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Naturschutz Borkenkäfer am Brocken im Nationalpark Harz: Hunderte Fichten werden an Brockenstraße und Brockenbahn gefällt

Von Ingo Kugenbuch 16.10.2017, 12:20
„Das wird mal toll“: Revierförster Olaf Eggert begutachtet umgeworfene Bäume entlang der Brockenstraße.
„Das wird mal toll“: Revierförster Olaf Eggert begutachtet umgeworfene Bäume entlang der Brockenstraße. Ingo Kugenbuch

Schierke - Ein dumpfes Grollen aus dem Wald heraus verrät es: Der Königstiger ist wieder im Einsatz. Er setzt zum Angriff an, fährt seine Krallen aus und wirft einen Baum um. Um ihn herum sieht es aus, als hätte ein Orkan gewütet. Und genau das ist auch die Aufgabe, die die Baumerntemaschine mit dem plakativen Namen „Königstiger“ unweit des Brocken zu erledigen hat: die Bäume rechts und links des Weges umzuwerfen.

„Die Verkehrssicherung läuft seit drei Jahren und ist für dieses Jahr jetzt abgeschlossen“, sagt Olaf Eggert, der zuständige Förster. Anfänglich seien das nur kleine Stellen gewesen, an denen vom Borkenkäfer getötete Bäume auf die Brockenstraße, die Trasse der Brockenbahn oder Wanderwege zu fallen drohten, berichtet Eggert. „Hier ein Fleck, da ein Fleck.“

400.000 tote Bäume am Brocken

Allein in diesem Jahr sind durch den massiven Borkenkäferbefall aber rund 600 bis 700 Hektar Fichten abgestorben - nur auf der Schierker Seite des Bergmassivs. Etwa ebenso viele kommen auf der Ilsenburger Seite hinzu. Das sind dann insgesamt rund 400.000 tote Käferbäume.

„Das hat zur Folge, dass wir an der neun Kilometer langen Brockenstraße und der elf Kilometer langen Bahnstrecke zum Brocken Sicherungsmaßnahmen vornehmen müssen“, sagt Eggert. „Wir müssen die Gefahr auf mindestens einer Baumlänge zur Straße beseitigen“, sagt Olaf Eggert. Und das bedeutet: Bäume in ein paar Metern Höhe absägen oder mitsamt Wurzeln umwerfen. „Es entsteht ein Bild wie nach einem Sturm“, sagt Eggert.

Abgesägte Stämme bleiben liegen

Die Stämme bleiben liegen. Nur die Bäume direkt an der Straße werden komplett entfernt. Dem Wanderer bietet sich so neben der Brockenstraße ein chaotisches Bild: an einigen Stellen liegen ganze Bäume kreuz und quer auf dem Waldboden, an anderen ragen noch die kahlen Stümpfe in Richtung Himmel. Was Menschen, die aus Fichten gepflanzte Monokulturen gewohnt sind, regelrecht verstört, ist nach Ansicht von Naturschützern und Nationalparkverwaltung der einzig mögliche Weg: zurück in Richtung Urwald.

Denn die chaotisch verteilten Stämme seien die Brutstätte eines neuen Waldes mit Bäumen, die früher einmal ganz natürlich hier vorkamen - und die auch dem Borkenkäfer trotzen: vor allem die Buchen in den unteren Lagen sowie Ebereschen und neue Fichten in den größeren Höhen. Millionen Buchen hat der Nationalpark bereits gepflanzt. In den Totholzflächen entlang der Brockenstraße erhöhe sich die Artenvielfalt um 30 Prozent, sagt Olaf Eggert. „Der Wind kann hier nicht reingehen, und wir haben eine natürliche Barriere für das Wild.“ 15, vielleicht 20 Jahre werde es dauern, ehe der Wald „vorzeigbar wird“, sagt der Förster. „Ich bin davon überzeugt, dass das mal toll wird.“

Buchen und Ebereschen wurden gepflanzt

Nationalparksprecher Friedhart Knolle hat einen anschaulichen Vergleich für das jetzige Erscheinungsbild des Waldes am Brocken: „Es ist wie bei einer Frau kurz nach dem Aufstehen: Das ist das ehrliche Gesicht, ohne Schminke.“ Das Absterben - und teilweise auch Fällen oder Umwerfen der Bäume - sei „ohne jede Alternative“, sagt Knolle. „Die Fichte gehört da nicht rein.“ Zumindest nicht als gepflanzte Monokultur.

Jeder habe gewusst, dass das die unausweichliche Entwicklung des Waldes sein würde, aber der Klimawandel habe das noch beschleunigt. „Das überrollt uns jetzt gerade etwas“, sagt Knolle. Doch auch, wenn Teile des Waldes zusammenbrechen, so trage der Borkenkäfer mit dazu bei, ökologisch stabilere Verhältnisse zu schaffen, sagt Knolle. Windwurf, Schneebruch und Borkenkäferbefall seien „Methoden der Natur, aus instabilen Wirtschaftswäldern in der nächsten Generation stabilere Naturwälder entstehen zu lassen“.

Wer sehen will, in welche Richtung das gehen soll, kann sich zum Beispiel den Meineberg in Ilsenburg anschauen, der einst kahl war und nun wieder grün ist. Oder das so genannte Kino - eine freie Stelle kurz hinter der Toilette an der Brockenstraße, wo ein Sturm vor Jahren gewütet und Fichten umgeworfen hatte. Auch dort wachsen wieder junge Bäume nach - und der Königstiger muss nicht eingreifen. (mz)