Nationalpark Harz Nationalpark Harz: Das große Sterben

Schierke - Die Situation wirkt apokalyptisch. Olaf Eggert steht auf grauen Holzstämmen und schaut über eine schier endlose Fläche aus vom Borkenkäfer dahingerafften Bäumen.
Eggert gehört zu den Marines unter den Förstern. Er arbeitet im Nationalpark Harz, der Brocken ist sein Revier.
Und er kämpft einen Kampf, den er nicht gewinnen kann: gegen den Borkenkäfer, gegen die Flut an totem Holz durch die Stürme, die Trockenheit und den Käfer und gegen die Vorbehalte der Menschen im Harz.
Das wird ein hartes Jahr
2019, das weiß er jetzt schon, wird ein hartes Jahr, vielleicht das härteste seit Jahrzehnten. „Wenn das Frühjahr schlecht aussieht, dann machen wir richtig dicke Backen“, sagt Eggert. „Dann potenziert sich der Befall von 2018.“
„2018“, sagt Stefanie Hahn, „war ein Borkenkäferjahr.“ Die winzigen Insekten wüteten deutschlandweit, nicht nur im Harz.
Der Grund dafür, sagt die Sprecherin des Julius-Kühn-Instituts (JKI) in Quedlinburg, sei eine Kombination aus Stürmen im Frühjahr und der extremen Hitze und langen Trockenheit im Sommer.
So hätten sich die Käfer, die sich ihre Brutgänge unter der Baumrinde nagen und so die Fichten töten, auf ein großes Angebot aus umgeworfenem Nadelholz stürzen können.
Der Schaden ist immens
Der Schaden, den das JKI bundesweit für 2018 ermittelt hat, ist immens: elf Millionen Festmeter Bäume wurden durch den Käfer getötet. Wegen des Überangebots seien die Preise für Fichtenholz zum Teil auf die Hälfte abgerutscht.
Im Harz werden die Stämme gar in Container gepackt und nach China verschifft.
Eine Schneise durch den Wald
Kaum irgendwo in Deutschland ist die Schneise, die Buchdrucker und Kupferstecher durch den Wald ziehen, so augenfällig, haben die Schäden durch die Käfer ein solches Ausmaß wie in Eggerts Revier im Nationalpark Harz.
Wer jetzt auf die Wälder rund um den Brocken schaut, sieht ein Mosaik des Todes: das seltene Grün der gesunden Fichten, das dunkle Braun der Bäume, die erst in diesem Winter gestorben sind, hellbraun sind die Käferbäume der vergangenen Jahre und silbergrau die alten Leichen.
Allein am Brocken sind seit 2003 mehr als 5.000 Hektar Wald durch den Käfer abgestorben - eine Fläche, halb so groß wie Paris.
„In den vergangenen zwei, drei Jahren hat sich die Entwicklung ganz massiv verstärkt“, sagt Eggert. Und 2018 ist der Käfer wie eine Feuerwalze durch die Bestände gerauscht.
„Das liegt an der extremen Massenvermehrung“, sagt Eggert. Am Ende habe es nicht nur eine zweite Generation der tödlichen Insekten gegeben, sondern teilweise gar eine dritte.
2018 seien am Brocken 2.000 Hektar durch den Käfer befallen worden, sagt Eggert. Die Tiere hätten teilweise in den Bäumen überwintert. „Den Schaden sieht man erst im Frühjahr.“
Die Mischung soll es machen
Während die anderen Waldbesitzer in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen jetzt die Chemiekeule gegen den Käfer herausholen, verfolgt der Nationalpark eine ganz andere Strategie: eine fein austarierte Mischung aus Nichtstun und Aktionismus.
In der Kernzone wird der Wald prinzipiell sich selbst überlassen. Wenn Fichten sterben, sterben sie halt.
Dann fallen sie nach ein paar Jahren um und bilden einen natürlich Schutz vor Rehen und Hirschen und der Sonne für nachwachsende Bäume: Ebereschen, Erle, Bergahorn, Espe.
