me Kate"

Von Uwe Kraus 08.05.2018, 08:54
Juha Koskela spielt in der Halberstädter Inszenierung von „Kiss me, Kate“ einen großen blonden Politiker mit Vorliebe für Twitter, Mundspray und „alternative Fakten“. An seiner Seite Antje Rietz als Katharina.
Juha Koskela spielt in der Halberstädter Inszenierung von „Kiss me, Kate“ einen großen blonden Politiker mit Vorliebe für Twitter, Mundspray und „alternative Fakten“. An seiner Seite Antje Rietz als Katharina. Ray Behringer/Städtebundtheater

Halberstadt - Die Ansage ist deutlich: Lass dich nicht mit den Pressefuzzis von der Lügenpresse ein. Den Tipp gibt Harrison Howell, den Juha Koskela in der Halberstädter Neuinszenierung von „Kiss Me, Kate“ als großen blonden Politiker mit Vorliebe für Twitter, Mundspray und „alternativen Fakten“ bis hin zur Körperhaltung als Trump-Kopie spielt.

Musical steht nach zwölf Jahren wieder auf Spielplan

Nach zwölf Jahren steht das Musical am Nordharzer Städtebundtheater wieder auf dem Spielplan. Das Haus weiß, wen es sich da für seine Inszenierung geholt hat. Klaus Seiffert sorgte hier bereits mit „Hair“ oder „Addams Family“ für Furore. An seiner Seite das bewährte Team mit Ausstatter Tom Grasshof und Choreograph Mario Mariano, der auch den Gremio singt und spielt sowie Co-Regie führt.

Melodien von Cole Porter wirken noch heute

„Kiss Me, Kate“ galt bereits zu seiner Entstehungszeit als Auslaufmodell, die Zukunft des Musicals lag bei Bernstein u. Co. Doch die damaligen „In-Librettisten“ Sam und Bella Spewack bestanden für ihre neue Show auf Melodien von Cole Arthur Porter. Die Musik, die er ihnen schrieb, wirkt noch heute geschlossen, sehr homogen und stückbezogen.

Dank Seifferts behutsamen Aktualisierungen und einer tollen Besetzung kommt das Musical mit Situationskomik und Wortwitz in Halberstadt frisch und vergnüglich daher. Das Stück im Stück macht den Reiz aus.

Berliner Gäste waren Hauptdarstellerin Antje Rietz hinterher gereist

Das Publikum, darunter zahlreiche Berliner Gäste, die der Hauptdarstellerin Antje Rietz zu deren Premiere hinterherreisten, blickt auf die beiden Künstlergarderoben und das Gewirr hinter den Kulissen, um dann gleich wieder dank flotter Umbauten auf die Shakespeare-Bühne zu schauen. Hier läuft eine Tournee-Produktion von „Der Widerspenstigen Zähmung“. Den Zeitensprung der Akteure verdeutlicht Kostümbildner Grasshof durch die klassischen Oberteile, während Chor und Ballett dazu Jeans tragen.

Mime und Regisseur Fred Graham hat Sorgen mit seiner Ex, die gleichzeitig seine Bühnenpartnerin ist. Auch wenn beide seit einem Jahr glücklich geschieden sind, spürt man, sie kommen nicht voneinander los.

Auch wenn er Lois Lane, der Nachtclub-Sängerin und Mitakteurin Bianca (Bénédicte Hilbert) Blumen nebst Liebesgruß schickt und sie eine gute Partie mit dem Mann aus dem Weißen Haus an der Angel hat. Doch die Zickereien seiner Bühnenpartnerin Lilli Vanessi bedrohen den finanziellen Erfolg der Show.

Michael Rapke und Antje Rietz erweisen sich als tolle Besetzung

Lilli und Fred, die einen langen künstlerischen und privaten Weg gemeinsam gingen, duellieren sich hinter der Bühne mit Hieben, Tritten und Maulschellen noch verbissener als in Shakespeares Komödie. Michael Rapke und Antje Rietz erweisen sich in ihrer dynamischen Spielweise als tolle Besetzung für diese Rollen und schenken sich nichts.

Rietz gibt eine Diva mit all ihren Attributen; launisch, komisch, frech und sängerisch deutliche Akzente setzend. „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, ruft sie aus. Für sie sind es keine Nummern, die sie professionell heruntersingt, sondern sie versprüht Herzblut, ob als Lilli oder unzähmbare Katharine.

Auch bei Bénédicte Hilbert und Tobias Amadeus Schöner sitzen die Töne

Rapke bekommt ebenso Szenenapplaus für seine emotional berührende Interpretation der teilweise rhythmisch wie textlich recht anspruchsvollen Songs. Sein schauspielerisches Vermögen in der Palette von tiefem Ernst bis Komik steht dem nicht nach.

Auch beim Paar Bénédicte Hilbert und Tobias Amadeus Schöner als spielsüchtiger Bill und Lucentio stimmt das Zusammenspiel und die Töne sitzen. Bettina Pierags singt bestens aufgelegt ihre eher bieder wirkende Ankleiderin Hattie. Als Lilli fliehen will, sieht Hattie ihre Chance, und Pierags hat einen stimmlich berauschenden Auftritt im Paillettenkleid.

In Sachen Komik stehlen wie bereits 2005 Klaus-Uwe Rein und Norbert Zilz allen die Show. Eigentlich sollen sie Geld eintreiben, dann bewachen sie Lilli und dann im zweiten Akt mit dem Hit „Schlag nach bei Shakespeare, denn da steht was drin ...“ einen Volltreffer zu landen.

Was „Kiss Me, Kate“ am Nordharzer Städtebundtheater wieder ausmacht, ist eine geschlossene Ensemble-Leistung. Der Chor unter Jan Rozehnal und Mario Marianos Choreographien für ein munteres Ballett sorgen für ein Bühnenerlebnis. Wie da „Es ist viel zu heiß“ rüberkommt, erwärmt selbst die coolsten Zuschauer. Florian Kießling lässt satt-beschwingte Töne aus dem Orchestergraben klingen, gut abgestimmt auf die Sänger, die auf der Bühne agieren. Seine Bläser beherrschen die verzwickten Synkopen.

Hat das Musical einst die Karriere von Cole Porter gekrönt, so setzt die Seiffert-Inszenierung noch mal ein abschließendes Spielzeit-Happy-End, auch wenn die Premiere leider unverdient nicht ganz ausverkauft war. (mz)