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Der Weg des Wassers Der Weg des Wassers: So kommt das Trinkwasser in unsere Hähne

Von Julius Lukas Aktualisiert: 25.05.2022, 09:03
Standortleiter Marco Matthes in der Filterhalle des Wasserwerks Wienrode.
Standortleiter Marco Matthes in der Filterhalle des Wasserwerks Wienrode. Stedtler

Wienrode - Die unterirdische Halle im Harz könnte auch Teil einer Disco sein. Die Größe: Fußballfeldausmaße. Das Licht: Schummrig schönes Blau. Die Akustik: Geeignet für Mozart wie Metallica. Nur bei der Versorgung mit Flüssigem hapert es etwas. Statt Bier, Wein und Mixgetränken fließt hier, in der Filterhalle des Wasserwerks Wienrode, nur eines: Wasser. Sehr viel Wasser.

Wie viel genau, weiß Marco Matthes. Die Parameter des Werks in der Nähe von Thale kennt der Standortleiter exakt. „Wir produzieren am Tag 120.000 Kubikmeter Trinkwasser“, sagt der 42-Jährige Hydrobiologe. Das sind 120 Millionen Liter. Eine Menge, mit der man locker 800.000 Badewannen füllen könnte.

Und auf dem ein oder anderen Liter aus Wienrode wird auch eine Quietscheente schwimmen. Denn das Werk versorgt rund eine Million Menschen im mitteldeutschen Raum mit Wasser - darunter Städte wie Halle, Bernburg und seit diesem Jahr auch Sangerhausen.

Rappbodetalsperre: Fast unerschöpfliches Reservoir an Trinkwasser

Grund genug, einmal in die Welt des kühlen Nasses abzutauchen. Denn, dass aus dem Wasserhahn das Lebenselixier sprudelt, ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit - das lernt man in Wienrode schnell.

Zudem gibt es noch immer viele Mythen, die sich um das Wasser aus der Leitung ranken. Ist sein Flaschen-Pendant, das man im Supermarkt kaufen kann, wirklich besser? Wie sehr belasten Stoffe wie Nitrat das blaue Gold? Und wie viele Sahara-Sommer halten wir noch aus, bis das Wasser mal knapp wird?

Besonders die letzte Frage beschäftigte in den vergangenen Monaten viele Menschen. Angesichts der hohen Temperaturen und geringen Niederschläge musste man davon ausgehen, dass Marco Matthes und seine Kollegen bald auf dem Trockenen sitzen werden - zumal es in manchen Regionen, in denen das Leitungswasser aus Brunnen kommt, schon Engpässe gab.

Doch Matthes reagiert auf die Frage nach drohenden Lieferschwierigkeiten unaufgeregt: „Das Wasser geht uns so schnell nicht aus.“

Der Grund für seine Ruhe liegt dreieinhalb Kilometer vom Wasserwerk entfernt: die Rappbodetalsperre. Aus der bezieht das Werk sein „Rohwasser“.

Und hinter der riesigen Betonmauer schlummert ein fast unerschöpfliches Reservoir, wie Matthes verdeutlicht: „Im April dieses Jahres war der Stausee mit 105 Millionen Kubikmetern Wasser fast vollständig gefüllt.“ Zur Einordnung: Das entspricht 700 Millionen Badewannen.

Der Sommer schröpfte den riesigen Speicher zwar, Matthes schätzt jedoch, dass im Moment noch circa 63 Millionen Kubikmeter Wasser im Stausee vorhanden sind. Ein weiterer Rekord-Sommer wäre also kein Problem - selbst wenn sich der Stausee nicht wieder füllen würde.

Das allerdings passiert natürlich. Denn im Winterhalbjahr steigt der Pegel der Talsperre wieder. Die unzähligen Rinnsale und Bäche des Harzes speisen dann den See mit Regen- und Schmelzwasser. Und das hat bereits eine sehr hohe Qualität. Denn es ist kaum verunreinigenden Einflüssen wie Siedlungen oder Abwasser ausgesetzt.

So treten manche Schwierigkeiten gar nicht erst auf: „Das Nitratproblem, vor dem Grundwassernutzer zunehmend stehen, gibt es bei uns nicht“, sagt Matthes.

Bei Nitrat handelt es sich um Salze der Salpetersäure, die oft in Düngern zu finden sind und vor allem für Säuglinge in zu hoher Konzentration gefährlich sein können. „In den landwirtschaftlich genutzten Regionen Deutschlands hingegen hat der Einsatz von Wirtschaftsdünger in den zurückliegenden Jahrzehnten zugenommen“, erklärt Matthes.

