Agrargemeinschaft in Wasserleben Agrargemeinschaft in Wasserleben: "Wir verteilen Landwirtschaft wieder auf viele Hände"

Wasserleben - Vom Feld aus ist der Blick frei auf den Brocken. Der höchste Berg des Harzes scheint zum Greifen nah. Die Luft an diesem Februarnachmittag ist klar und warm - als ob der Frühling bereits da wäre. Katja Feldmer steht in Stiefeln, Jeans, Wollpullover, und Sonnenbrille auf dem Acker.
Sie streckt den Arm und zeichnet die Feldgrenzen nach: „Von der Baumreihe da hinten bis zum Feldweg reicht das Gelände.“ Etwa drei Fußballfelder groß sei die Anbaufläche, auf der Kartoffeln, Mohrrüben und Zwiebeln angebaut werden sollen. Das Besondere: Bewirtschaftet wird das Land von den Mitgliedern des neu gegründeten Quellenhofes, der nach den Regeln der solidarischen Landwirtschaft arbeitet.
Niedrige Milchpreise: Bauernhof in Wasserleben unter Druck
Katja Feldmer und Tina Siebeck haben das Projekt zusammen mit dem Landwirt Paul Barner maßgeblich initiiert, das Siebeck in einem Satz wie folgt beschreibt: „Wir verteilen Landwirtschaft wieder auf viele Hände - ohne ökonomischen Druck.“ Das klassische Wirtschaftsmodell der Landwirtschaft von Erzeuger und Konsument wird dabei aufgebrochen, die Mitglieder des Quellenhofes sind beides: Erzeuger und Verbraucher.
Die Familie Barner bewirtschaftet rund um das Dorf Wasserleben (Landkreis Harz) 80 Hektar Land und hält 120 Milchkühe. Der landwirtschaftliche Betrieb ähnelt noch einem klassischen Bauernhof, es werden auch Schweine und Hühner gehalten. Auf einer großen Wiese stehen im Sommer Gänse. „Meine Eltern haben nach der Wende das Unternehmen aufgebaut“, berichtet Paul Barner.
Der kleinbäuerliche Betrieb hat es aufgrund niedriger Milchpreise jedoch schwer, sich am Markt zu behaupten. Der 29-jährige Landwirt suchte daher nach Alternativen, um den Hof langfristig zu erhalten und war somit auch offen für neue Konzepte.
Mitglieder sollen beim Anbau und der Ernte helfen
Am vergangenen Samstag wurde in einer kleinen Scheune auf Strohballen eine Art Gründungsversammlung abgehalten. Das konkrete Konzept erläutert Feldmer wie folgt: Die Mitglieder zahlen einen einmaligen Aufnahmebeitrag von mindestens 100 Euro und einen monatlichen Beitrag von 89 Euro.
Zudem ist erwünscht, dass die Mitglieder beim Anbau und der Ernte helfen. Dafür erhalten sie im Gegenzug wöchentlich sechs Eier, zwei Liter Milch und viel Gemüse - je nach Saison. Die Initiatoren haben sich als Ziel gesetzt, mindestens 80 Mitglieder zu werben. Nach einem halben Jahr intensiver Vorbereitung steht nun fest: „Wir starten“, sagt Feldmer.
Die meisten Interessenten kommen aus der nahe gelegenen Stadt Wernigerode. „Es sind Menschen, die sich bewusst ernähren wollen“, sagt Mitgründerin Siebeck. Es gehe aber auch darum, eine naturnahe Landwirtschaft zu betreiben, die auf den Pflug verzichtet und Tiere schützt. Die Vorbereitungen für die erste Saison laufen. Siebecks Tochter Vivien ist mit Landwirt Barner dabei, die ersten zwei Gewächshäuser für den Salat herzurichten.
Die Zahl der Hühner soll von 30 auf 120 steigen. Der junge Bauer kümmert sich darum, dass die Saat auf das Feld kommt. Er leitet auch die Mitglieder bei anstehenden Arbeiten an. Dafür wird er bezahlt und erhält Pacht. „Für unseren Betrieb wird es eine Einnahmequelle unabhängig von den Marktpreisen“, sagt Barner.
