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Landkreis Bernburg Landkreis Bernburg: Straße verschwindet im Kalk

08.02.2007, 12:29

Latdorf/MZ. - Bislang war die Landesstraße 73 zwischen Kleinpaschleben (Kreis Köthen) und Nienburg (Kreis Bernburg) fast ausschließlich Freunden schneller Autos ein Begriff. Dort wird schon mal das Geschwindigkeitslimit von Fahrzeugen getestet. Die Bedingungen sind ideal: Mehrere Kilometer führt die sanierte Asphaltpiste gerade aus. Keine Kurve, keine Verkehrsinsel, mittendurch zwischen den Kalkteichen der Solvay-Werke, die sich links und rechts auftürmen.

Seit Sonnabendnacht ist die Straße im Blick der Öffentlichkeit. Gegen 22.25 Uhr brach kurz vor dem Abzweig Richtung Bernburg plötzlich der Damm von Kalkteich Nummer 19. Mit ohrenbetäubendem Getöse und unvorstellbarer Gewalt ergossen sich innerhalb von wenigen Sekunden auf einer Länge von knapp 650 Metern etwa 250 000 Tonnen Kalkmasse und Geröll. "So weit ich weiß, ist so etwas in den letzten 70 Jahren nirgendwo in Europa passiert", sagte gestern Gerhard Eder, Leiter des Bernburger Solvay-Werkes.

Fieberhafte Suche

Dass der Ort des dramatischen Geschehens höchstwahrscheinlich nicht auch noch Schauplatz einer Tragödie wurde, ist wohl reines Glück gewesen. "Wenn hier ein Auto entlanggekommen wäre, hätten die Insassen keine Chance gehabt", sagte Wolfgang Berger, Leiter des Polizeirevieres Bernburg. Dabei hatten die Helfer zunächst schlimmste Befürchtungen. Fieberhaft suchten Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und Technisches Hilfswerk das Gelände nach möglichen Opfern ab. Das gestaltete sich in der Nacht aufgrund des Ausmaßes der Katastrophe als schwierig. Selbst die Suchhundestaffel musste gegen drei Uhr unverrichteter Dinge wieder abziehen: Bordeaux-Dogge Carlos wäre in dem wässrigen Kalkschlamm versunken.

Stattdessen griffen die Rettungskräfte auf technische Hilfsmittel zurück. So wurde aus Brandenburg der Polizeihubschrauber angefordert und mit Hilfe seiner Wärmebildkamera nach möglichen Verschütteten gesucht. Aber weder in der Nacht noch am Tage fanden sich Hinweise darauf, dass unter den bis zu vier Meter hohen Kalk- und Geröllmassen ein Auto begraben liegt. Restlose Klarheit über mögliche Opfer wird es aber erst geben, wenn alles abgeräumt ist. Und das kann dauern. Zwar begannen Mitarbeiter bereits kurz nach Mitternacht die Kalkreste abzutransportieren. Doch nach Lage der Dinge wird es allein mehrere Tage dauern, um eine Schneise durch die Lawine zu schlagen. "Wir hoffen, dass wir die Straße bis zum Wochenende wieder frei bekommen", sagte Berger.

Regelmäßige Kontrollen

Die Ursache für das Unglück ist unklar. "Wir stehen vor einem Rätsel", so Werkleiter Eder. Seinen Worten zufolge gibt es für jeden Kalkteich ein so genanntes Standsicherheitsgutachten: "Das ist eine Art Kalkteich-Tüv." Außerdem werde regelmäßig kontrolliert. Eder: "Es ist nie etwas aufgefallen." Die maximal erlaubte Höhe sei 40 Meter - der betroffene Kalkteich ragte 23 Meter in den Himmel. Der Schaden dürfte nach ersten Schätzungen mindestens mehrere hunderttausend Euro betragen. Zu den Schäden an dem Kalkteich sowie der Straße kommt, dass Solvay die Produktion von Natriumbicarbonat vorerst halbieren musste. Keine Gefahr besteht laut Eder für die Umwelt: "Es sind keine giftigen Stoffe ausgetreten."

Die Unglücksstelle wurde unterdessen zum Ausflugsziel. So kam Thomas Berger mit Lebensgefährtin Elisabeth Sommer und Sohn Kevin, um sich umzusehen. "Ich habe wirklich ein flaues Gefühl. Wir sind nur wenige Stunden zuvor noch da lang gefahren", sagte der Ulmer, der in Nienburg geboren wurde und derzeit dort zu Besuch ist.