Gleichzeitig pflanzen die Nationalparkmitarbeiter jährlich bis in etwa 750 Meter Höhe rund eine Million Buchen. Sie sollen als dort natürlich vorkommende Baumart wieder angesiedelt werden.
„Fichte gehört nicht hierher“
„Die Fichte, die der Mensch einst gepflanzt hat, gehört hier nicht her“, erklärt Eggert. „Sie ist in dieser Höhe für die Stürme nach starkem Regen oder Trockenheit nicht gemacht.“
Darum bediene sich die Natur jetzt des Käfers, und nimmt den Baum dort weg, wo er keine optimalen Bedingungen hat“, sagt der Förster. „Da ist die Natur radikal.“
Genauso radikal wie mancher Wanderer, der Waldarbeiter und Förster bepöbelt, weil er meint, dass im Nationalpark absichtlich Wald zerstört wird.
„Der Ton hier draußen ist rau geworden“, sagt Eggert. So würden auch fast täglich Banner und Schilder entfernt, die Urlauber und Einheimische auf dem Weg zum Brocken vor Waldarbeiten warnen und den nötigen Umweg beschreiben.
Verkehrssicherungspflicht an der Brockenstraße
Nach Ostern wird etwa die Alte Bobbahn zum Brocken für mehrere Wochen nicht begehbar sein.
Denn an einigen Stellen darf die Natur nicht sich selbst überlassen werden - dort hat der Nationalpark die Verkehrssicherungspflicht: etwa entlang der Brockenstraße, an den Gleisen der Brockenbahn und an den „Ruhe- und Verweilplätzen“ der Wanderer.
Hier müssen die toten Bäume spätestens nach eineinhalb Jahren abgesägt und teilweise auch entfernt werden.
Außerdem muss jeder Käferbaum nach seinem Befall sofort aus dem 500-Meter-Pufferstreifen am Nationalparkrand verschwinden, damit die Insekten nicht auf den Wirtschaftswald übergreifen.
Mehrere Firmen im Einsatz
40.000 Bäume wurden im Revier Schierke im vergangenen Jahr gefällt, berichtet Eggert - die Hälfte davon musste aus der Pufferzone geschafft werden.
Derzeit sind mehrere Firmen mit großen Holzerntemaschinen und Seilbahnen im Einsatz. „Die Arbeiten werden uns bis zum Herbst in Atem halten“, sagt Eggert.
Einige Menschen - Einheimische wie Gäste - können es nur schwer ertragen, durch ein Meer von toten Bäumen zum Brocken zu laufen. „Für viele ist das ein Schlag ins Gesicht“, sagt Eggert.
„Und das muss man auch akzeptieren.“ Er hat sich als Nationalparkförster nicht nur um die lebenden und die toten Bäume zu kümmern. Er muss auch enttäuschten Naturliebhabern erklären, warum hier der Wald komplett umgekrempelt wird.
Die Natur bastelt sich wieder zurecht
Darum sucht er regelmäßig das Gespräch mit den Waldnachbarn, veranstaltet mit ihnen gemeinsame Jagden. Und selbst wenn auch ihn der Anblick der grauen Stämme manchmal „in die Magenkuhle“ trifft, ist er überzeugt: „Es ist keine Katastrophe. Die Natur bastelt sich das wieder zurecht.“
Wenn der Borkenkäfer seinen Totengräberjob an den Fichten im Nationalpark erledigt hat, wird die Natur hier neue Pflanzen und Bäume ansiedeln.
Oder besser: Die Pflanzen, die schon vor 1.000 Jahren hier wuchsen, als der Mensch noch nicht Bäume im Harz gepflanzt hat wie Getreide.
Noch gibt es hier auch grüne Fichten. Doch der Borkenkäfer steht schon wieder in den Startlöchern. Ein paar Tage mit mehr als 17 Grad reichen ihm, um sein Werk fortzusetzen. Dann kann er fliegen. Und Fichten töten. (mz)