Solidarische Landwirtschaft seit den 80er Jahren in Deutschland
Das Konzept der solidarischen Landwirtschaft gibt es in Deutschland bereits seit den 80er Jahren. Doch erst in den vergangenen zehn Jahren hat die Zahl der Initiativen stark zugenommen. „Wir haben inzwischen mehr als 200 Mitgliedsbetriebe“, sagt Stefanie Wild vom Netzwerk Solidarische Landwirtschaft.
Innerhalb der vergangenen zwei Jahre habe sich die Zahl verdoppelt. Die Motivationen für eine Gründung seien unterschiedlich. So gebe es Verbraucher, die ihre Versorgung mit Grundnahrungsmitteln selbst in die Hand nehmen wollen.
„Es gibt aber zunehmend auch landwirtschaftliche Betriebe, die mit dem Konzept beispielsweise die Hof-Nachfolge sichern wollen“, erläutert Wild. Sie berichtet auch von einem etablierten Gemüseanbauer, der seine Abhängigkeit vom Großhandel und den schwankenden Preisen reduzieren möchte. Die solidarische Landwirtschaft befindet sich in Deutschland noch in der Nische. Doch das kann sich durchaus ändern, wie das Beispiel USA zeigt. In dem Land, das für seine großen Agrar-Unternehmen bekannt ist, haben sich als eine Art Gegenbewegung bereits 7 000 solidarische Betriebe etabliert.
Viel Bürokratie: „Es gibt in Deutschland kein Anmeldeformular mehr mit weniger als zehn Seiten“
Als größte Herausforderung bei der Gründung beschreiben Feldmer und Siebeck nicht die Erstellung des landwirtschaftlichen Betriebskonzepts oder die Mitgliederwerbung, sondern die Bürokratie, die damit verbunden ist. Feldmer leitet beruflich eine Bildungseinrichtung, Siebeck führt eine Pilgerherberge - ihre Zeit ist also begrenzt.
„Vereinsanmeldung, Kontoeröffnung, Finanzamt - es gibt in Deutschland kein Anmeldeformular mehr mit weniger als zehn Seiten“, sagt Siebeck ironisch. Bei einem Hoffest müsse man bei den Gästen nun auch die Erlaubnis für Fotoaufnahmen einholen und Einladungslisten auf Einhaltung des Datenschutzes überprüfen. „Das ist alles sehr aufwändig.“
Doch die Arbeit hat sich für die beiden Frauen gelohnt: „Wir sind schon ein wenig stolz, dass es nun losgeht.“ Der nächste Schritt soll die Anschaffung eines sogenannten Hühnermobils sein. Auch ein Jurte-Zelt soll auf das Gelände gebaut werden. „Wir wollen hier auch eine Gemeinschaft aufbauen“, sagt Feldmer. Auf die Arbeit im Gewächshaus und dem Feld freut sie sich. „Den eigenen Salatkopf isst man vielleicht auch mit mehr Genuss als den für 99 Cent aus dem Supermarkt.“
Nahrungsmittel für Anteilsscheine
In Deutschland arbeiten inzwischen mehr als 200 Betriebe nach den Grundsätzen der solidarischen Landwirtschaft. In Sachsen-Anhalt gibt es bereits die Kleine Feldwirtschaft Landsberg bei Halle, rund um Leipzig haben sich vier Projekte etabliert. Auf der Internetseite des Netzwerkes Solidarische Landwirtschaft sind fast alle Betriebe aufgelistet.
Das Konzept beruht auf verschiedenen Regeln: Kern ist, dass die Mitglieder Anteilsscheine erwerben und dafür Lebensmittel erhalten. Es muss bei den Initiativen eine Form der Beteiligung geben - etwa Arbeitsstunden. Die Beiträge der Mitglieder sollten sich nach deren Einkommen richten und bei der Abrechnung der Finanzen sollte Transparenz für alle Mitglieder herrschen.
Die ersten solidarischen Agrargemeinschaften entstanden in Japan und den USA. In den USA gibt es heute 7 000 Betriebe, die nach dem Konzept arbeiten. Der Übergang zu sogenannten Abo-Lebensmittelboxen ist aber fließend. Frankreich verzeichnet etwa 2 000 Projekte.
Betriebe im Netz unter: www.solidarische-landwirtschaft.org
(mz)