Dort komme immer mehr Nitrat im Grundwasser an. Und diese Sünde der Vergangenheit zu beseitigen, sei extrem aufwendig und teuer. „Man müsste das Wasser durch Membranen pressen, was hohe Energiekosten verursachen würde.“ Wenn die Nitratbelastung aber weiter anhält, werden solche Lösungen wohl unausweichlich sein.

Trinkwasser aus der Rappbodetalsperre muss trinkbar gemacht werden

Doch auch wenn das Nitrat in Wienrode kein Thema ist, bedeutet das nicht, dass das Wasser aus der Rappbodetalsperre direkt ins Fernleitungsnetz geschickt wird. Denn zuvor muss es erst trinkbar gemacht werden. Ein mehrstufiger Prozess beginnt.

„Auch im Rohwasser sind noch Inhaltsstoffe, die nicht ins Trinkwasser gehören“, erklärt Marco Matthes. Er steht in der blau erleuchteten Filterhalle. Die Farbe des Lichts soll im Übrigen nicht für ein angenehmes Ambiente sorgen - zum langen Verweilen lädt der fünf Grad kalte Raum ohnehin nicht ein.

„Durch das blaue Licht wird Algenwachstum vermieden.“ Und wucherndes Grünzeug ist in der Wasseraufbereitung extrem unerwünscht.

Die kleinen Algen zum Beispiel, die sich im Wasser aus der Talsperre befinden werden in der blauen Halle herausgefiltert. Das geschieht in 48 mit Sand gefüllten Becken. Durch sie sickert der flüssige Rohstoff. Fertig für den Hahn ist das Wasser damit aber noch nicht.

Den nächsten Schritt riecht man in der Filterhalle bereits - ein Geruch, zwischen Schwimmbad und abgestandenem Wasser. „Das ist das Desinfektionsmittel“, sagt Matthes. Das Wasser wird mit Chlor behandelt - wie im Schwimmbad. Und dann kommt noch ein Schuss Kalk dazu.

Kalk? Wer schon einmal eine Kaffeemaschine aufgrund zerfressener Leitungen verloren hat, wird nun die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Doch das Wasser aus dem Harz ist sehr weich und braucht deswegen ein bisschen mehr Härte - also Kalk. „Durch diese Behandlung ist es chemisch und biologisch stabil“, erklärt Matthes.

Nur so könne es auf seine Reise durchs Leitungsnetz geschickt werden. Und die absolviert es ganz ohne Pumpen. Das natürliche Gefälle reicht aus, damit das Wasser aus den Höhen des Harzes ins Flachland fließt.

Leitungswasser trinken: Eine Frage des Geschmacks

„Diese Aufbereitung und Verteilung ist zwar einfach, aber extrem wirkungsvoll“, sagt Marco Matthes. Das Prinzip hat sich seit den 60er Jahren, wo erst Rappbodetalsperre und dann Wasserwerk gebaut wurden, nicht geändert.

Doch der technische Stillstand ist kein Nachteil. Er bewahrt eher eine hohe Qualität, die in Wienrode jeden Tag mehrmals nachgewiesen werden muss. „Trinkwasser ist eines der am besten geprüften Lebensmittel“, sagt Matthes.

Und widmet sich gleich dem verbreiteten Glauben, dass Mineralwasser aus der Flasche eine höhere Qualität als Leitungswasser hat. „Zu fragen, was besser ist, ist wie die Frage, ob ein Auto oder ein Motorrad besser ist - es kommt darauf an, wofür man es brauch.“ Zur flotten Kurvenfahrt sollte man das Zweirad bevorzugen. „Möchte man aber einen Kühlschrank transportieren, ist das Auto hilfreicher.“

Was man aber zum Vergleich sagen könne: Trinkwasser wird deutlich umfangreicher und auch mit strengeren Grenzwerten kontrolliert. „Die Verordnung für Mineral- und Tafelwasser schreibt Prüfungen auf knapp 20 Inhaltsstoffe vor“, erklärt Matthes. Bei der Verordnung, die für sein Trinkwasser gilt, sind es mehr als dreimal so viele. Dort müsse auch auf Pflanzenschutzmittel, Röntgenkontraststoffe und vieles mehr getestet werden. „Bei Flaschenwasser werden diese Werte gar nicht erhoben.“

Doch welches Wasser nun besser ist, müsse am Ende jeder selbst entscheiden, sagt Marco Matthes. „Der eine mag es weich, der andere kräftig oder sogar etwas salzig.“ Am Ende ist es also mit dem blauen Gold wie mit so vielen Dingen: Alles eine Frage des Geschmacks. (mz)

Über 700 Millionen Badewannen Wasser passen in die Rappbodetalsperre.
Über 700 Millionen Badewannen Wasser passen in die Rappbodetalsperre.
Andreas Stedtler